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Trauern im Medienzeitalter

7. April 2005

"Der Tod des Papstes hat alle Zutaten für eine Mega-Trauer", behauptet der Soziologe Tony Walter von der Universität Reading. Die Menschenmassen vor dem Petersdom geben ihm recht. Die Medien sind teilweise überfordert.

Auf allen KanälenBild: AP


"In den bildverarbeitenden Medien besteht eine Vorliebe für Trauernde, bei denen die Tränen reichlich fließen und die sich vor lauter Erschütterung um den Hals fallen", beschreibt Walter das Ritual - seit dem Unfalltod von Prinzessin Diana ein wiederkehrendes Phänomen.

Menschenmassen auf dem Petersplatz in RomBild: AP

Auch der Vatikan nutzt Handys und Internet

Die Medien in aller Welt wurden nur wenige Minuten nach dem Ableben von Johannes Paul II. per SMS und E-Mail informiert: "Der Heilige Vater, Johannes Paul II., ist um 21.37 Uhr in seiner Privatwohnung gestorben. Alle Maßnahmen, wie sie Johannes Paul II. am 22. Februar 1996 in der Apostolischen Konstitution 'Universi Dominici Gregis' bestimmt hat, sind ergriffen worden." Johannes Paul II. ließ es zu, dass sein Sterben zu einem öffentlichen Ereignis wurde. Aber er hatte Fotoverbot während seiner letzten Stunden und nach seinem Ableben verfügt. Verboten waren ebenfalls Tonbandaufnahmen seiner letzten Worte.

Positives Medienecho

"Über die Medien erhielt die Welt jede Möglichkeit, dem sterbenden Papst nah zu sein. Das ist kein Voyeurismus, sondern Betroffenheit", schrieb die niederländische Zeitung "Trouw". In Polen, dem Heimatland von Johannes Paul II., hatten die Non-Stop-Berichte aus dem Vatikan beinahe den Charakter einer Sterbewache. Sie gaben den Menschen das Gefühl, den Papst begleiten und ihm auf diese Weise näher sein zu können. In Ungarn wurde dem staatlichen Fernsehen MTV vorgeworfen, den Papst-Tod nicht wichtig genug genommen zu haben. MTV-Nachrichtenchef György Nika muss um seinen Posten bangen, weil der Sender sein laufendes Programm nicht unterbrochen hatte.

"Seit dem Todeskampf von Johannes Paul II. erlebt der TV-Zuschauer weltweit den Vatikan per Live-Sendung", hat die "Dernières Nouvelles" aus Straßburg festgestellt." Selbst die arabischen TV-Programme senden praktisch nonstop und live aus Rom." Der nichtchristliche Zuschauer habe den Eindruck, eine Superproduktion im Hollywood-Stil zu sehen - mit der zu Herzen gehenden Rührung, die Hunderttausende von Gläubigen auf dem Petersplatz bekunden, als Dreingabe.

Kritische Stimmen

Die Partei des russischen Nationalistenführers Wladimir Schirinowski die Berichterstattung über den Tod von Papst Johannes Paul II. kritisiert. Meldungen aus dem Vatikan dürften keine Aufmacher in den Nachrichtensendungen werden, forderte der Duma-Abgeordnete Alexej Mitrofanow. Der Katholizismus sei keine "traditionelle Religion" in Russland, erklärte er. Auch in Frankreich beschwerten sich Fernsehzuschauer über die "Allgegenwärtigkeit des Papstes" und über eine "mangelnde Distanz zum Wirken des Kirchenführers".

Im katholischen Spanien witterte man Probleme ganz anderer Art: Kommentatoren nahmen Anstoß daran, dass der Leichnam des Papstes noch vor der öffentlichen Aufbahrung fotografiert werden durfte. Der Publizistikprofessor Román Gubern von der Universität Barcelona will gar Anzeichen einer "TV-Nekrophilie" ausgemacht haben. Die Madrider Zeitung "El Mundo" nahm das Ganze jedoch auf die Schippe und veröffentlichte eine Karikatur: Die zeigt den Papst, der im Himmel auf einer Wolke vor dem Fernseher sitzt und sich beim Lieben Gott beklagt: "Ich kann die Übertragungen von den Trauerfeiern nicht mehr sehen. Habt Ihr hier vielleicht ein Video von 'Ben Hur'?" (arn)

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