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Trans in Bulgarien: Der Hunger nach einem normalen Leben

Margarita Nikolova (aus Sofia)
27. November 2023

Mit einem Hungerstreik vor dem Justizpalast in der bulgarischen Hauptstadt Sofia versuchte Gabriella Bankova, die legale Anpassung ihres Geschlechts durchzusetzen. Über den Kampf für ein normales Leben.

Eine Frau mit rotem Pullover und blonden Haaren sitzt zwischen Plakaten auf einer Stufe
Gabriella Bankova während ihres Hungerstreiks am Justizpalast in SofiaBild: Margarita Nikolova/DW

Zwölf Tage - so lange hielt Gabriella Bankova durch. Saß auf den Stufen des Justizpalasts in Sofia und aß nichts - auch als der Hunger immer lauter in ihr wütete. Der Hungerstreik, erzählt sie der DW, sei eine spontane Entscheidung gewesen - einerseits. Und doch habe er sich gewissermaßen lange angebahnt. Denn Gabriella Bankova ist trans. Der bulgarische Staat weigert sich jedoch, das anzuerkennen. Als es ein Gericht im November ablehnte, die Spalte "Geschlecht" auf ihrem Personalausweis zu "weiblich" zu ändern, wusste Bankova nicht mehr weiter. Und setzte sich vor den Justizpalast.

Sieben Kilogramm nahm Gabriella Bankova während ihres Hungerstreiks ab. Der ist seit vergangenem Samstag, 25.11.2023, zwar vorbei. Doch Bankovas Kampf für ihre Rechte ist es noch lange nicht. "Ich denke, es ist an der Zeit für eine Justizreform", sagt die 32-Jährige gegenüber der DW.

Keine Ehe, keine Adoption, kein Erbe

Die europäische Sektion der Internationalen Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Transgender- und Intersexuellenvereinigung (ILGA) veröffentlicht jährlich einen Regenbogenindex, in dem sie 49 Länder in Europa anhand ihrer Gleichstellungsgesetze und -politik für die LGBTQ-Community bewertet. Im Jahr 2023 landete Bulgarien auf Platz 40. Von allen EU-Ländern schnitten nur Rumänien und Polen schlechter ab.

LGBTQ-Personen werden in Bulgarien rechtlich benachteiligt. Die Organisation "Deystvie", die sich im Land für die gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung von Menschen der LGBTQ-Community einsetzt, untersuchte vor fünf Jahren 79 bulgarische Gesetze. Das Ergebnis: Queeren Menschen in Bulgarien werden rund 300 Teilaspekte dieser Gesetze vorenthalten. So dürfen gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten, sie können nicht gemeinsam Kinder adoptieren, den Besitz ihres Partners nicht erben.

Das für Bankova und andere Transpersonen so wichtige Recht auf eine geschlechtliche Selbstbestimmung gibt es nicht. Eine offizielle Anpassung des Geschlechtseintrags oder eine Änderung des Namens: unmöglich.

Selbstverständlichkeiten werden zum täglichen Kampf

Aufgrund der Angaben in ihrem Personalausweis, wo unter "Geschlecht" weiterhin die Bezeichnung "männlich" steht, wurden Gabriella Bankova schon häufig Krankenhausaufenthalte und andere Gesundheitsleistungen verweigert, berichtet sie. Vor Kurzem sei sie an einer Lungenentzündung erkrankt, konnte aber keine Antibiotika kaufen, da sie dafür ein ärztliches Rezept benötigt - das sie aber nicht bekam. Denn die Gesundheitseinrichtungen glaubten, sie benutze einen gefälschten Ausweis und sei eigentlich nicht krankenversichert.

Die 32-Jährige schildert, dass ihr aus demselben Grund auch Arbeits- und Mietverträge verweigert wurden. Immer wieder kollidiert in ihrem Alltag ihre Identität mit dem "m" auf ihrem Ausweis.

Geschlechtsanpassung? Unmöglich

Die ersten Diskussionen über die Möglichkeit, das Geschlecht in Bulgarien legal zu verändern, begannen in den frühen 1990er-Jahren. Bis 2017 gab es immer wieder auch positive Entwicklungen, berichtet Denitsa Lyubenova, Rechtsanwältin und Vorsitzende von Deystvie. Weil es keine eindeutige Rechtssprechung gab, konnten Transpersonen gelegentlich vor Gericht eine Anpassung ihres Geschlechtseintrags durchsetzen.

Plakat vor dem Justizpalast, auf dem in Bulgarisch "Wir werden nicht schweigen oder leiden" stehtBild: Margarita Nikolova/DW

Doch 2018, inmitten der Kampagne gegen die Ratifizierung der Istanbul-Konvention, entschied das Verfassungsgericht, dass der Begriff "Geschlecht" nur im biologischen Sinne zu verstehen sei - und es "nur zwei Geschlechter" gebe. Drei Jahre später wurde ein Auslegungsverfahren eingeleitet. Im Februar 2023 verkündete der Oberste Gerichtshof, er habe entschieden, dass es keinen juristischen Rahmen gebe, der eine rechtliche Geschlechtsanpassung regele. Oder anders gesagt: Transgeschlechtliche Menschen in Bulgarien haben keine Möglichkeit mehr, auch formal ihr Geschlecht anzupassen.

Es gibt keine Statistiken darüber, wie viele Menschen in Bulgarien sich in einer ähnlichen Situation wie Gabriella Bankova befinden. Anwältin Lyubenova ist sich sicher, dass es einige sind. Allein ihre Organisation Deystvie vertritt derzeit etwa 30 bis 40 Menschen.

"Die bulgarische Justiz hat in den vergangenen Jahren durch ihre Entscheidungen dafür gesorgt, dass wir zu Menschen erklärt werden, die in der Gesellschaft nicht willkommen sind", sagt Bankova verbittert.

Gemischte Reaktionen vor dem Justizpalast

Zwei Mal wurde Gabriella Bankova von der Polizei während ihres Hungerstreiks verhaftet, angeblich unter anderem, weil sie sich nicht ausweisen konnte. Ungerechtfertigt, wie Bankova sagt. Sie zeigt die blauen Flecken an ihrem rechten Handgelenk und erzählt, sie sei auf der Polizeiwache beleidigt, gedemütigt, entkleidet und sogar körperlich verletzt worden. "Was immer sie auch tun, sie können mich nicht brechen. Ich bin geistig stärker als je zuvor", sagt sie.

Während ihres Hungerstreiks erlebte Bankova vor dem Justizpalast die zwei Seiten der bulgarischen Gesellschaft.

Zwei Besucher der Pride-Parade in Sofia am 17.06.2023Bild: Alexander Detev/DW

Einige Passanten hätten sie offen beleidigt und seien aggressiv geworden - vor allem Jugendliche und junge Männer. Bankova glaubt, dass das an nationalistischen, rechtsextremen oder populistischen Parteien liege, die in Bulgarien immer wieder gegen LGBTQ-Personen hetzen. Vereinzelt kommt es dabei nicht nur zu Hate Speech, sondern auch tätlichen Übergriffen.

So stürmte etwa im Oktober 2022 der rechtspopulistische Politiker Boyan Stankow mit zehn weiteren Personen den LGBTQ-Treffpunkt Regenbogen-Hub in Sofia und verletzte dabei eine Mitarbeiterin.

Viele Passanten jedoch hätten auch Solidarität gezeigt und wollten mehr über das Leben von Transmenschen erfahren, erzählt Bankova. "Selbst Menschen, die mich nicht direkt angesprochen haben, haben mich angelächelt", sagt sie.

Mit ihrem Sit-In vor dem Justizpalast habe sie gezeigt, dass in Bulgarien Transpersonen existieren - und dass sie, wie alle anderen, das Recht auf ein normales und würdiges Leben haben. Deswegen sei der Hungerstreik erst der Anfang gewesen. "Jetzt fangen wir mit der richtigen Arbeit an", sagt Bankova.

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