Michael Goolaerts: Trauer und offene Fragen
9. April 2018Die Radsportwelt reagiert fassungslos: "Goolie, genau wie ich 1994 geboren. So sind wir seit Jahren im Peloton zusammen. Ich kann noch nicht fassen, dass dies zu Ende ist", twittert Cross-Weltmeister Wout van Aert. "Dein Lächeln soll mir immer eine Inspiration bleiben. Ruhe in Frieden, Kumpel." Van Aert schreibt diese Sätze über einen Freund und Teamkollegen, den er verloren hat: Michael Goolaerts. Mit gerade einmal 23 Jahren verstarb das belgische Klassikertalent Stunden nach dem Rennen Paris-Roubaix.
Die Todesursache ist geklärt: Michael Goolaerts hatte einen Herzstillstand erlitten und war am Rande der Fahrbahn liegend reanimiert worden. Nach einem Hubschrauber-Transport in ein Krankenhaus ins nordfranzösische Lille verstarb Goolaerts in der Nacht zum Montag. Entgegen einiger Meldungen vom Sonntag ist der Belgier nicht an seinen Sturzverletzungen gestorben. Vielmehr legtenAmateur-Aufnahmen von Paris-Roubaix nahe, dass der Herzstillstand schon während der Fahrt eingesetzt haben könnte. Dies wurde am späten Mittwoch-Nachmittag dann auch offiziell bestätigt. "Die Autopsie bestätigt die Hypothese, dass der Tod durch einen Herzinfarkt eingetreten ist", sagte Remy Schwartz, Staatsanwalt der französischen Gemeinde Cambrai, der Nachrichtenagentur AFP. "Er hatte eine Herzattacke während des Rennens. Sein Herz blieb stehen, deswegen hatte er einen Unfall", so dass offizielle Ergebnis des Autopsieberichts. Experten werden nun eine forensische Toxikologie durchführen, um die genaue Ursache für den Herzinfarkt zu ermitteln. Das kann nach Angaben der Staatsanwaltschaft einige Wochen in Anspruch nehmen.
Jede Hilfe kam zu spät
Goolaerts fuhr auf einer Kopfsteinpflaster-Passage gut 148 Kilometer vor dem Ziel in einer Kurve geradeaus in die Böschung eines Feldwegs und schlug dort ungebremst auf - kein normales Sturzverhalten für einen versierten Steuerkünstler wie Michael Goolaerts. Kurz darauf eilten Zuschauer, Offizielle und wenig später auch der Rennarzt zur Unfallstelle. Doch sie alle konnten dem jungen Belgier nicht mehr helfen.
Um 22.40 Uhr sei er im Beisein seiner Familie und engsten Freunde gestorben, teilte sein belgisches Team Veranda's Willems-Crelan per Twitter mit. Die Nachricht sorgte für viel Mitgefühl und Trauer unter den Kollegen: "Ich bin mit diesen Nachrichten aufgewacht. Ich wollte eigentlich erzählen, welch großartige Erfahrung das gestern war, aber das ist jetzt nichts mehr wert. So traurig vom Tod von Michael zu lesen", schrieb der deutsche Top-Sprinter Marcel Kittel am Montag auf Twitter. Straßen-Weltmeister Peter Sagan, der die 116. Auflage des Kopfsteinpflaster-Klassikers Paris-Roubaix gewonnen hatte, schrieb: "Alle Gedanken und Gebete meines Teams und von mir sind bei Michael Goolaerts. Solch traurige Nachrichten." Für Olympia-Sieger Greg van Avermaet war der Tag gelaufen, als er vom Unfall des Kollegens erfuhr: "Ein klassischer Renntag, an dem sich meine Gefühle komplett änderten als ich am Teambus von Michael Goolaerts' Unfall erfahren habe", schrieb der Belgier auf Instagram.
Immer wieder sterben junge Radprofis - warum?
Noch sind nicht alle Fakten zum Tod des jungen Radprofis aus dem zweitklassigen Rennstall bekannt. Doch der Fall ist nicht der erste seiner Art: Immer wieder erlitten Radprofis in jungen Jahren einen Herzinfarkt:
- 2004 verstarb der Belgier Stive Vermaut im Alter von 28 Jahren nach einem Herzinfarkt, den er während einer Trainingsausfahrt erlitten hatte. Er fuhr unter anderem für das Team von Lance Armstrong (US Postal).
- Ebenfalls 2004 starb der belgische Crossspezialist Tim Pauwels. Der damals 23-Jährige erlitt bei einem kleinen Rennen im belgischen Erpe-Mere einen Herzstillstand und stürzte im Anschluss.
- 2005 fiel der Italiener Alessio Galletti beim spanischen Rennen Subida al Naranco vom Rad und stand nicht mehr auf. Der 37 Jahre alte Profi fuhr für das italienische Naturino-Sapore di Mare-Team und erlag einem plötzlichen Herzstillstand
- 2009 starb der Belgier Frederiek Nolf im Schlaf. Der 21-Jährige befand sich gerade mit seinem Topsport Vlaanderen-Mercator-Team bei der Katar-Rundfahrt und hatte zuvor über keine gesundheitlichen Probleme geklagt. Nach Medienberichten deutete alles auf einen Herzstillstand hin, eine Autopsie lehnten die Eltern von Nolf jedoch ab.
- 2010 erlitt der Luxemburger Kim Kirchen einen Herzstillstand, wurde ins künstliche Koma versetzt, überlebte den Vorfall aber. Der damals 31-Jährige beendete im Anschluss seine Karriere. Unter anderem fuhr er für das deutsche Team T-mobile.
- 2012 starb der Belgier Rob Goris im Alter von 30 Jahren an einem Herzinfarkt in einem Hotel. Wie Goolaerts fuhr er für das von Veranda gesponserte Team.
- 2016 kostete auch den 21 Jahre jungen Nachwuchsfahrer Gijs Verdick (Cyclingteam Jo Piels) aus den Niederlanden ein Herzstillstand das Leben. Verdick hatte bei einer U23-Rundfahrt in Polen zwei Herzattacken erlitten und wurde in ein künstliches Koma versetzt. Im Krankenhaus verstarb Verdick.
- Ebenfalls 2016 verstarb der Belgier Daan Myngheer (Team Roubaix Lille Métropole), der beim französichen Etappenrennen Criterium International einen Herzinfarkt erlitt. Er klagte während des Rennens über Unwohlsein und kollabierte, als er anhielt. Myngheer wurde nur 22 Jahre alt.
- 2017 starb der Ägypter Eslam Nasser Zaki bei der Afrikameisterschaft. Der 22-jährige stürzte auf der Wettkampf-Bahn in Durban. Wie sich später herausstellte hatte der Nationalfahrer einen Herzinfarkt erlitten.
Diese Reihe von Herzinfarkten bei Radsportlern wirft Fragen auf: Wie kann es sein, dass austrainierte Athleten an einem Herzinfarkt sterben, obwohl sie jung, gesund und unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle stehen? Jeder Profi-Rennstall hat einen Arzt im Team, die Gesundheitswerte der Fahrer werden rountinemäßig überprüft. Und doch kommt es immer wieder zu solch tragischen Vorfällen.
Doping? Oder Herzschäden durch Ausdauersport?
Die erste Assoziation, die vielen beim Profi-Radsport in den Sinn kommt: Doping. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Spekulationen und Hinweise über mögliche Auswirkungen von Blutdoping auf das Herz. Während der Hochphase des Epo-Dopings um die Jahrtausendwende wandelten nachts Radprofis durch Hotelflure, um ihr durch die vielen roten Blutkörperchen völlig verdicktes Blut wieder in Bewegung zu bringen - aus Angst vor Thrombose oder Herzinfarkt. Fahrer und Betreuer haben dies in Aussagen bestätigt. Nach einer Studie des französischen Magazins "Nouvel Observateur" lag die Sterblichkeitsrate bei Tour-de-France-Startern fast dreimal so hoch wie in der Normalbevölkerung. Die Infarkte der Radsportler nun aber automatisch mit Doping gleichzusetzen, ist nicht korrekt.
Denn es gibt noch andere mögliche und durchaus wahrscheinliche Ursachen: Extremer Ausdauersport, wie ihn der Profi-Radsport darstellt, kann das Herz verändern bzw. schädigen. 2012 veröffentlichte der Arzt James O'Keefe im Fachblatt "Mayo Clinic Proceedings" eine Studie, wonach extreme Ausdauersportbelastung häufiger zu einer dauerhaften Überdehnung des Herzmuskels führt. Durch die Belastung werde die Blutpumpe übermäßig gestresst. Die Grundgesamtheit der Probanden der Studie war mit 40 Marathonläufern, Triathleten und Radsportlern allerdings relativ gering. Fünf von ihnen hatten auffällige Narben in der rechten Herzkammer.
Eine neuere Studie der renommierten Mayo Klinik in den USA kam 2017 zu dem Ergebnis, dass vor allem weiße Männer, die über Jahre hinweg extrem viel Sport betreiben, zu einer frühzeitigen Verkalkung der Koronararterien neigen. Bei den extrem sportlichen Teilnehmern wurde sogar häufiger eine Koronarverkalkung gefunden als bei jenen, die sich über die Jahre körperlich wenig oder gar nicht bewegt hatten. Besonders auffällig war dies bei den weißen Männern, die besonders häufig intensiv Sport betrieben. Sie wiesen zu 85 Prozent häufiger Koronarkalk auf. Koronarkalk gilt vor allem in jungen Jahren als eine Ursache für Herzinfarkte, stellte eine 2017 in der medizinischen Fachzeitschrift "JAMA Cardiology" vorgestellte Studie fest.
"Nachgewiesene strukturelle Veränderungen des Herzens"
"Es gibt nachgewiesene strukturelle Veränderungen des Herzens bei intensivem Leistungsport", bestätigt Professor Hans-Georg Predel der DW. Der Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule in Köln betont aber, dass sich dies nach vorliegenden Daten eher auf ältere Sportler beziehe. Man müsse jedoch jeden Fall einzeln betrachten. "Man kann von diesen Fällen nicht automatisch auf Doping zurückschließen. Es gibt zwar bekannte Zusammenhänge zwischen Doping und Herzerkrankungen bei Leistungssportlern, aber es gibt eben auch andere Gründe: angeborene Herzfehler, akute Infekte oder sogar zu klein geratene Herzkranzgefäße." Aus seiner Sicht ließe sich das Problem des plötzlichen Herztodes im Hochleistungssport aber besser bekämpfen: "Eigentlich sollten die jährlichen Kader-Athletenchecks, wie sie zum Beispiel in Deutschland durchgeführt werden, solche Fälle ausschließen. Dazu zählen Ultraschall des Herzens, Belastungs-EKG und Labor-Diagnostik", so Predel. Ein solches Kontrollsystem gebe es aber längst nicht in jedem Land und auch nicht in jedem Sport.
Michael Goolaerts helfen weder Fakten noch Spekulationen. Sein Leben endete viel zu früh. Erst 2016 stieg er als Praktikant beim Team von André Greipel, Lotto-Soudal, in den Profisport ein, erhielt dann einen Profi-Vertrag bei Veranda's Willems-Crelan. In diesem Jahr hatte er vor allem die Frühjahrsrennen in Belgien bestritten. Sein bestes Ergebnis war ein respektabler neunter Platz bei Dwars door West-Vlaanderen.