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Wird die Türkei zum nächsten Saudi-Arabien des Fußballs?

14. August 2025

Die Topvereine des türkischen Fußballs investieren Rekordsummen in Transfers. Das mutet fast wie das Geschäftsgebaren saudischer Klubs an. Was steckt dahinter? Und wie nachhaltig kann die Kauflaune sein?

Zwei Offizielle von Galatasaray flankieren Victor Osimhen und Leroy Sané bei deren offizieller Vorstellung im Stadion
Die neuen Galatasaray-Stars Victor Osimhen (2.v.l.) und Leroy Sané (2.v.r.) bescheren dem Klub GlamourBild: Murat Sengul/Anadolu Agency/IMAGO

Einst als Zufluchtsort alternder Fußball-Stars am Ende ihrer Karriere verschrien, entwickelt sich die türkische Süper Lig zu einem ernstzunehmenden Akteur auf dem Transfermarkt - und konkurriert sogar mit Saudi-Arabien, das in den letzten Jahren zu einer Fußball-Finanzmacht aufgestiegen ist.

Die Verdienstmöglichkeiten, die die "großen Drei" aus Istanbul - Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş - bieten, lockten internationale Stars wie den Nigerianer Victor Osimhen, den deutschen Nationalspieler Leroy Sané und den Kolumbianer Jhon Duran in die Türkei.

Meister Galatasaray, der Osimhen in der vergangenen Saison ausgeliehen hatte, erklärte sich bereit, dem SSC Neapel 75 Millionen Euro für den dauerhaften Transfer des nigerianischen Stürmers zu zahlen. Das ist nicht nur der mit Abstand teuerste Transfer in der Geschichte des türkischen Fußballs, sondern auch der viertteuerste Wechsel der aktuellen Transferperiode weltweit. Angeführt wird die Liste übrigens vom deutschen Supertalent Florian Wirtz, der für rund 150 Millionen Euro vom Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen zum englischen Meister FC Liverpool wechselte.

Hohe Ausgaben trotz hoher Verschuldung

Galatasaray zahlt Osimhen ein Nettogehalt von 21 Millionen Euro pro Jahr. Dessen neuer Vereinskollege Sané, der vom FC Bayern München an den Bosporus wechselte, soll zwölf Millionen Euro im Jahr verdienen. Fenerbahçe-Stürmer Jhon Duran, ausgeliehen vom saudischen Verein Al-Nassr, kassiert dem Vernehmen nach fast 20 Millionen Euro netto pro Jahr, sein brasilianischer Teamkollege Anderson Talisca, der im Januar ebenfalls von Al-Nassr kam, 15 Millionen Euro.

Fenerbahçe-Trainer Jose Mourinho (l.) kann in dieser Saison im Sturm auf den Kolumbianer Jhon Duran (r.) und den Marokkaner Youssef En-Nesyri (2.v.r.) zählenBild: Serhat Cagdas/Anadolu Agency/IMAGO

Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş schleudern nur so mit den Millionen um sich. Und das, obwohl sie hoch verschuldet sind und sich ihr Land in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befindet. Die Gesamt-Schuldenlast der "großen Vier" im türkischen Fußball - neben den drei Vereinen aus Istanbul noch der Klub Trabzonspor - wird auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt. Die Einnahmen reichen seit langem nicht mehr aus, um ihre Ausgaben zu decken.

Brot und Spiele

Beobachter der Fußball-Szene glauben, dass die türkische Regierung die hohen Investitionen der Vereine für hochkarätige Transfers stillschweigend unterstützt, um die fußballbegeisterte Bevölkerung von den Problemen des Landes wie hoher Inflation und Arbeitslosigkeit abzulenken.

"Das Ignorieren des Transfer-Spektakels kann als Teil der Bemühungen interpretiert werden, die Massen während einer Wirtschaftskrise abzulenken, die öffentliche Wut zu entschärfen und die Vereine - und ihre Fangemeinden - unter Kontrolle zu halten", sagt Sportkolumnist Onur Ozgen der DW. "Wir erleben eine lokale Version von 'Panem et circenses', sprich der Politik von Brot und Spielen [im alten Rom -– Anm. d. Red.]", fügt Ozgen hinzu, der für "Evrensel" schreibt, eine der wenigen verbliebenen oppositionellen Tageszeitungen in der Türkei. Mit dieser Meinung steht er nicht allein.

Fans blenden die finanzielle Belastung der Klubs aus

"Fußball steht ganz oben auf der Agenda verarmter Gemeinschaften", sagt Fußballökonom Tugrul Aksar der DW. Er hat Futbolekonomi.com gegründet, die einzige Website in der Türkei, die sich ausschließlich mit der wirtschaftlichen Seite des Fußballs befasst. "Menschen, die sich nicht einmal Brot leisten können, verfolgen den ganzen Tag lang Transfernachrichten."

Dabei richten die Fußball-Anhänger ihre Augen vor allem auf die namhaften Neuverpflichtungen und nicht auf die damit verbundene finanzielle Belastung der Klubs. "In der türkischen Liga herrscht ein harter Wettbewerb zwischen uns und unserem Erzrivalen Fenerbahçe. Wir müssen unsere Überlegenheit um jeden Preis behaupten - ja, wir müssen den Abstand sogar noch vergrößern", findet Mehmet, ein Fan von Galatasaray, gegenüber der DW. "Neue prominente Spieler verschaffen uns auch einen psychologischen Vorteil gegenüber unseren Rivalen."

Mächtige Wählerbasis

Über 90 Prozent der türkischen Fußballfans unterstützen einen der drei großen Istanbuler Vereine, was ihnen enormen politischen Einfluss verschafft. Ihre riesige Fangemeinde stellt eine mächtige Wählerbasis dar, die auch die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, nicht übergehen kann und will.

In den vergangenen Jahren haben Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş erhebliche staatliche Unterstützung erhalten. Mit Zustimmung der türkischen Aufsichtsbehörde für den Kapitalmarkt, die dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft untersteht, haben die Vereine wiederholt neue Aktien ausgegeben, um Kapital von Investoren zu beschaffen. Gleichzeitig gewährten ihnen öffentliche Banken Umschuldungen.

Der Engländer Tammy Abraham (r.) von Beşiktaş gehört zu mehreren Spitzenspielern, die in dieser Saison in der Türkei zwischen sechs und zehn Millionen Euro verdienen Bild: Marcin Golba/NurPhoto/IMAGO

"Große Vereine in der Türkei arbeiten seit langem eng mit dem Staat zusammen", erklärt Ahmet Talimciler, Professor für Soziologie an der Bakircay-Universität in Izmir, im Gespräch mit der DW. "Da ihre Schulden regelmäßig abgeschrieben oder erlassen werden, verpflichten sie, ohne zu zögern, weiterhin teure Spieler."

Gesetz als Druckmittel gegen Vereine

Im Jahr 2022 erließ die Regierung ein Gesetz, das angeblich dazu dienen sollte, übermäßige Kreditaufnahmen von Vereinen zu verhindern. Das Gesetz sieht strenge Sanktionen vor, darunter Freiheitsstrafen für Funktionäre, die ihre Vereine in die Verschuldung treiben. Die Klubs dürfen Kredite nur in einer Höhe von maximal zehn Prozent ihrer Bruttoeinnahmen des Vorjahres aufnehmen. Durchgesetzt wurde das Gesetz bislang nicht. Viele glauben, dass die Regierungspartei es nur als Druckmittel gegen Fußballvereine und Fangruppen einsetzt, um sie zu kontrollieren.

In der Vergangenheit waren türkische Fangruppen häufig bei Protesten auf die Straße gegangen, etwa 2013 bei den großen Gezi-Park-Demonstrationen gegen Erdogan in Istanbul. Bis vor kurzem gehörten Stadien zu den wenigen Orten im Land, an denen die Fans noch offen ihre Ablehnung gegen die Regierung zum Ausdruck bringen konnten. Seit der Verhaftung Ekrem Imamoglus, des Präsidentschaftskandidaten der wichtigsten Oppositionspartei CHP, im vergangenen März sind jedoch keine Protestgesänge mehr in den Stadien zu hören. Auch bei den anhaltenden Straßenprotesten gegen die Inhaftierung Imamoglus sind Fanclubs auffällig abwesend.

Politikfreie Tribünen

Für den CHP-Abgeordneten Mustafa Adiguzel ist das kein Zufall. Die regierende AKP habe offenbar eine Vereinbarung mit den drei großen Vereinen getroffen, sagt Adiguzel der DW. Die Klubs hielten ihre Fangruppen unter Kontrolle, im Gegenzug drücke die Regierung bei den Ausgaben für Spieler ein Auge zu, so Adiguzel: "Die Regierung, die die Prüfung von Vereinen als Belohnungs- und Bestrafungsmechanismus nutzt, überträgt damit faktisch der Vereinsführung die Aufgabe, die Tribünen zu kontrollieren."

Laut Onur Ozgen hält dieser, so wörtlich, "Schlagstock" der Regierung nicht nur die Verantwortlichen der Vereine in Schach, sondern drängt auch die Fans zur Selbstzensur. Das obligatorische elektronische Ticketingsystem Passolig und Stadionkameras würden als Instrumente eingesetzt, um für "politikfreie Tribünen" zu sorgen, sagt Ozgen.

Beşiktaş hat den türkischen Nationalspieler Orkun Kökçü von Benfica Lissabon ausgeliehen - mit einer Kaufoption für 25 Millionen EuroBild: Beyza Comert/Anadolu Agency/IMAGO

Viele Vereinsfunktionäre müssten mit rechtlichen Schritten rechnen, wenn das Gesetz strikt angewandt würde, glaubt Sportökonom Aksar. Stattdessen würden übermäßige Kreditaufnahmen bewusst zugelassen: "Man hält die großen Vereine verschuldet, damit sie konform mit der Regierung bleiben." Das türkische Sportministerium hat bisher nicht auf eine Anfrage der DW geantwortet, warum die Vereine weiterhin Kredite aufnehmen dürfen - trotz des Gesetzes, das diese Praxis eindämmen soll.

Kann die Ausgaben-Orgie weitergehen?

Nach Ansicht Ozgens folgen die großen drei Istanbuler Vereine Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş der Fantasie, im Fußball "das Saudi-Arabien Europas" zu werden. Auf lange Sicht könne das jedoch nicht funktionieren. "Es gibt keine Öleinnahmen, nur Schulden und aufgeblähte Lohnkosten. Die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben ist enorm", sagt der Sportkolumnist. "Effektiv betrachtet, schrumpfen die Einnahmen aus den Fernsehübertragungen, die Erträge aus Spieltagen und Merchandising sind begrenzt. Die Vereine geben Geld in Dollar oder Euro aus, verdienen aber in türkischen Lira und verlieren mit jedem Transferfenster an Boden."

Ozgen weist zudem auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Saudi-Arabien und dem türkischen Vereins-Trio aus Istanbul hin: "Saudi-Arabien verfolgt eine staatlich finanzierte Strategie. Die türkischen Vereine dagegen haben zwar enge Verbindungen zur politischen Macht, verfügen aber nicht über vergleichbare finanzielle Ressourcen."

Dieser Artikel wurde aus dem englischen Original "Is Turkey becoming football's next Saudi Arabia?" adaptiert.