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Transnistrien: Russlands strategisches Portal nach Europa

26. September 2025

Über Transnistrien, den separatistischen Landstreifen im Osten der Republik Moldau, sind viele Mythen und Falschinformationen in Umlauf. Tatsächlich ist das Gebiet ein Projekt und eine Exklave russischer Geheimdienste.

Ein großes rundes Wappen zeigt einen Ährenkranz, in der Mitte Hammer und Sichel und darüber der rote Sowjetstern. Im Hintergrund des Bildes ist eine Statue zu sehen, die einen Reiter auf einem Pferd zeigt
Das Wappen von Transnistrien zeigt sowjetische SymboleBild: Sergei Gapon/AFP

Seit dem Beginn des vollständigen russischen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 kommt auch die Republik Moldau verstärkt in deutschsprachigen Medien vor - und damit auch der Konflikt um ihren separatistischen Teil Transnistrien. Meistens ist jedoch nur von der "kremltreuen, international nicht anerkannten Republik Transnistrien" die Rede. Doch was ist Transnistrien eigentlich? Wie entstand es und was will Russland dort? Die DW beantwortet die wichtigsten Fragen.

Woher kommt der Name Transnistrien?

Transnistrien bedeutet "Land jenseits des Dnister". Im weiteren Sinne ist es das Gebiet am östlichen Unterlauf des Flusses Dnister. Ende des 18. Jahrhunderts wurde es vom Russischen Reich annektiert. In der Sowjetzeit war Transnistrien zunächst Teil der Moldauischen Autonomen Sowjetrepublik innerhalb der Ukrainischen Sowjetrepublik. Nach der sowjetischen Annexion Bessarabiens 1940 im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes schuf Stalin aus dem annektierten Gebiet und einem schmalen Landstreifen in Transnistrien die Moldauische Sowjetrepublik. Das heute als Transnistrien bezeichnete Gebiet ist ein rund 200 Kilometer langer und teils nur wenige Kilometer breiter Landstreifen entlang des linken Dnister-Ufers. Er macht etwa zehn Prozent des moldauischen Territoriums aus.

Wer lebt in Transnistrien?

Heute leben in Transnistrien geschätzt 360.000 Menschen, rund 13 Prozent der Gesamtbevölkerung der Republik Moldau (2,8 Millionen Einwohner). Laut einer Volkszählung von Ende 2015 erklärten sich 29,1 Prozent als Russen, 28,6 Prozent als Moldauer, 22,9 Prozent als Ukrainer, 14 Prozent machten keine Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit.

Wie steht es um die Bewegungsfreiheit aus und nach Transnistrien?

Der Reiseverkehr aus und nach Transnistrien ist möglich, wird aber durch illegale "Grenzkontrollen" transnistrischer Grenzpolizisten und russischer Soldaten überwacht und kontrolliert. Journalisten dürfen offiziell in der Regel nicht einreisen. In Transnistrien selbst wird die Bevölkerung rigoros überwacht.

Ging es im Transnistrien-Konflikt um einen Sprachenstreit?

Der Sprachenstreit war in dem Konflikt nur ein Vorwand. Ende der 1980er Jahre fand in der Kommunistischen Partei der Moldauischen Sowjetrepublik ein Machtkampf zwischen Reformern und Orthodoxen statt, bei dem auch nationale Themen instrumentalisiert wurden. Die Reformer, in der Mehrheit rumänischsprachige Moldauer, entschieden vor dem Hintergrund einer breiten "Bewegung der nationalen Wiedergeburt", dass das Rumänische (damals noch genannt Moldauisch) wieder in lateinischer Schrift geschrieben werden konnte, statt in kyrillischer, wie es einst Stalin angeordnet hatte, und erklärten Moldauisch neben Russisch zur Amtssprache.

Das Gebäude des Obersten Sowjets in Tiraspol mit einem Lenin-Denkmal davorBild: Violeta Colesnic/DW

Viele nicht-rumänischsprachige Menschen im Land fürchteten sich damals vor einer möglichen Wiedervereinigung der Republik Moldau mit Rumänien. Orthodoxe Kommunisten, in der Mehrheit Russen, nutzten dies aus, um im September 1990 in dem schmalen Landstreifen am linken Dnister-Ufer eine neue Sowjetrepublik auszurufen, die sie später "Transnistrische Moldauische Republik" nannten. Sie ist international bis heute von niemandem anerkannt, auch von Russland nicht.

Waren die Kämpfe um Transnistrien ein Bürgerkrieg?

Nach der Unabhängigkeit der Moldau-Republik im August 1991 kam es im Frühjahr 1992 zu mehrmonatigen blutigen Kämpfen zwischen der legitimen moldauischen Staatsmacht und den Separatisten. Letztere konnten sich mit Unterstützung der 14. Russischen Armee, zahlreicher aus Russland eingereister "freiwilliger Kämpfer" und mit Hilfe russischer Waffen an der Macht halten. Die Kämpfe waren kein Bürgerkrieg, da die große Mehrheit der moldauischen Bevölkerung, auch in Transnistrien selbst, die Separatisten nicht unterstützte. Sie waren vielmehr Russlands erster postsowjetischer Krieg gegen ein Land, das sich aus dem Imperium befreit hatte. 1999 verpflichtete Russland sich auf dem Istanbuler OSZE-Gipfel, seine Truppen aus Transnistrien abzuziehen. Das ist bis heute nicht erfolgt.

Wie sieht das politische System in Transnistrien aus?

Die transnistrischen Separatisten haben in dem Gebiet die Diktatur sowjetischen Typs beibehalten und ausgebaut. Im Obersten Sowjet (Parlament) sind nur eine Partei ("Erneuerung", 29 Sitze) sowie vier "unabhängige" Abgeordnete vertreten. Seit 2016 amtiert der ehemalige Armeeoffizier Wadim Krasnoselski als "Präsident" Transnistriens.

Tiraspol ist die Hauptstadt TransnistriensBild: Goran Stanzl/Pixsell/imago images

Freie Medien gibt es in dem Gebiet nicht, Menschen- und Bürgerrechte werden systematisch missachtet. Das Rumänische in lateinischer Schrift ist in Transnistrien nach wie vor verboten. Seit 1992 gab es in Transnistrien zahlreiche politische Gefangene, von denen die Gruppe um den von 1992 bis 2001 inhaftierten antikommunistischen moldauischen Aktivisten Ilie Ilascu zu den bekanntesten gehörte. Häufig werden moldauische Bürger aus dem freien Landesteil unter Vorwänden in Transnistrien gekidnappt und für Erpressungsmanöver benutzt.

Warum ist Transnistrien so wichtig für Russland?

Transnistrien muss vor allem als eine Art Militär- und Betriebsgelände russischer Geheimdienste und staatlicher russischer Strukturen verstanden werden und dient unter anderem als Drehscheibe für Geldwäsche. Auch der vielfache Wahlbetrug via Stimmenkauf in der Republik Moldau wurde und wird unter anderem über Filialen russischer Banken in Transnistrien abgewickelt.

Transnistrien hat eine eigene, nicht-konvertible Währung (transnistrische Rubel)Bild: AA/picture alliance

Beherrscht wird das Gebiet faktisch von einer oligarchischen Gruppierung um den ehemaligen KGB-Offizier Viktor Guschan, der unbestätigten Angaben zufolge auch heute für russische Geheimdienste arbeiten soll. Guschan war 1993 Mitbegründer der Unternehmensholding Sheriff, die in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen Transnistriens eine Monopolstellung hat. Guschan und ihm nahestehende Geschäftspartner besitzen außerdem ein internationales Geflecht von Offshore-Firmen.

Transnistrien ist ein wichtiger russischer Militärstützpunkt und Basis für mögliche Angriffe im Südwesten der Ukraine und gegen die Republik Moldau selbst. In dem Gebiet sind schätzungsweise 1500 russische Soldaten stationiert. Beim Dorf Cobasna im Norden Transnistriens lagert ein riesiges, ehemals sowjetisches Waffenarsenal mit rund 20.000 Tonnen Munition und Waffen.

Wie finanziert sich Transnistrien?

Bis Anfang 2025 finanzierte sich Transnistrien überwiegend durch russische Gaslieferungen an die Republik Moldau. Mit einem Teil des vom moldauischen Unternehmen Moldovagaz bezahlten Gases wurde in Transnistrien im Gaskraftwerk Cuciurgan (gelegen an der Grenze zur Ukraine) Strom erzeugt, den Transnistrien an den freien Landesteil verkaufte. Damit finanzierten Russland und die Republik Moldau faktisch das transnistrische Regime. Das Gebiet ist zudem an das russische Bankensystem angeschlossen. Transnistrien exportiert auch Stahl- und Metallprodukte, Textilien und Agrarwaren, fast ausschließlich in Länder der Europäischen Union. Für Exporte müssen sich Unternehmen im Zollregister des legitimen Teils der Republik Moldau anmelden.

Könnte der Transnistrien-Konflikt bald gelöst werden?

Seit 1993 wird um eine Lösung des Transnistrien-Konflikts verhandelt, unter anderem im sogenannten 5+2-Format unter der Schirmherrschaft der OSZE. Russland verhindert jedoch seit damals eine Wiedereingliederung Transnistriens in die Republik Moldau. Seit Anfang 2025 russische Gaslieferungen an die Republik Moldau durch den ukrainischen Transitstopp eingestellt wurden, fiel die wichtigste Finanzierungsquelle Transnistriens weg. Deshalb wird über einen möglichen Zusammenbruch des transnistrischen Regimes spekuliert. Die legitime Regierung in der Republik Moldau hat jedoch derzeit kein Interesse an einer Eskalation und auch nicht die militärischen Möglichkeiten, das transnistrische Regime zu beseitigen.

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