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PolitikMexiko

Journalistenmorde vor Tribunal in Den Haag

Sandra Weiss Puebla, Mexiko
1. November 2021

Seit 1992 wurden weltweit mehr als 1400 Journalisten ermordet. Ein Tribunal in Den Haag hat damit begonnen, Fälle aufzuklären - darunter den Mord an dem mexikanischen Journalisten Miguel Ángel López Velasco.

Mexiko Journalist vor dem Haus erschossen
In Mexiko werden immer wieder Journalisten und Aktivisten erschossen Bild: Getty Images/AFP/Y. Cortez

In seiner letzten Kolumne in der mexikanischen Regionalzeitung "Notiver" widmete sich Miguel Ángel López Velasco Femiziden, politischer Vetternwirtschaft und der Trinkwasserverschmutzung. Die Behörden hätten versprochen, sich der Probleme anzunehmen, schrieb der 55-jährige Vizedirektor der Publikation aus Veracruz. "Und wenn nicht, dann werden wir sie an dieser Stelle daran erinnern." Dazu kam es nicht mehr. Wenige Stunden später war López Velasco alias "Milo Vela" tot.

Es war der 20. Juni 2011. López Velascos Mörder kamen im Schutze der Dunkelheit, als der 55-Jährige schlief, zertrümmerten die Haustür und erschossen ihn, seine Frau Agustina und seinen jüngsten Sohn Misael mit mehr als 400 Kugeln aus Schnellfeuerwaffen.

Miguel Angel López Velasco wurde vor zehn Jahren in seinem Haus ermordet - keiner weiß, wer die Täter sindBild: Notiver

Die Polizei, deren Station weniger als einen Häuserblock entfernt lag, schickte nicht einmal einen Streifenwagen. Zehn Jahre später hat die Staatsanwaltschaft noch immer kein eindeutiges Motiv und auch keine Täter ermittelt. Die beiden älteren Kinder des Paares mussten aus Angst ins Exil flüchten.

Der Fall López Velasco kommt nach Den Haag 

Eine Familie war zerstört, eine kritische Stimme mitsamt ihres Wissens zum Schweigen gebracht. "In mehr als 90 Prozent der Fälle können die Täter damit rechnen, straffrei davonzukommen", sagt Balbina Flores von Reporter ohne Grenzen in Mexiko der DW. Zumindest symbolisch soll der Fall nun aber doch vor Gericht landen: Das Permanente Völkertribunal hatte für den 2. November in Den Haag einen Verhandlungstag über weltweite Verletzungen der Pressefreiheit angesetzt.

Drei Journalistenmorde werden zur Sprache kommen: Miguel Ángel López Velasco  aus Mexiko, Lasantha Wickrematunge aus Sri Lanka und Nabil Al-Sharbaji aus Syrien. Das Tribunal kann zwar niemanden verurteilen, aber zumindest die Morde sichtbar machen und den Druck auf die jeweiligen Regierungen erhöhen, Journalisten in Zukunft besser zu schützen.

Auch der Fall von Lasantha Wickrematunge soll in Den Haag auf die TagesordnungBild: Gemunu Amarasingh/AP Photo/picture alliance

Angestrengt haben den Prozess Reporter ohne Grenzen, Free Press Unlimited (FPU) und das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ). "Dieses öffentliche Forum ist eine Chance, Staaten für ihre Versäumnisse zur Rechenschaft zu ziehen", sagt Natalie Southwick, CPJ-Programmkoordinatorin für Lateinamerika und die Karibik, "diese Bemühungen sind besonders in Lateinamerika wichtig, wo die überwiegende Mehrheit der Mörder von Journalisten nie vor Gericht gestellt wird, und insbesondere in Mexiko, dem für die Presse tödlichsten Land der Hemisphäre."

Spuren der Morde reichen in die Politik

Der Prozess gehört zu einer Reihe von Aktionen, mit denen Journalisten weltweit auf die Gefahren für sie und die Pressefreiheit aufmerksam machen wollen. Ein anderes ist zum Beispiel das Projekt Forbidden Stories. Die gemeinnützige Organisation unterstützt Journalisten, die Recherchen ermordeter, inhaftierter oder bedrohter Kollegen fortsetzen, um den Tätern zu zeigen, dass Repressalien gegen Journalisten nicht zielführend sind, um unangenehme Wahrheiten zu vertuschen.

López Velascos Tod war ein Warnschuss. Er war erfahren und angesehen, kannte den Bundesstaat wie seine Westentasche. "Sein Tod war der Auftakt einer ganzen Reihe von Morden an Journalisten in Veracruz", erinnert Balbina Flores. Unter ihnen war auch Yolanda Ordaz von Notiver, die vor ihrem Tod die schleppenden Ermittlungen der Behörden im Falle López Velascos kritisiert hatte. Ebenso Regina Martínez, Korrespondentin der einflussreichen Wochenzeitung "Proceso", vergleichbar mit "Der Spiegel" in Deutschland.

Die ermordete mexikanische Journalistin Yolanda Ordaz de la CruzBild: EPA/Notiver/dpa/picture alliance

In Veracruz regierte damals Javier Duarte (2010-2016) von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI). Während seiner Amtszeit wurden in Veracruz 17 Medienschaffende ermordet, drei verschwanden spurlos. Es zirkulierte eine sogenannte schwarze Liste von Journalisten, die Duarte und seinem einflussreichen Vorgänger und politischen Ziehvater, Fidel Herrera, missfielen und deshalb ausspioniert wurden. Veracruz war damals der gefährlichste Bundesstaat für Journalisten.

Ermittlungen in Mexiko verlaufen im Sande

Die von Duarte kontrollierte Regional-Staatsanwaltschaft lancierte nach dem Mord die These einer Abrechnung. López Velasco sei mit einem Drogenboss alias "El Ñaca" aneinander geraten. Kurz darauf ließ sie den Fall im Sande verlaufen. Duarte wurde später wegen Korruption zu neun Jahren Haft verurteilt.

Auf Druck von Menschenrechtlern verabschiedete Mexikos Kongress 2012 ein Gesetz zum Schutze von gefährdeten Journalisten und Aktivisten. Seither haben Flores zufolge mehr als 1500 Mexikaner, darunter 500 Journalisten, davon Gebrauch gemacht.

Plakette zum Gedenken an fünf ermordete Journalisten in Mexiko-StadtBild: picture-alliance/AP/M. Ugarte

Doch der Schutzmechanismus sei bürokratisch und langsam, klagt sie: "Laut Gesetz müssen die Behörden innerhalb von zwölf Stunden nach einem Hilferuf reagieren, sei es mit einem Panikknopf, mit regelmäßigen Polizeipatrouillen, Bodyguards oder im Extremfall mit der Unterbringung in einem sicheren Haus. In der Praxis dauert das aber bis zu zwei Wochen."

Schutz von Journalisten keine politische Priorität

Im Dezember 2018 übernahm Andrés Manuel López Obrador die Regierung und versprach eine drastische Wende in der Sicherheitspolitik. Geändert hat sich jedoch wenig. Seit Beginn seiner Amtszeit wurden offiziellen Zahlen zufolge 43 Journalisten und 68 Aktivisten ermordet. "In den meisten Fällen gab es zuvor Morddrohungen", sagt Flores. Von den sieben Journalisten, die dieses Jahr umgebracht wurden, hatten zwei Schutzmaßnahmen beantragt, aber diese kamen zu spät", so die Mitarbeiterin von Reporter ohne Grenzen.

Schutz von Journalisten weit unten auf der Agenda: Mexikos Präsident Andrés Manuel López ObradorBild: Patrick Semansky/AFP/Getty Images

Eine Reform des Schutzgesetzes, das in Zusammenarbeit mit Journalistengremien ausgearbeitet wurde, liege im Kongress auf Eis; das Budget der Behörde sei nicht erhöht worden. "Das Thema hat keine politische Priorität", klagt Flores. Das Tribunal in Den Haag soll das ändern.