8. Hören statt Sehen
6. Januar 2021Zum Podcast geht es hier.
Matthias Klaus: Willkommen bei Echt behindert! Ich bin Matthias Klaus. "Was machen denn die Blinden da im Kino?" Hieß es mal in einem Song des Liedermachers Ulrich Roski. Und Die Frage: Aber Fernsehen, das ist bestimmt nichts für dich? Diese Frage müssen Blinde auch heute manchmal noch beantworten.
Folglich wissen auch nur sehr wenige, was Audiodeskription ist. Doch die gibt es schon seit 30 Jahren. Es gibt sie immer mehr: im Fernsehen, im Kino, im Theater, im Fußballstadion und sogar bei Kunstausstellungen. Für den heutigen Podcast habe ich mit verschiedenen Menschen gesprochen, die Bilder für Blinde und Sehbehinderte beschreiben.
Bernd Benecke arbeitet beim Bayerischen Rundfunk. Er ist eine der zentralen Figuren der deutschen Audiodeskription. Ich habe ihn gefragt, wie das damals alles angefangen hat.
Bernd Benecke: Genau in dieser Zeit tauchte so etwas wie die Audiodeskription, die damals noch gar nicht so hieß, auf. Da gab es eine Vorführung auf dem Filmfestival in Cannes. Kollegen aus den USA haben Audiodeskription, die da das erste Mal ausprobiert wurde, vorgeführt. Das waren Ausschnitte unter anderem aus einem Indiana Jones Film.
Das ging ein bisschen durch die Presse und wir Zivis fanden das total spannend - hatten halt jeden Tag mit Blinden zu tun und haben aus Spaß versucht, das dann selber zu tun. Dann wurde der Chef der Columbia Tristar darauf aufmerksam, einer Filmfirma. Der hatte gerade zwei Filme im Programm, in denen blinde Menschen vorkamen.
Er fand das sehr interessant, was wir da vorhatten. Wir haben ihm von dieser Audiodeskription erzählt und wir haben tatsächlich für einen seiner Filme die Audiodeskription dann gemacht - noch sehr improvisiert.
Es gab eine Kinovorführung im Münchner Filmmuseum. Das war immerhin so erfolgreich, dass es ein paar Nachfolgeprojekte gab, die wiederum die Aufmerksamkeit von einem Regisseur erweckten, der einen Film auf dem Filmfestival in München hatte. Dann haben wir die Audiodeskription für diesen Film gemacht und der hat dafür gesorgt, dass es damals im ZDF auch das erste Mal im Fernsehen kam.
Beim Bayerischen Rundfunk war ich zu der Zeit schon. Die suchten auch irgendwie ein Feld, ihr Angebot an Untertiteln für Gehörlose um ein neues Produkt zu erweitern. Dann haben wir 1997 auch noch sehr improvisiert und auch wirklich in sehr kleinem Umfang angefangen, hier beim BR mal einen Film pro Monat mit Audiodeskription zu versehen.
Das Ganze blieb in der Nische bis zum Jahr 2013 mit der Änderung der Rundfunkgebühr zum Rundfunkbeitrag. Das bedeutete, dass auch behinderte Menschen nicht mehr pauschal befreit sind von dieser Gebühr. Es war klar, dass auch das Angebot sowohl an der Untertitelung als an der Audiodeskription größer werden muss. In dem Augenblick ist aus der Nische "Alltag" geworden und Wir sind bei dem Angebot, wie wir es heute im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorfinden.
Einspieler: Eine Audiodeskription des Anfangs der Krimi-Sendung Tatort:
"Das Augenpaar eines Mannes. Er sieht nach links, nach rechts, geradeaus. Um das rechte Auge schließt sich ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz reißt auf, die verschwommene Silhouette eines Mannes. Er hält sich die Hände schützend vors Gesicht. Rennende Beine auf nassem Asphalt. Weiße Linien formieren sich zu einem Fingerabdruck. ...Tatort!
Im Büro von Polizeipsychologin Lydia Rosenberg sitzt Max auf einem hellen Ledersofa. Seine Jacke liegt neben ihm. Die lichtdurchlässigen Jalousien sind zugezogen. Es ist 12 Uhr, apathisch starrt Max vor sich hin. Die blonde Lydia sitzt ihm gegenüber.
Sie wippt mit einem Fuß und mustert Max. In der rechten Hand hält sie ein aufgeschlagenes Notizbuch, in der linken eine Lesebrille. Besorgt schaut Lydia auf die Uhr neben sich. Es ist 12:40. Lydia sagt, '40 Minuten und du hast noch kein Wort gesagt. Du musst dich der Sache stellen Max. Das ist der einzige Weg.'
Max wendet sich Lydia zu. Sie sehen einander in die Augen. Plötzlich greift Max seine Jacke und steht auf. 'Max!' sagt Lydia. Er eilt aus dem Raum. Während Max einen Gang entlang geht, zieht er sich seine Blouson Jacke über. Im Treppenhaus steigt er die Stufen hinab."
Matthias Klaus: Sie sagten sie sind von Anfang an dabei gewesen. Was haben Sie am Anfang für eine Audiodeskription gemacht und Wie ist die heute?
Bernd Benecke: Anfangs war das natürlich nicht die Idee, die Audiodeskription heute hat. Letztendlich geht es darum, das, was an Informationen fehlt - weil eben das Bild nicht da ist - in einen Text zu setzen, damit sich dann mit dem vorhandenen Filmton ergänzt. Und das unterschätzt man am Anfang auch, dass man schon eine ganze Menge hat: Da ist schon ein Filmton. Da steckt schon viel drin. Das muss man nicht doppeln. Das muss man auch nicht interpretieren.
Das muss man nur um die Informationen ergänzen, die wirklich nur aus dem Bild kommen. Dann muss sich aus dem Ganzen letztendlich wieder im Kopf des Zuhörers und des Zuschauers der Film ergeben. Das kann dann auch jeder für sich selbst entscheiden, ob er das jetzt gut findet oder schlecht findet. Das muss man aber niemandem vorgeben, vorsagen oder zu viel verraten.
Einspieler: Audiodeskription des Spielfilmes "Play":
"In einem weißen Sessel sitzt eine Jugendliche mit kurzen dunkelblonden Haaren. Reglos schaut sie vor sich hin. 'Was hat es dir gegeben? Das Spiel.' die Jugendliche schluckt, unruhig wandert ihr Blick umher.
'Wonach hast du gesucht? Was hast du gehofft zu finden, Jennifer?' Die atmet gleichmäßig.
'Einfach abtauchen. Was Schönes. Und darin Verschwinden,' sagt Jennifer. Jennifer schaut verzagt geradeaus. Das Bild wird schwarz, langsam erscheinen filigrane weiße Großbuchstaben. 'Play.'"
Neue Szene:
"Eine animierte, sonnige Waldlandschaft auf einer Lichtung, ein Felsbrocken 'anscheinend ist mir das gelungen'. Aus dem Gestein ragen Gold, glänzende Kristalle. Violette Blumen wachsen auf einer Wiese. Türkis leuchtende Pilze und wie Stehlampen gebogene Bäume säumen einen Pfad. In den Kronen schimmern kleine Kugeln.
In Sportkleidung joggt Jennifer einen Waldweg entlang. Emma Boarding als Jennifer, Oliver Masucci als Vater Frank, Victoria Mayer als Mutter, Jonas Hämmerle als Pierre."
Matthias Klaus: Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. setzt sich seit langem für Audiodeskription im Fernsehen und im Kino ein.
Ergebnis dieses Engagements ist unter anderem die Deutsche Hörfilm GmbH, eine Firma, bei der 30 Menschen regelmäßig als Bildbeschreiber, Autoren und Redakteure arbeiten. Martina Wiemers leitet diese Firma.
Martina Wiemers: Es ist natürlich so, dass auch das Hören von Hörfilmen, so wie ich das von den sehbehinderten Kollegen immer wieder höre, ein gewisses Training braucht, dass man sich ein bisschen da hineinfindet.
Und es bildet natürlich auch jeder und an jede die eigenen Vorlieben aus: Die einen mögen es lieber wirklich sehr schlank gebaut: knapp strukturiert mit wenigen Hinweisen. Andere mögen es gerne etwas auserzählt und lieben auch mal das eine oder andere sprechende Detail, das dann dazu beiträgt, dass die Handlung noch ein bisschen mehr Farbe kriegt. Was aber natürlich immer bedeutet, dass die Tonspur dichter wird.
Immer ein gutes Verhältnis zu finden ist bei jedem Film eine neue Herausforderung, aber auch eine sehr spannende Aufgabe und eine, die auch wirklich ganz wesentlich von den blinden, sehbehinderten Redakteuren mitgestaltet wird.
Matthias Klaus: Haben Sie so eine Grundregel: Was macht eine gute Audiodeskription aus?
Martina Wiemers: Ja. Wirklich ganz entscheidend ist, dass die Leute die eine Audiodeskription realisieren - als Autoren, als Redakteure, als Sprecher und so weiter - dass die sich klarmachen, dass wir zwar vom Bild ausgehen (Das heißt, es werden die Bilder beschrieben) aber ganz entscheidend ist, dass sie wirklich fürs Hören arbeiten. Die Tonspur des Films ist für uns das absolut einzige verbindliche Gerüst, mit dem wir arbeiten in das wir reinarbeiten.
Das heißt: Alles, was wir über das Visuelle erzählen, das muss in dieser Tonspur funktionieren. Das heißt: Wir arbeiten für den Ton, mit dem Ton fürs Hören. Und wir erzählen eine Geschichte. Das ist unsere allererste Aufgabe: diese Geschichte so packend und so fesselnd zu erzählen, wie sie mit dem Bild rüberkommt.
Alle weiteren Regeln kann man auf diese eine einzige Regel zurückführen. Es geht darum, diesen Film mit der Tonspur im Ton so zu erzählen, dass er richtig packend ist und dass man ihn genießen kann.
Einspieler AUdiodeskription des Spielfilms Schindlers Liste:
"(Klassische Violin-Tanzmusik spielt im Hintergrund) Ein eleganter Nachtklub. Der Mann Oskar Schindler, geht zu dem älteren Oberkellner und beugt sich zu ihm. Schindler ist Mitte dreißig, hochgewachsen und hat dunkles, nach hinten gekämmtes Haar. Er steckt dem Oberkellner Geld zu. Der nimmt es diskret an und führt ihn lächelnd in den großen Salon. Dort unterhalten sich vornehm gekleidete Gäste an Tischen. Paare tanzen. Einige Männer tragen Uniform. Der Oberkellner führt Schindler zu einem freien Tisch. Schindler setzt sich. Aufmerksam taxiert er die Gäste."
Matthias Klaus: Evelyn Sallam ist eine der blinden Redakteurinnen der Deutschen Hörfilm GmbH. Von ihr wollte ich natürlich wissen, was Blinde denn zur Filmbeschreibung beitragen können.
Evelyn Sallam: Wir sitzen mit einem sehenden Kollegen, gucken uns einen Film an und besprechen die AD (die Audiodeskription) ob sie gelungen ist, ob sie aussagekräftig ist, ob sie atmosphärisch ist. Wir gehen den Film durch, beurteilen den Film oder stellen hoffentlich eine gute Audiodeskription her.
Matthias Klaus: Was muss man beachten, um eine gute Audiodeskription zu haben? Man würde vielleicht denken: "Ach man sagt halt was man da sieht und fertig."
Evelyn Sallam: Ja, das denken auch viele Sehende - leider ist es so. Deswegen ist es immer gut, dass auch blinde Redakteure dabei sind. Ich selber bin vollblind und hab früher gesehen und ich liebe filme sehr.
Ich bin deshalb daran interessiert, dass man auch wirklich in den Film eintauchen kann. Eine gute AD ermöglicht es, in den Film einzutauchen, den Film wirklich zu genießen. Eine schlechte AD ist eher störend. Eine gute stellt den Film in den Vordergrund und ermöglicht es mir wirklich einen Filmgenuss zu erleben.
Das heißt, ich bin klar orientiert. Ich weiß, welche Figuren agieren und ich habe auch atmosphärisch einen guten Eindruck. Es wird wiedergegeben, was den Film eigentlich auszeichnet, gut macht und dass ich mir keine Fragen stellen muss: "Was ist da jetzt gerade los?" Das ist natürlich immer kontraproduktiv, weil du dann dich nicht mehr auf den Film einlassen kannst.
Das ist immer wieder so bei der AD. Das hat man oft bei AD-Produktionen, wo keine blinden Redakteure dabei sind, dass einfach runtergetextet wird und ich dann nicht mehr weiß, worum geht es da eigentlich. Dann mache ich es eher aus. Das muss ich wirklich sagen: Dann stört es.
Matthias Klaus: Was für ein Aufwand ist das, eine Audiodeskription zu machen? Wie lange dauert sowas? Wie viele Leute sitzen da dran?
Evelyn Sallam: Wir brauchen im Schnitt fünf Tage. Ungefähr zwei bis drei Tage (je nach Aufwand - kommt drauf an) haben die sehenden Filmbeschreiber, um einen Text erst einmal zu erstellen? Dann gehen wir ihn zusammen durch. Da ist meistens auch nochmal ein Tag vorgesehen. Dann geht er ins Studio und wird da nochmal eingesprochen. Wenn es eine aufwendige Produktion ist, würde ich sagen: Fünf Tage.
Matthias Klaus: Hast du so was wie die goldenen Regeln für einen guten Text?
Evelyn Sallam: Ja. 1. Nicht übertextet. Das ist ganz wichtig, denn der Film steht im Mittelpunkt. 2. Dann atmosphärisch getextet. Der Hörer oder die Hörerin muss immer ganz klar orientiert sein. Das ist für mich das Allerwichtigste.
Einspieler Audiodeskription von einer Performance der Sängerin Maite Kelly:
"Maite Kelly singt, 'Auf einmal ist alles klar. Ich nehm dich heute Nacht...', Maite Kelly ist Ende 30, hat blonde, lange Haare mit Pony, die zu einem Zopf zusammengebunden sind, und hat eine kurvige Figur. Sie trägt roten Lippenstift, ein rotes, enges seidenes Oberteil mit weit ausladenden Rüschen an den Ärmeln und am Hüftsaum, dazu einen passenden langen Schlauchrock und einen silbern glitzernden Gürtel um die Taille sowie silberne Stiefel mit wenig Absatz. Sie ist inzwischen von der hinteren Bühne über den langen Steg zur vorderen Hauptbühne gegangen und geht nun auf die rechte Stegbühne. Mit ihr performen acht Tänzer in weißen Jeanshosen: Oberkörper frei, die weiße Bänder um die Oberarme gebunden haben und passend zum Songtext eine dynamische Choreografie tanzen. Maite Kelly singt, 'Ich will dich heute Nacht und alles was mir fehlt'."
Matthias Klaus: Seit dem Jahr 2013 gibt es Bildbeschreibungen für Blinde, auch bei Live-Sendungen im Fernsehen, sei es der sonntägliche Fernsehgarten oder eine Quizshow - und natürlich der Eurovision Song Contest. Larissa Strepp ist Schauspielerin und Moderatorin und sie ist Bildbeschreiberin.
Larissa Strepp: Ich mache den Bereich der Live-Audiodeskription. Das bedeutet: ich mache die akustische Bildbeschreibung für sehbehinderte und blinde Menschen in Live-Unterhaltungssendungen unter anderem und beschreibe präzise das Bild.
Matthias Klaus: Können Sie mir ein paar Beispiele für Sendungen nennen, die Sie machen?
Larissa Strepp: Hauptsächlich in der Sommersaison ist das für den ZDF und für das erste "Immer wieder Sonntags" und der "Fernsehgarten." Das stellt sich so dar, dass wir eben das Bild beschreiben, also z.B. Künstler beschreiben, indem wir sagen: Was tragen die? Wie sehen die aus? Haben die vielleicht prägnante Gestiken, während sie performen? Oder ist die Mimik besonders, dass man sie beschreiben sollte?
Wir versuchen ein bisschen das, was für die Sehenden selbstverständlich ist, auch für einen sehbehinderten oder einen blinden Zuschauer möglich zu machen - eben durch unsere Worte, die wir beschreiben, ein Bild in den Köpfen entstehen zu lassen.
Matthias Klaus: Sie haben während dieser Live-Sendung nicht besonders viel Zeit. Wie können Sie sich denn da vorbereiten, dass Sie wissen, "Okay, in diesen 18 Sekunden sag ich jetzt genau das Richtige."
Larissa Strepp: Einen Tag vor der Sendung findet eine Probe statt, eine Generalprobe, an der wir auch teilnehmen dürfen und haben dann schon mal eine gewisse Möglichkeit ein bisschen zu wissen, wie der Ablauf der ganzen Sendung ist.
In der Live-Sendung ist immer wieder etwas anders. Aber da haben wir dann ein Regelwerk, an das wir uns halten können. Bei einem Song, der performt wird, ist es dann z.B. so, dass wir nur in den zweiten Refrain reingehen. Somit haben wir vorher die Zeit und Möglichkeit zu schauen: Okay, was trägt der Künstler? Wie bewegt er sich zu seinem Lied? Macht er irgendwelche Mimiken und Gestiken, die man dann genau zu diesem Zeitpunkt benennen kann?
Dafür nutzen wir dann die Sekunden, um das zu benennen und dann gehen wir wieder raus, so dass wir z.B., wenn es ein Lied ist, was performt wird, nicht über das Ganze Lied drüber gehen. Der Zuhörer hat dann noch die Möglichkeit, das Lied zu genießen.
Matthias Klaus: Gibt es Momente, wo Sie selber überrascht sind? Dass jetzt ein Künstler zum Beispiel oder der Moderator, die Moderatorin, etwas tut mit dem Sie nicht gerechnet haben? Was Sie aber wissen, das muss ich jetzt eigentlich unbedingt sagen. Wie geht man mit sowas um?
Larissa Strepp: Auf jeden Fall. Das findet natürlich immer wieder statt und das ist auch wirklich ganz wichtig, da auch mutig zu sein und das wirklich möglichst schnell nachzuliefern. Dann muss man natürlich möglichst einen Zeitraum nutzen, wo man dann die Situation an sich, die gerade passiert, natürlich nicht zerstört. Man läßt sie schon noch stehen, so dass man natürlich trotzdem immer noch Teil der Situation ist.
Wenn z.B. etwas runterfällt und die Moderatorin sagt noch was dazu, dass man wirklich aufpasst: Ich gehe jetzt da noch nicht rein, sondern ich warte wirklich genau den Zeitpunkt ab, wo vielleicht z.B. das Publikum gerade lacht oder applaudiert.
Man sagt: Okay, jetzt kann ich schnell den Zeitpunkt nutzen und schnell in Worte formulieren, dass das Mikrofon runtergefallen ist auf den Fuß und die Moderatorin oder ein Moderator sich schnell runter gebeugt hat, um das Mikrofon, was gerade über die Bühne rollt, wieder einzusammeln.
Matthias Klaus: Neben Fernsehdingen, tun Sie auch Live Veranstaltungen? Sind Sie auch mal bei einem großen Event oder bei einer großen Party oder einem Konzert oder so? Oder machen sie das nur fürs Fernsehen?
Larissa Strepp: Tatsächlich machen wir auch Live-Audiodeskription an Theatern z.B. an Theaterstücken. Ich persönlich habe das bis jetzt noch nicht gemacht. Kollegen haben das aber schon gemacht. Was ich schon mal gemacht habe war hier in Hamburg fürs BGW Forum (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege), also für so ein Gesundheitsforum.
Da war das direkt vor Ort, dass wir dann da eben Messeteilnehmern, die sehbehindert waren, die Möglichkeit geben konnten, dass da auch Sachen bei Reden oder so beschrieben wurden. Es gab auch ein Fußballturnier, welches nur Blinde veranstaltet haben: Blinde Fußballspieler, die das Spiel gespielt haben. Da wurde es dann auch beschrieben von uns. Das war live vor Ort. Auch da passiert immer mehr.
Einspieler Fußballreporter:
"Turan mit der Flankenmöglichkeit.an der Eckfahne. Jetzt wird's gefährlich! Kopfball hoch! Grizman! Leno ist da, pflückt den Ball runter. Weiter auf Castro. Castro passt halblinks zu Wendell. Wendell verfolgt von Turan. Macht aber Meter. Spielt auch Zentrum zur dribble. Doppelpass- Versuch. Ungenauer Pass zu Drimic. Wendell foult dann. Kein schlimmes Foul. Spiel den Ball dann weg. Dumm gemacht von ihm. Das könnte Gelb geben, zum Ende."
Matthias Klaus: So klingt Live-Audiodeskription im Fußballstadion. Der Reporter Björn Nass berichtet für die blinden Fußballfans, die sich die Reportage auf dem Platz mit Funkkopfhörern anhören können.
Björn Nass: Ich komme selber aus dem Fußball. Ich bin Blindenreporter für Bayer 04 Leverkusen. Da ist es ganz wichtig, sich jeden Pass, jede Spielsituation, die man sieht, wie ein Buch vorzustellen: Das ist ein Satz in einem Buch. Jeder Pass und den versucht man in Wörter zu übersetzen: ob der Ball flach, ob der Ball halbhoch, ob der schnell, ob der langsam kam. Wie mit welchem Fuß er angenommen wurde und so weiter um so ein Bild beim Nutzer zu erzeugen.
Matthias Klaus: Was hat dich dazu gebracht, diese Sache zu machen? Soweit ich weiß, ist die dann auch noch ehrenamtlich.
Björn Nass: Das war ein sehr lustiger Zufall. 2009 hat die Deutsche Fußball Liga ein Seminar für Blindenreporter veranstaltet, das erste ihrer Zeit. Da bin ich irgendwie drauf gestoßen. Ich habe da einfach angerufen, ob man da auch als nicht Vereinszugehöriger einfach teilnehmen kann, weil mich das interessiert hat.
Ich komme selber aus dem Fußball. Ich war jahrelang Jugendtrainer und war die Allzweckwaffe des Ehrenamtes, vom Schiedsrichter über Jugendtrainer, habe auch selber gespielt.
Dann bin ich da bei diesem Seminar aufgetaucht, weil es mich einfach nur so interessiert hat. Am Ende des Tages sprachen mich die beiden Reporter von Bayer Leverkusen an, und haben gefragt ob ich nicht Lust hätte sie zu unterstützen.
Und so bin ich 2009 da reingerutscht in die ganze Thematik. Am Ende des Tages ist es dann so, dass aus dieser Leidenschaft - die da angefangen hat, wo der Samen gepflanzt wurde - durchaus ein zartes Pflänzchen und daraus ein stattliches Pflänzchen gewachsen ist. Ich habe darüber einfach festgestellt: Es gibt noch so viel mehr außer Fußball, wo man Teilhabe ermöglichen kann und wo man seine Talente auch einbringen könnte.
Matthias Klaus: Im Gegensatz zur Audiodeskription ist das mehr so ein abstraktes Geschäft. Seht ihr die Menschen, für die ihr da eure Live-Dinge tut? Man ist ja immer mit den Leuten zusammen im Normalfall - zumindest mal im selben Stadion. Ihr wisst auch wie viele das sind, die Euch zuhören. Ändert das was für dich? Oder ist es egal? Bist du dann einfach nur noch der Reporter, der jetzt den besten Job machen will?
Björn Nass: Ja und nein. Es ändert natürlich was, weil es auch ein Teil der Grundmotivation ist. Das haben wir eben angesprochen: Wir machen das ehrenamtlich. Großflächig in der ersten und zweiten Bundesliga, ist natürlich der Kontakt zu den Nutzern: das Austauschen, über Fußball reden, einfach zu fachsimpeln und daraus eine Motivation zu ziehen.
Die Zahl der Zuhörer ändert nichts daran. Es ist egal, ob nur ein Nutzer dort sitzt oder ob gleichzeitig noch ein Live-Stream läuft und da 10.000 zuhören. Das ist total egal. Wenn einer dir zuhört, willst du immer das Bestmöglichste abliefern, willst du immer Deine beste Leistung bringen.
Ich mache es nicht alleine bei Bayer Leverkusen. Wir machen es im Team durch viel, viel, viel Übung in Seminarform. Z.B. treffen wir uns zweimal im Jahr und halten ein internes Schulungsseminar ab. Wir überprüfen uns nach jedem Spiel und coachen uns gegenseitig: Was war gut? Was war schlecht? Um sich einfach weiterzuentwickeln, denn das ist der Anspruch, den wir haben, egal ob wir einen oder 10.000 Nutzer haben: Wir wollen immer, dass nächste Spiel soll immer unser Bestes werden.
Matthias Klaus: Wie viele Leute kommen denn da so hin?
Björn Nass: Das hängt ganz davon ab, wer der Gegner ist. Für Leverkusen gesprochen, ist es so: Wenn Bayern München kommt, ist die Hütte voll. Wir haben 23 Plätze für Blinde und Sehgeschädigte. Das heißt, da ist immer ausverkauft. Dortmund gegen Schalke, das gleiche in Grün, wenn jetzt Hoffenheim oder Augsburg kommen. Da sind es dann 12 bis 13 Leute, die kommen. Das sind aber unsere Stammhörer, die eigentlich immer da sind. Auch bei einem Euroleague Spiel um 21 Uhr 5 Anstoß, kommen die teilweise 50 bis 70 km angereist. Diese 13 sind eigentlich immer da.
Sprecher: Der Publikumspreis
Matthias Klaus: Seit dem Jahr 2002 wird der Deutsche Hörfilmpreis verliehen. Audiodeskription wird auch mit "AD" abgekürzt. Deshalb heißt der Preis auch "ADele." Im Jahr 2020 wurde die ADele an Spielfilme, Serien und Fernsehfilme verliehen, aber auch an die beliebteste und bekannteste deutsche Kindersendung.
Einspieler Audiodeskription der TV-Bildungssendung Die Sendung mit der Maus:
"Die Maus stellt sich an eine Tafel. Darauf steht '6+6=81.' Nachdenklich zählt die Maus mit ihren Fingern nach. Sie schüttelt den Kopf und lächelt. Aus ihrer Bauchtasche holt die Maus einen Schwamm und will die Rechenaufgabe abwischen. Dann kommt der Elefant zu ihr. Er dreht die Tafel um. Nun stehen die Zahlen auf dem Kopf. Aus der 6 wird eine 9, aus der 81 eine 18. Die Rechenaufgabe heißt jetzt '18=9+9.' Staunend betrachtet die Maus die Tafel und nickt dem Elefanten zu. Der freut sich und läuft fröhlich weiter.
Neue Szene:
In einem Studio löst jemand ein rotes Schleifenband von einem Karton und holt eine reliefartige Bronzeskulptur heraus. Die ADele stellt ein Frauengesicht dar. Mit der rechten Hand hält sich die ADele die Augen zu. Die linke Hand liegt hinter ihrer Ohrmuschel.
Jetzt ist eine große orangefarbene Plüschmaus im Studio zu sehen. Sie hat große Augen, eine schwarze Nasenspitze und schwarze Barthaare. Die Ohren und Beine der Maus sind braun. Sie trägt einen schwarzen Zylinder und hat eine Fliege umgebunden. Auf einem Hocker neben ihr steht die ADele. Die Maus lächelt. Im Hintergrund ist eine Panoramaaufnahme der Stadt Köln mit Dom und Rhein zu sehen.
Dann stehen acht blinde und sehbehinderte Kinder im Studio. Freudig lächeln sie. Drei Jungen recken jubelnd die Arme. Genau so wie die Kinder der LVR Severinsschule in Köln und die Maus, freut sich auch das ganze Audiodeskriptions-Team der WDR Media Group, dass die Hörfilm Fassung 'Der Sendung mit der Maus' den diesjährigen Publikumspreis gewonnen hat."
Matthias Klaus: Das war eine Rundreise durch die Welt der Audiodeskription. Wenn Sie blind oder sehbehindert sind und die Sache noch nicht kannten, dann nutzen Sie diesen Service. Sie werden Film und Fernsehen völlig neu erleben. Wenn Sie sehen können, dann schalten Sie mal spaßeshalber auf Ihrem Fernseher den zweiten Tonkanal ein. Oder suchen Sie im Internet nach dem Stichwort: Hörfassung. Dann schließen Sie die Augen und genießen.
Mehr Infos darüber, wie man Hörfilme technisch empfängt gibt es unter www.hoerfilm.info. Das war's für heute. Mein Name ist Matthias Klaus. Bis zum nächsten Mal!
Sprecher: Das war Echt behindert! Mehr Folgen und mehr Infos unter dw.com/wissenschaft
Zum Podcast geht es hier.
Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.