Tricksen, was das Zeug hält
20. August 2002Die Börsen-Misere schlägt sich auf das Konsumverhalten der Verbraucher und die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate nieder. In Deutschland ebenso wie in anderen EU-Ländern auch. Zu diesem Ergebnis kommt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim in einer Studie. "Diese Kapitalvernichtung vermiest den Verbrauchern die Lust am Konsum und beeinträchtigt so die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate", erklären die Mannheimer Forscher.
Selbst wenn die Konjunktur-Orakel Recht behalten und die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr – wie 2001 – knapp an einer Rezession vorbeischrammt, ergibt die Mischung aus Steuerausfällen und Milliarden an Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit einen explosiven Cocktail. Deutschlands Weg zum Defizit-Sünder ist vorgezeichnet: "Um 2003 unter drei Prozent zu bleiben, brauchen wir mindestens ein Wirtschaftswachstum zwischen 1,8 und 2,3 Prozent", meint Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. "Erst dann bekommen wir wieder mehr Beschäftigung. Und damit auch eine Entlastung des Bundeshaushalts."
Frisierte Zahlen
Sollte diese Marke verfehlt werden, könnte der künftige Bundesfinanzminister - wer das auch immer sein mag - bei einigen seiner europäischen Amtskollegen abschauen, wie man überhöhte Schuldenlasten so verschleiert, dass sie dem EU-Währungskommissar keine Bauchschmerzen bereiten. Denn einige Nachbarn Deutschlands tricksen bereits heute, was das Zeug hält, um die strengen Kriterien des Stabilitätspakts zumindest scheinbar zu erfüllen. Die Griechen haben beispielsweise Investment-Firmen mit Sitz in Luxemburg gegründet, die auf dem Kapitalmarkt Geld aufnehmen. Als Sicherheit dienen Milliarden-Einnahmen, die Griechenland irgendwann einmal aus dem EU-Strukturfonds erhalten wird.
Die Finanzjongleure unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi haben sogar die italienischen Lottoeinkünfte der Zukunft verkauft – diese Einnahmen aber im aktuellen Haushalt verbucht. Der Schwindel flog zwar in Brüssel auf – doch Konsequenzen gibt es nicht. Im Gegensatz zu den nach dem Enron-Skandal eingeführten Strafen für Bilanz-Fälscher in den USA gibt es für Buchungstricks im Euroland keinerlei Regeln.
Auch Bundesfinanzminister Hans Eichel griff schon in die Zauberkiste, wenngleich auch nicht so tief. Er verbuchte Milliarden aus dem dritten Börsengang der Deutschen Telekom schon als Einnahme für den Haushalt, indem das Aktienpaket des Bundes noch vor dem Börsengang bei der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geparkt wurde.
Kreativer Haushaltsentwurf
Dass die Deutschen in diesem Jahr einen kreativen Haushaltsentwurf auf die Beine stellen werden, davon ist Herbert Buscher überzeugt. Der Finanzminister könnte auf die Idee kommen, Milliarden Euro in den Haushalt zu buchen, die er als Rückerstattung aus Brüssel erwartet. Mittel etwa aus EU-Projekten, die nie abgerufen wurden.
Wenn der von der Hartz-Kommission diskutierte "Job-Floater" für Ostdeutschland in der ursprünglichen Höhe von 150 Milliarden Euro bei der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angesiedelt worden wäre, dann, so Buscher, sei das im Prinzip auch nichts anderes, als das Verstecken der Enron-Verluste in den Bilanzen der Konzern-Töchter.
Vielleicht behalten ja doch die Spötter Recht, die vor mehr als fünf Jahren meinten, der Stabilitätspakt stünde unter einem denkbar ungünstigen Stern: Schließlich wurde er an einem Freitag den 13. Dezember 1996 auf dem EU-Gipfel in Dublin festgezurrt.