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Politik

Thüringen liegt im rechten Trend der EU

6. Februar 2020

In vielen Ländern Europas geben sich Rechtspopulisten gerne als Bürgerliche. Die rechtspopulistische AfD nutzt diesen Begriff auch - und sieht sich durch die Ereignisse in Thüringen bestätigt. Bernd Riegert analysiert.

Belgien Brüssel | Pressekonferenz: Rechtspopulistische Fraktion gegründet
Rechtsausleger im Europaparlament: Marco Zanni (Lega), Marine Le Pen (RN), Jörg Meuthen (AfD) (re.) Bild: Getty Images/AFP/A. Oikonomou

Der Europaabgeordnete und Chef der rechtspopulistischen AfD, Jörg Meuthen, freute sich über das überraschende Wahlergebnis in Thüringen. Zum ersten Mal war am Mittwoch ein Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland mit Hilfe der AfD ins Amt gehoben worden. Meuthen sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", seine Partei, die Christdemokraten von der CDU und die liberale FDP bildeten jetzt einen "bürgerlichen Kreis". Inzwischen hat der gewählte FDP-Politiker Thomas Kemmerich seinen Rückzug angekündigt, aber für die AfD bleibt der Erfolg, ins "bürgerliche Lager" eingedrungen zu sein. 

Der linke Europaabgeordnete Martin Schirdewan geißelte die kurzzeitige Zusammenarbeit zwischen CDU, FDP und AfD als "Tabubruch". Für die Rechtspopulisten in Europa, die im Europäischen Parlament mittlerweile die viertgrößte Fraktion stellen, ist Thüringen ein weiterer Durchbruch, ein weiterer Baustein, ein Symptom für einen EU-weit zu sehenden und seit Jahren anhaltenden Trend.

In zahlreichen Ländern sind die Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt, bilden die stärkste Oppositionsgruppe oder haben die etablierten Parteien nachhaltig geschwächt. Deutschland war da bis zu diesem Mittwoch eher die Ausnahme. In den letzten Monaten gab es in Österreich oder Italien auch Rückschläge für die Rechtspopulisten. Thüringen dürfte der AfD und mit ihr der Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) im Europäischen Parlament wieder etwas Aufwind geben. Neben der AfD sind in der Fraktion auch die Lega des italienischen Rechtsradikalen Matteo Salvini, die Skandal-geschüttelte FPÖ aus Österreich und die französische "Nationale Sammlung" von Rechtspopulistin Marine Le Pen vertreten.

Protest gegen AfD-Stimmen bei der Wahl von Ministerpräsident Kemmerich in Weimar, Thüringen. Bild: picture alliance/dpa/J. Krey

Rechts ist in Österreich längst normal

In Österreich war die FPÖ mehrfach auf Bundesebene an der Regierung beteiligt. Die einst christdemokratische ÖVP ist unter dem "flexiblen" Chef Sebastian Kurz an FPÖ-Positionen herangerückt und hat diese Partei quasi umarmt. In einigen Bundesländern Österreichs war die FPÖ in der Landesregierung vertreten. Sogar mit den Sozialdemokraten gab es im Burgenland bis zum "Ibiza"-Skandal der FPÖ im letzten Jahr eine Koalition. FPÖ-Chef Strache hatte auf Ibizia einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Tochter seine politischen Dienste verkaufen wollen. Das wurde durch ein heimlich gefilmtes Video aufgedeckt. Die FPÖ flog aus der Regierung in Wien. Der Fraktionschef der FPÖ im österreichischen Parlament, Herbert Kickl, sprang seinen Parteifreunden von der AfD in Thüringen gleich bei und sagte am Freitag, es sei ein "totalitär anmutendes Zerrbild von Demokratie, das ihre selbsternannten Gralshüter" da ablieferten. Kickl bezog sich auf die Kritik an CDU und FDP, die die Trennlinie zur rechten AfD verwässerten.

Längst wieder regierungsfähig: FPÖ-Vizekanzler Strache (re.) im Mai 2019, kurz vor seinem RücktrittBild: picture-alliance/dpa/APA/K. Techt

Keine Hemmungen in Italien

In Italien sind die Grenzen zwischen Christdemokraten, Konservativen und Rechtsradikalen längst gefallen. Ganz offen arbeitet die konservativ-nationale "Forza" von Silvio Berlusconi mit den Rechtspopulisten von der Lega und den Neonazis von den "Fratelli d'Italia" zusammen. Die drei Parteien wollen bei den nächsten Wahlen das linke Lager aus 5-Sterne-Populisten und Sozialdemokraten als rechtes Wahlbündnis besiegen. Matteo Salvinis Lega hat als Innenminister und Juniorpartner bereits in Rom mitregiert. Er ist weiter sehr populär, auch wenn er die Regionalwahlen in der Emilia Romagna kürzlich knapp verloren hat. Der "Tabubruch" ist in Italien schon vor vielen Jahren passiert. In Norditalien werden Städte, Gemeinden und ganze Regionen von den Rechtspopulisten regiert. Berührungsängste gibt es keine.

Keine Berührungsängste in Italien: Konservativer Berlusconi (li.), Neo-Faschistin Meloni (Mi.), Rechtspopulist Salvini (re.)Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Medichini

Starke Rechtspopulisten

In Frankreich schickt sich die rechtspopulistische "Nationale Sammlung" unter Marine Le Pen an, bei den Kommunalwahlen im März ordentlich abzuschneiden. Le Pen, die die ehemalige "Nationale Front" vor zwei Jahren in "Nationale Sammlung" weich spülte, ist längst tief in das konservativ-bürgerliche Lager vorgedrungen. Die früheren konservativen Parteien sind zu Randgruppen zusammengeschrumpft und untereinander heftig zerstritten. Marine Le Pen will über Frankreichs Rathäuser an die Macht auf nationaler Ebene. Lokal und regional regieren Politiker der "Nationalen Sammlung" bereits. 2022 will Le Pen Präsidentin werden und gegen den liberalen Amtsinhaber Emmanuel Macron antreten. Macron hatte Le Pen vor drei Jahren in der Stichwahl geschlagen. Nach einer Meinungsumfrage im letzten Herbst würde Le Pen ganz knapp vor Macron durchs Ziel gehen. Eine Wahl wie im Thüringer Landtag würde in Frankreich niemanden mehr schockieren können.

In Spanien arbeiten die Konservativen und die rechtspopulistische Vox im Bundesland Andalusien in einer Koalition zusammen. Auf nationaler Ebene ist Vox inzwischen drittstärkste Kraft und stößt weiter ins bürgerliche Lager vor. In den Niederlanden sitzen dem liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte gleich zwei rechtspopulistische Parteien im Nacken. In Belgien, das seit 14 Monaten keine Regierung hat, würden nach Umfragen heute die rechtsnationalistischen Flamen von "Vlams Belang" die stärkste Partei. In Finnland liegen die Rechtspopulisten nur wenige Zehntel Prozentpunkte an zweiter Stelle hinter den Sozialdemokraten. Sie waren bereits an der Regierung beteiligt. Die Liste ließe sich fortsetzen. In der Schweiz, in Polen und Ungarn regieren Nationalisten und Populisten mit großen Mehrheiten.  Das "bürgerlich-liberale" Lager ist dort schon seit Jahren abgehängt.

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Zieht Deutschland nach?

Und nun also Deutschland? Die AfD, die als Euro-skeptische Partei in der Finanzkrise startete und sich dann immer weiter nach rechts zur Anti-Migrationspartei entwickelt hat, ist bereits die größte Oppositionspartei im Bundestag. Eine Regierungsbeteiligung in einem Bundesland wie Thüringen scheint noch ein "Betriebsunfall" zu bleiben, den die CDU und auch die FDP wieder aus der Welt schaffen wollen. Inzwischen ist der Ministerpräsident von Gnaden der AfD darauf aus, den Landtag aufzulösen und Neuwahlen herbeizuführen.

Auf lange Sicht könnte es aber sein, dass auch Deutschland dem Trend in Europa folgen wird. Die großen Volksparteien schrumpfen oder verschwinden ganz. Die Ränder, besonders der rechte Rand, erstarken. Rückschläge wie in Österreich oder Italien verlangsamen die Entwicklung, halten sie aber kaum auf.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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