Triest und die neue Seidenstraße
11. Dezember 2020Für das Habsburgische Reich war die Hafenstadt Triest einst der einzige Zugang zum Meer und dadurch strategisch enorm wichtig. 1719 zum Freihandelsgebiet von Karl VI. deklariert, wurde die Stadt zum Knotenpunkt für Osteuropa.
Später im 20. Jahrhundert - während des Kalten Krieges - verlor sie ihren Glanz und ihre Bedeutung und wurde zur isolierten Peripherie Europas - ein Opfer des Eisernen Vorhangs. Doch jetzt erlebt die italienische Hafenstadt Triest eine neue, goldene Ära.
Das Ende der Isolation?
"Um die wachsende Bedeutung des Hafens zu verstehen, muss man nur auf die Karte schauen“, erklärt der Präsident der Hafenbehörde Zeno D’Agostino. "Osteuropas Wirtschaft wächst stark, und alle diese Nationen sind vom Triester Hafen aus sehr schnell erreichbar", sagt er.
Seitdem D’Agostino das Amt 2015 angetreten hat, entwickelt sich der Hafen von Triest rasant. In der Stadt ist er sehr beliebt, wahrgenommen wird er als einer der Protagonisten des Wandels am Hafen. "Die Zugverbindung nach Norden, teilweise ein Erbe der österreichisch-ungarischen Monarchie, ist der große Vorteil vom Triest", setzt er fort.
Kaum ein Ort in Italien wurde von der Geopolitik so stark beeinflusst wie Triest. Auch jetzt. Ihre strategische Position macht sie zur idealen Station der neuen maritimen Seidenstraße. Im März 2019 unterzeichnete Italien ein Memorandum mit China - und wurde so Teil der Neuen Seidenstraße, als erster G7-Staat.
Harsche Kritik an der Positionierung von Triest
Daraufhin hagelte es Kritik, vor allem aus Brüssel und anderen EU-Staaten. "Was in der italienischen Öffentlichkeit als reine kommerzielle Absichtserklärung propagiert wurde, ist eigentlich eine politische Anerkennung des Projekts der Seidenstraße eines Mitgliedsstaates der G7, also eine sehr ernstzunehmende Sache", erklärt die italienische Sinologin Giada Messetti.
In ihrem jüngsten Buch "Im Kopf des Drachen" ("Nella testa del Dragone“, 2020) versucht sie China und seine Strategie zu erklären, politisch und kulturell: "Die Chinesen haben von vornherein geplant, so zu werden, wie sie heute sind. Sie haben ein ökonomisches Projekt verfolgt. Und da ihre wirtschaftliche Bedeutung in der Welt so stark ist, ist es eigentlich selbstverständlich, dass sie die Welt beeinflussen wollen."
Triest als Spielball internationaler Politik?
Der internationale Tiefwasserhafen ist der wichtigste Hafen für Öltanker im Mittelmeerraum. Der Zugang gilt als strategisch. Im Memorandum mit China wird die Beteiligung der China Communications Construction Company (CCCC) im Hafen von Triest geplant. Der Hafen kann nicht einfach verkauft werden, wie zum Beispiel der griechische Hafen Piräus, der seit 2016 mehrheitlich in chinesischer Hand ist. Das bekräftigt die Triester Hafenbehörde immer wieder.
Das umstrittene Abkommen zwischen China und Italien hat jedoch bis heute keine konkreten Projekte produziert. Noch Monate nach dem Besuch Xi Jinpings in Rom herrscht Stillstand. Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus: "Eigentlich verhandeln wir mit den Chinesen schon seit einiger Zeit", erzählt Francesco Parisi.
Als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft PLT ist er beauftragt mit dem Bau eines neuen Multifunktions-Terminals im Hafengelände von Triest und sucht nach Partnern, um das Projekt weiterzuentwickeln. "Wir bevorzugen China nicht unbedingt als Handelspartner, wir nehmen einfach wahr, dass das Land gewachsen ist und, dass es jetzt der Handelspartner Nummer 1 ist."
Wirtschaftsgeschichte der Stadt
Parisi kümmert sich um Transportgeschäfte in der ganzen Welt. Seine 1807 gegründete Firma gehört zur Geschichte der Stadt. Als Unternehmer in achter Generation kann er die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und China natürlich nicht ignorieren.
Die Zeit des Eisernen Vorhangs in Triest hat er selber erlebt: "Der Gedanke eines Kalten Krieges treibt mich persönlich um - als Geschäftsmann, auch als Bürger der Europäischen Union. Doch der internationale Handel kann eine Brücke sein und dabei helfen Frieden zu bewahren."
Doch hier scheiden sich die Geister: Darf man Geschäfte mit einem Land machen, das bekanntermaßen Menschenrechte verletzt? Und wie verhält man sich inmitten eines Handelsstreites zwischen China und den USA? Der politische Druck ist hoch, und auf einmal trägt auch Triest eine Verantwortung im globalen Konflikt.
Neuer europäischer Partner mit an Bord
Doch Ende September 2020 wird bekannt: beteiligt an der Weiterentwicklung des Hafens wird ein europäischer Partner. "Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) übernimmt mit 50,01% die Mehrheit am Multifunktions-Terminal im Seehafen Triest", lautet die Pressemitteilung. Eine rein kommerzielle Entscheidung? Vielleicht, aber in Triest geht es immer auch um Geopolitik.
Die Sinologin Giada Messetti wünscht sich eine klarere, gemeinsame Haltung Europas zu China: "Europa riskiert, das Schlachtfeld von China und Amerika zu werden. Doch die EU könnte der dritte Akteur in der globalen Arena sein. Ich hoffe, sie entscheidet sich dafür, genau das zu sein", wünscht sie sich.
Dafür braucht man unter anderem auch eine gemeinsame europäische Logistik. Die Kooperation zwischen Hamburg und Triest mit seinem gut ausgebauten Schienennetz ist ein erster Schritt in diese Richtung.