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Politik

Transatlantischer Neuanfang unter Joe Biden?

Tessa Clara Walther
18. Januar 2021

Von der US-Präsidentschaft Joe Bidens versprechen sich viele in Deutschland große Veränderungen in den gemeinsamen Beziehungen. Ist das realistisch?

Flaggen USA und Deutschland
Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance

Wenn man in diesen Wochen die Nase in den Wind des politischen Berlins hält, dann kann man die neue Hoffnung förmlich riechen. Seit Donald Trump im November knapp vom amerikanischen Volk abgewählt wurde, scheint die Brücke über den Atlantik plötzlich wieder begehbar, die Tür zur multilateralen Kooperation wieder aufgestoßen. Doch völlig unbegrenzt, ganz im amerikanischen Sinn, scheinen die Möglichkeiten nicht, wenn man den Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, Peter Beyer (CDU), fragt: "Probleme werden nicht automatisch verschwinden. Aber es gibt gute Chancen, dass man jetzt konstruktiv und mit Respekt miteinander redet. Und lösungsorientiert verhandelt."  

Diese Einschätzung teilt Thomas Kleine-Brockhoff, der Vizepräsident des German Marshall Fund of the United States (GMF), eine unabhängige US-amerikanische Stiftung zur Förderung der transatlantischen Kooperation. "Ein Nationalist ist von einem Internationalisten abgelöst worden." Doch das hieße nicht, dass sich die Zeit einfach zurückdrehen lässt. "Die Glaubwürdigkeitslücke, die entstanden ist, ist mit einem simplen 'We are back' nicht wiederhergestellt." 

In Deutschland hofft man auf Verbesserung der transatlantischen Partnerschaft unter Joe BidenBild: Matt Slocum/dpa/AP/picture alliance

Wiederherzustellen und neu aufzubauen gibt es viel in den transatlantischen Beziehungen. Joe Biden hat angekündigt, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten, und er will mit seinem Land zurück in die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sogar den Truppenabzug aus Deutschland, den Donald Trump letztes Jahr angekündigt hat, wird er wohl zurücknehmen. Für die Europäer sind vor allem Handelsfragen wichtig. Die sollen neu diskutiert werden. Es geht um viel: Die USA und die EU stellen gemeinsam über30% des weltweiten  Bruttoinlandsprodukts. 

"Die Strafzölle müssen weg" 

Taten statt Worte könnten dabei die Glaubwürdigkeitslücke wieder füllen, findet Peter Beyer. Denn wenn man im Berliner Regierungsviertel noch einmal tief einatmet, dann schmeckt die Luft nicht nur nach Hoffnung, es mischt sich auch eine gewisse Erwartungshaltung unter. "Die Europäer sind gut beraten, jetzt ein Bündel von wirtschaftlich relevanten Themen zu schnüren. Dazu gehört auch die Forderung an die USA: Die Strafzölle müssen weg." Er spricht vor allem von den Importzöllen auf Aluminium und Stahl, die Deutschland und Europa in den letzten Jahren schwer getroffen haben. Kleinmütigkeit sei der falsche Weg, ergänzt Beyer, man bräuchte "ein breit angelegtes, transatlantisches Freihandelsabkommen, das auch in Zukunft unseren relativen Wohlstand sichert."

Gehören die US-Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU bald der Vergangenheit an?Bild: picture alliance/dpa/J. Lübke

Da ist der ehemalige Journalist Kleine-Brockhoff verhaltener. Er findet auch, dass ein neues, großes Handelsabkommen ein wichtiges Zeichen setzen würde, doch die politischen Realitäten in den USA gäben das nur schwerlich her: "Joe Biden steht unter Druck, genau das nicht zu tun, besonders durch den linken Flügel seiner Partei und durch die Gewerkschaften." Sie erwarteten von ihm eine Wirtschaftspolitik, die dem Freihandel nicht unbedingt zugeneigt sei. "Und man sollte den Mann nicht da pressen, wo er nichts geben kann." 

Auch in Deutschland schlägt einer Neuauflage von großen Handelsabkommen, wie dem 2017 mit dem Amtsantritt Trumps gescheiterten Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), einiger Wind entgegen. Nach Befragungen des Pew Research Center mit Sitz in Washington D.C. und der Körber-Stiftungsieht eine große Mehrheit der Deutschen die USA eher nicht als Partner, wenn es darum geht, den internationalen Freihandel zu schützen. Kleinere Foren und Räte könnten da in den nächsten Jahren zur Alternative werden, um gemeinsame Standards zu finden. Ein Beispiel - der"Joint Trade and Technology Council", vorgeschlagen von der EU im Dezember. 

Streitpunkt Nord Stream 2 

Andere Probleme werden bleiben, auch unter Joe Biden. Bitter schmeckt dem US-Kongress vor allem eins: Die zweite Unterwasser-Gasleitung Nord Stream 2, die Russland mit Deutschland verbinden soll. Der Kongress hat kürzlich überparteilich neue exterritoriale Sanktionen gegen den Bau der Pipeline verhängt. Peter Beyer wirbt in diesem Fall für Proportionalität. "Die Diskussion ist völlig überzogen - wir reden hier von einer zweiten Röhre einer bereits bestehenden Gas-Pipeline." Es gäbe viel drängendere transatlantische Themen, fügt er hinzu, "wie Handel, Sicherheit, Digitalisierung und Gesundheit, gerade in Zeiten der Pandemie."

Der Hafen Mukran auf Rügen gilt als wichtigster Umschlagplatz für den Bau von Nord Stream 2Bild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Ganz anders sieht das Kleine-Brockhoff. Nord Stream 2 sei "eine große strategische Fehleinschätzung der Bundesrepublik". Sie schade nicht nur den Beziehungen Deutschlands mit den Amerikanern, sondern besonders denen mit den Osteuropäern - wichtige Verbündete innerhalb Europas. Er schlägt eine osteuropäische Energiesicherheits-Initiative vor, für ein Leben "mit oder nach Nord Stream 2". 

Entkoppeln und Anleinen 

Doch egal wie lange man einatmet, bei einem Thema scheint die gemeinsame Luft beider Verbündeter dünn: China. Der Umgang mit dem Aufstieg des Landes wird die transatlantischen Beziehungen in den nächsten Jahren auf eine harte Probe stellen. Für die Amerikaner ist klar, ein "decoupling", also eine volle Entkoppelung mit China, muss stattfinden. Dochwährend die EU China als "systemischen Rivalen" sieht, ist das Bündnis, und besonders Deutschland, weit davon entfernt, seine Handelsbeziehungen mit China herunterzufahren. Der deutsche Export nach China ist von 2019 zu 2020 sogar noch einmal um 14 Prozent gestiegen

Made in Germany - China - Vom Partner zum Rivalen?

26:10

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Eine gemeinsame Politik müsse gefunden werden, so Kleine-Brockhoff. Dabei hält der Vizepräsident des GMF eine Mischung aus Grenzsetzung und Kooperation mit China für möglich. Der Deal: Die USA rücken von ihrer "Entflechtungsideologie" ab, während die Europäer die Sicherheits- und Technologiebedenken der USA ernster nehmen - etwa beim Thema 5G-Netzausbau. Auch die von Handelsexperten langersehnte Reform der Welthandelsorganisation (WTO) wäre dabei ein Meilenstein, um China in Handelsfragen gemeinsam an die Leine zu legen.

Das Streben nach Gemeinsamkeit, basierend auf dem Verständnis, dass die USA Europa brauchen und umgekehrt, sie beflügelt viele Transatlantiker in diesen Wochen in Berlin. Dass dieses Streben überparteilich sein muss - in Deutschland, wie in den USA - da sind sich beide Experten einig. Dafür sollte Joe Biden den Republikanern in den nächsten vier Jahren immer wieder Angebote machen. Denn der Präsident hat wenig Zeit, schon nächstes Jahr sind in den USA Midterm Elections. Bis dahin wird erkennbar sein, wie viele der Vorhaben in seiner Amtszeit wirklich umgesetzt werden können.

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