Die Räumung der Baumhäuser wurde vorerst gestoppt, auch der politische Streit über die Rodungen im Braunkohlerevier ist merklich abgeflaut. Viele Beteiligte wollen nun erst einmal Raum für Trauer und Besinnung haben.
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Nach dem Todessturz eines Journalisten im Hambacher Forst hat der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) die Klimaaktivisten zum Verlassen ihrer Baumhäuser aufgerufen. Angesichts des Unfalls während des später ausgesetzten Räumungseinsatzes äußerte Reul die Hoffnung, "dass diejenigen, die da in den Häusern sind, jetzt auch aus dem Wald rausgehen". Reul sagte im im WDR: "Wenn jetzt was passiert und wir uns nicht darum gekümmert haben, ist das nächste Problem da." Wie lange der nach dem Unfall von der Landesregierung in Düsseldorf verfügte vorläufige Räumungsstopp dauern werde, könne er nicht sagen: "Ich gehe davon aus, dass es weiter geht." Aber er könne "nicht sagen, wann und wie".
Kein anderer für 15-Meter-Sturz verantwortlich
Unterdessen teilte die Staatsanwaltschaft Aachen erste Erkenntnisse über den Ablauf des tödlichen Unfalls mit. Demnach soll der 27-jährige Journalist aus Leverkusen nach Auskunft einer Aktivistin zur Unfallzeit am Mittwochnachmittag eine bereits vorgeschädigte Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern betreten haben, um von dort die Räumung eines weiter entfernten Baumhauses besser filmen zu können. Noch bevor der Mann die Seilsicherung einhängen konnte, gab demnach plötzlich das Trittholz der Hängebrücke unter ihm nach. Der Reporter stürzte rund 15 Meter tief in den Tod. Mehrere Zeugen gaben laut Staatsanwaltschaft an, dass sich der Mann unmittelbar vor dem tödlichen Sturz "allein und ungesichert" auf der Hängebrücke aufgehalten hatte.
Der Staatsanwaltschaft zufolge arbeitete der Leverkusener als freier Journalist für einen Youtube-Kanal und fertigte Filmaufnahmen von den Klimaaktivisten im Hambacher Forst. Bei den Aktivisten hatte er sich demnach als erfahrener Kletterer ausgegeben und einen eigenen Klettergurt mitgeführt. Die Auswertung seiner Kopfkamera ergab, dass sich in seiner Nähe niemand aufhielt, der für den Sturz verantwortlich gewesen sein könnte.
Trauer um Tod im Hambacher Wald
Der Hambacher Wald ist zum Symbol im Kampf fürs Klima geworden. Die Polizei zerstörte im Auftrag der Landesregierung Baumhäuser von Aktivisten, die gegen Rodung und Kohle kämpfen. Ein Journalist starb bei seiner Arbeit.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg
Tiefe Betroffenheit
Der Journalist Steffen Meyn kam im Hambacher Wald bei der Arbeit ums Leben. "Nachdem die Presse in den letzten Tagen oft in ihrer Arbeit eingeschränkt wurde, bin ich nun in 25 Metern Höhe, um die Räumungsarbeiten zu dokumentieren", twittert er am Tag vor seinem Tod. Am nächsten Tag stürzt Heyn (27) von einer Brücke zwischen den Baumhäusern ab. Ein Brett gab nach, er wollte sich gerade absichern.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg
Räumung in riskanter Höhe
Am 13. September begann die Räumung des Waldes durch die Polizei. Klimaschützer hatten in den letzten sechs Jahren rund 60 Baumhäuser gebaut und sich so gegen die Rodung des alten Waldes gewehrt. Der Energiekonzern RWE will hier weiter Braunkohle fördern und wird von der NRW-Landesregierung unterstützt. Begründet wurde die Räumung mit fehlenden Brandschutzvorschriften in den Baumhäusern.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner
Ein Leben für das Ende von Braunkohle
Die Klimaaktivisten sind jung. Clumsy ist einer von ihnen und lebt seit fünf Jahren im Hambacher Wald. Vor ein paar Tagen wurde dieses Baumhaus von der Polizei zerstört. Clumsy fordert Verantwortung für nachfolgende Generationen und sieht sich in der Tradition von anderen Menschrechtsbewegungen. Sein gewaltfreier Widerstand wurde auch vom verunglückten Journalisten dokumentiert.
Bild: WDR
Kein Rodungstopp trotz aller Appelle
Die Räumung der Aktivisten aus den Baumhäusern ist riskant, aufwendig und dauert Stunden. Die Bewohner ketten sich an, spezielle Kletterer der Polizei versuchen in der Höhe den Widerstand zu brechen - für alle Beteiligten eine sehr gefährliche Situation. Doch trotz allen Warnungen vor den Gefahren halten NRW-Landesregierung und der Energiekonzern RWE an der Rodung fest.
Bild: DW/G. Rueter
Absurder Einsatz?
Die Polizisten machen ihren Job, räumen die Baumhäuser, führen die Waldbewohner ab. Auch viele Polizisten halten den aufwendigen und gefährlichen Einsatz für überflüssig, da eine Kohlekommission im Auftrag der Bundesregierung eingesetzt wurde. Diese soll bis Dezember einen Plan für den Kohleausstieg vorlegen. Es ist deshalb gut möglich, dass die Braunkohle unter dem Wald nie gefördert werden wird.
Bild: DW/G. Rueter
Der Widerstand wächst
Rund 100 bis 200 junge Menschen leben derzeit im Hambacher Wald oder in dem angrenzenden Camp. Kleine Dörfer mit Baumhäusern sind in den vergangen Jahren entstanden. Bisher wurden 39 Häuser laut Polizeiangaben zerstört. Die Bewohner werden festgenommen und müssen mit Anklagen rechnen. Bei den sonntäglichen Waldführungen machen sich viele Menschen ein Bild über die aktuelle Situation.
Bild: DW/G. Rueter
Massenprotest gegen RWE
Die ersten Baumhäuser wurden am Donnerstag (13.9.) zerstört, drei Tage später wird der Sonntagsspaziergang zum Massenprotest. Mehr als 6000 Bürger zeigen sich solidarisch mit den Waldbewohnern. Sie fordern ein Innehalten von RWE und der NRW-Landesregierung, eine Eskalation des Konflikts müsse vermieden werden. Bis die Kohlekommission im Dezember ihren Plan vorlegt dürfe keine Rodung erfolgen.
Bild: DW/G. Rueter
Kohle oder Zukunft
Für die Demonstranten ist der Konflikt klar: RWE will aus Profitgründen noch möglichst lange weiter Braunkohle verstromen, zeigt sich trotz Klimawandel unnachgiebig und wird dabei von der NRW Landesregierung unter Ministerpräsident Laschet (CDU) unterstützt. Auch Familien sind unter den Demonstranten und werben für eine klimafreundliche Zukunft.
Bild: DW/G. Rueter
Spielt RWE mit falschen Zahlen?
Die Abbaukante am Tagebau Hambach. RWE behauptet, dass die Rodung dieses alten Waldes jetzt im Oktober unumgänglich sei, da sonst bereits kurzfristig die Versorgung der Kraftwerke mit Braunkohle gefährdet sei. Laut DW-Recherchen stimmt die Behauptung jedoch nicht und ohne Rodung gäbe es noch genügend Kohle für mindestens drei Jahre.
Bild: Michael Goergens
Unklare legale Situation
Braunkohleexperte Dirk Jansen (BUND) erklärt Mitgliedern der Kohlekommission die Lage vor Ort. Nach Auffassung des Umweltverbandes verstößt die Rodung gegen geltendes Recht. Auch die zuständigen Aufsichtsbehörden in NRW hätten versagt. Neue Klagen wurden deshalb eingereicht. Möglicherweise wird in den nächsten Wochen deshalb die Justiz entscheiden, ob der Wald noch gerodet werden darf.
Bild: DW/G. Rueter
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Der Unfall hatte sich am siebten Tag des großangelegten Polizeieinsatzes ereignet, mit dem zuletzt Baumhäuser von Umweltschützern im Hambacher Forst westlich von Köln geräumt wurden. Eine Polizeisprecherin beschrieb die Lage im Hambacher Forst derzeit als ruhig. Die Beamten kontrollierten weiterhin den Zugang zu dem Gelände und zu gefährlichen Punkten. Bislang seien 39 von 51 Baumhäusern geräumt worden.
Düsseldorfer Landtag sagt Debatte ab
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen sagte aus Pietät eine für diesen Donnerstag geplante Debatte zum Thema ab, die Grünen zogen ihren Antrag für ein Rodungsmoratorium zurück. Nun sei "nicht der Tag des politischen Schlagabtausches, sondern zum Innehalten", erklärten sie. Auch Umweltverbände reagierten erschüttert auf den Todesfall, die Umweltorganisation Greenpeace verschob eine angesetzte Pressekonferenz.
Betroffen zeigten sich zudem die Gewerkschaft der Polizei und der Energiekonzern RWE. Ein RWE-Sprecher äußerte die Hoffnung, "dass sich niemand mehr in derartige Gefahrensituationen bringt". Umweltverbände, Aktivisten, die Linksfraktion im Bundestag und die evangelische Kirche in der Region forderten, die Räumung des Waldgebiets nicht nur zu unterbrechen, sondern zu beenden. Mitte Oktober will RWE für den weiteren Braunkohleabbau mit der Rodung von etwa hundert Hektar Wald beginnen. Für den 6. Oktober planen Umweltverbände eine große Demonstration dagegen.
Greenpeace und die Umweltorganisationen BUND und Campact übergaben in Düsseldorf der Landesregierung über 500.000 Unterschriften gegen die Rodung des Hambacher Waldes. Sie fordern, die Bäume an dem Braunkohletagebau zwischen Köln und Aachen nicht zu fällen, solange die Kohlekommission in Berlin über den Kohleausstieg verhandelt. Dem schloss sich der Bund Deutscher Forstleute an. Im Hambacher Forst gehe es um Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit von Politik, den Zusammenhalt der Gesellschaft und ein gemeinsames demokratisches Grundverständnis.