Bilanz des Ausbildungsjahres 2013
13. Februar 2014 Das Statistische Bundesamt hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, die eine deutliche Sprache sprechen: 2,5 Millionen Menschen in Deutschland studieren. Zwischen 2006 und 2012 ist die Zahl der Studierenden um satte 25 Prozent gewachsen. Die Hörsäle sind voll, die Bildungspolitiker können zufrieden sein. Andererseits fehlen die jungen Frauen und Männer, die im Hörsaal Jura, Germanistik oder Elektrotechnik pauken, in den Betrieben. Das beklagt auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der gemeinsam mit den Berufsverbänden Bilanz für das Ausbildungsjahr 2013 gezogen hat. Esther Hartwich ist Leiterin des Bereichs Ausbildung beim DIHK.
DW: Die duale Ausbildung in Deutschland genießt einen ausgezeichneten Ruf. Trotzdem beginnen immer weniger junge Menschen eine Ausbildung. Warum ist das so?
Esther Hartwich : Das ist momentan ein interessantes Spannungsfeld. Einerseits werden wir international um unsere duale Ausbildung beneidet. Viele Länder kommen auf uns zu und fragen: Wie macht ihr das eigentlich, diese Verzahnung zwischen Theorie und Praxis, die letztlich auch zu der geringsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa geführt hat? Und andererseits haben wir sinkende Vertragszahlen. Wir hatten gesamtwirtschaftlich gesehen -3,7 Prozent bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen, obwohl wir in diesem Jahr noch keine zurückgehenden Schulabgängerzahlen hatten. Das kann also noch nicht demografisch begründet sein. Damit rechnen wir erst im künftigen Ausbildungsjahr. Wir gehen deshalb klar davon aus, dass der Trend zum Studium, der nach wie vor anhält, letztlich dazu führt, dass uns die betrieblich Ausgebildeten fehlen werden.
Sie sagen also, die hohe Studierendenquote führe dazu, dass die Betriebe händeringend Azubis suchen. Läuft das nicht darauf hinaus, Ausbildung und Studium gegeneinander auszuspielen?
Genau das möchten wir nicht. Das ist ja auch eine wichtige individuelle Entscheidung, die man niemandem abnehmen kann. Aber angesichts der hohen Studienabbrecherquoten fragen wir uns, ob die Entscheidung für ein Studium immer richtig ist, und ob die Jugendlichen vorab alle Informationen hatten, um eine gute Entscheidung zu treffen. Jedes Jahr brechen 100.000 Studierende ihr Studium ab. Das sind im Schnitt 25 Prozent. Da stellt sich die Frage, ob die Berufsorientierung in den Schulen ausreichend über alle Optionen informiert.
Welche Branchen haben denn besondere Probleme, Azubis zu finden?
Die Tendenz geht über alle Branchen hinweg. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln fehlen in Deutschland bis zum Jahr 2020 rund 1,4 Millionen Facharbeiter im so genannten MINT-Bereich, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - aber nur 150.000 Akademiker. Wenn wir hier nicht gegensteuern, dann werden uns bald die Leute fehlen, die wir brauchen, um technisch weiterhin auf diesem hohen Stand arbeiten zu können.
Wie wollen Sie gegensteuern?
Die Berufsorientierung muss frühzeitig und systematisch in der Schule beginnen und die Praxis mit einbeziehen. Wir stehen als Wirtschaft dafür gerne bereit. Wir gehen in die Schulen, wir berichten über die verschiedenen Berufe, und die Unternehmen bieten Praktika für Schüler und Lehrer an, damit die Lehrkräfte wissen, wovon sie erzählen.
Nun gibt es inzwischen schon eine Reihe von Programmen, die den Jugendlichen den Übergang von der Schule in den Ausbildungsberuf ebnen sollen. Warum fruchten die Programme nicht?
Wir sind da erst in einem ganz frühen Stadium. Es ist richtig, dass die Bundesländer hier schon viel in diese Richtung bewegen und schon zahlreiche Berufsorientierungsprogramme aufgesetzt haben. Es gibt aber noch immer keine bundesweite Regelung. Und es muss ja auch alles erst einmal richtig in Fahrt kommen. Da die Politik jahrelang gesagt hat, "Leute, geht studieren, wir brauchen mehr Akademiker", dann dauert es auch eine Zeit, bis die Menschen wieder umdenken und eine berufliche Ausbildung als gute Option für sich und ihre Kinder ansehen.
Manche Branchen sind bei jungen Menschen besonders unbeliebt, zum Beispiel der Bereich des Hotelgewerbes und der Gastronomie mit relativ ungünstigen Arbeitszeiten. Müssen sich die Ausbilder nicht auch an die eigene Nase fassen und die Ausbildung attraktiver gestalten?
Das sind natürlich Branchen, in denen die Arbeitsbedingungen per se nicht so attraktiv sind. Der Beruf bringt es einfach mit sich, dass man auch abends und am Wochenende arbeiten muss. Andererseits sind diese Berufsfelder sehr spannend und bringen auch Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit sich. Hier arbeiten die genannten Branchen daran, dass auch die Vorteile deutlicher werden.
Schauen Ihre Betriebe bei der Suche nach Azubis auch über den deutschen Tellerrand hinaus?
Wir haben inzwischen auch Anfragen von Jugendlichen zum Beispiel aus Spanien, die in Deutschland eine Ausbildung machen möchten. Wenn die Betriebe im Ausland geeignete Kandidaten finden, sind sie natürlich auch offen für diese Bewerber. Aber ob das in Zukunft ein Trend werden könnte, das wage ich zu bezweifeln.
Das Gespräch führte Svenja Üing.