1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Trauer in der Villa Kunterbunt

28. Januar 2002

Mit 94 Jahren ist die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren gestorben. Ihre kunterbunte Welt, in der Kinder auf Limonadenbäume klettern und mit den Füßen auf dem Kopfkissen schlafen, wird weiterleben.

Astrid LindgrenBild: AP

Gegen Ende ihres langen Lebens hat Astrid Lindgren immer wieder sehr deutlich den Wunsch geäußert, man möge ihr
unter allen Umständen den Literaturnobelpreis ersparen. Die ganze Aufregung habe Preisträger schon das Leben gekostet, meinte die berühmteste und beliebteste Kinderbuchautorin der Welt.

Die Nobeljuroren der Schwedischen Akademie verschonten die Verfasserin von "Pippi Langstrumpf". Über zahlreiche andere Auszeichnungen wie den Alternativen Nobelpreis (1994) und den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (1978) meinte die Schwedin vor ihrem 90. Geburtstag, am liebsten seien ihr die "großen und schweren" Preise: "Die brauche ich auf meinen Fensterbänken, um die
Fenster offen zu halten, wenn der Wind kommt."

So hätte das wohl auch Pippi sagen können, die erste und nach wie vor beliebteste Lindgren-Titelfigur (deutsche Übersetzung 1949) in einer beispiellosen Reihe weltberühmt gewordener Kinderbücher wie "Meisterdetektiv Kalle Blomquist" (1950), "Wir Kinder aus Bullerbü"
(1954), "Mio, mein Mio (1955), "Karlsson vom Dach" (1956), "Rasmus und der Landstreicher" (1957), "Michel in der Suppenschüssel" (1964), "Die Brüder Löwenherz" (1974) und "Ronja Räubertochter" (1982).

Respekt und Liebe

Lange vor global vermarkteten Nachfolgern wie Joan K. Rowlings Harry Potter und ohne die geringste Hilfe aus Hollywood erreichte die skandinavische Bauerntochter mit ihren Büchern Kinder in aller Welt, von denen die freche, selbstbewusste Pippi ebenso ins Herz geschlossen wurde wie die heile, idyllische Welt von Bullerbü und der fliegende Junge Karlsson. "Geborgenheit und gleichzeitig Freiheit" in ihrer eigenen Kindheit nannte Astrid Lindgren als entscheidende Triebfedern für ihre schriftstellerische Arbeit. Sie wurde nicht müde zu fordern, den Kindern Respekt entgegenzubringen und vor allem Liebe. Dann kommt die Lebensart von selbst.

Lebensweg

Ihrer eigener Weg bestätigt das: Die Kinderbuchautorin kam am 14. November 1907 in dem Dörfchen Näs als Astrid Anna Emilia Ericsson auf die Welt und wuchs in der benachbarten Kleinstadt Vimmerby auf, wo heute ein Nachbau von Pippi Langstrumpfs berühmter "Villa Kunterbunt" zu bewundern ist. Nach der Ausbildung zur Sekretärin, der Heirat mit dem Chef eines Autoklubs und der Geburt ihrer Töchter veröffentlichte Lindgren 1944 ihr erstes Kinderbuch "Mai-Britt erleichtert ihr Herz", ein Jahr später gefolgt von "Pippi Langstrumpf". Das Buch sei eher zufällig als Unterhaltung für die krank im Bett liegende Tochter entstanden, hat Lindgren später über diesen in 85 Sprachen übersetzten Welterfolg erzählt.

Inger Nilsson, die bekanntere Pippi-Darstellerin in der Filmversion von 1968Bild: AP

Weltweit sind die Bücher von Astrid Lindgren in über 120 Millionen Exemplaren verkauft worden, davon 25 Millionen im deutschsprachigen Raum. Hinzu kommen viele Verfilmungen für das Fernsehen und die Kinoleinwand sowie in den letzten Jahren auch Computerspiele mit Pippi, die allerdings bei vielen Kennern wegen ziemlich hemmungsloser kommerzieller Verkitschung der Figur auf Ablehnung gestoßen sind.

Zivilcourage und Verantwortung

Nach dem Ende ihrer schriftstellerischen Arbeit Anfang der 90er Jahre hat sich Astrid Lindgren öffentlich immer wieder für die Rechte von Kindern, gegen die industrielle Massentierhaltung und für einen
generell verbesserten Tierschutz eingesetzt. Ihre herausragende Stellung in ihrem eigenen Land zeigte sich 1992, als der damalige schwedische Ministerpräsident Ingvar Carlsson der Autorin zum 85. Geburtstag ein neues Tierschutzgesetz "schenkte".

1976 hatte die Schriftstellerin dessen Vorgänger Olof Palme höchst bissig die Zähne gezeigt, als sie gegen eine Einkommenssteuer von angeblich 102 Prozent ihrer Tantiemen zu Felde zog und gegen das Finanzamt gewann. 1994 erhielt Astrid Lindgren den Alternativen Nobelpreis wegen ihres Engagements für "Gerechtigkeit,
Gewaltlosigkeit und Verständnis gegenüber Minderheiten ebenso wie für ihre Liebe und Sorgfalt im Umgang mit der Natur".

Die seit 1952 verwitwete und im Alter fast völlig erblindete
Schwedin behielt bis zuletzt ihre nach Kriegsende bezogene Wohnung in der Stockholmer Dalagata. Den Sommer verbrachte sie direkt am Wasser in der Ostsee-Idylle Furusund eine Autostunde nördlich der Hauptstadt. Sie fühlte sich nach eigener Aussage dabei nicht nur gut umsorgt von einer Freundin, einer Tochter und ihrer Agentin Kerstin
Kvind: "Ich habe ja auch jede Menge Enkel und Urenkel", meinte sie.(dpa/cg)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen