Tristesse statt Fußballfieber?
9. Juni 2016Die EURO 2016 soll ein großes Fußball-Fest werden: Millionen begeisterter EM-Gäste, feiernde Massen am Eiffelturm und freundschaftliche Stimmung unter den Anhängern verschiedener Teams in den Cafés und Bistros der Stadt. Doch in den letzten Tagen vor dem Turnierstart ist davon nur wenig zu spüren. Stattdessen fürchtet das Land Blockaden durch Gewerkschaften, spielt Terrorszenarien durch, und der Fußballverband hatte nach der endgültigen Kaderbekanntgabe auch noch eine Rassismusdebatte am Hals.
Im Pariser Straßenbild war in der vergangenen Woche von dem Großturnier noch nicht viel zu sehen. Ein paar Läden hatten Fan-Ecken eingerichtet, in denen Fähnchen und Blumenketten in Blau-Weiß-Rot auf Käufer warteten. Doch vielmehr als die EM beschäftigte das Seine-Hochwasser die französische Metropole.
Einige der bedeutenden Pariser Museen blieben geschlossen, darunter der Louvre, wo die Kunstwerke aus den Kellergeschossen in die oberen Stockwerke geräumt wurden. Aber nicht nur die Pariser Innenstadt, auch Frankreichs Norden, das Pariser Umland und die Loire-Region sind betroffen. Die Schäden werden auf 900 Millionen bis 1,4 Milliarden Euro geschätzt. 20.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Es gab etliche Verletzte und einige Tote. Die französische Regierung erklärte die von Überschwemmungen betroffenen Regionen zu Katastrophengebieten. In 782 Gemeinden in 16 französischen Departements wurde am Mittwoch der Katastrophenfall ausgerufen.
Streiks bei Eisenbahn, Müllabfuhr und Ölraffinerien
Neben dem Hochwasser hält der Kampf der Gewerkschaften gegen die Regierungspläne für eine Arbeitsmarktreform die Grande Nation in Atem. Die Streiks bei der Eisenbahn, der Müllabfuhr und in französischen Ölraffinerien gehen auch kurz vor Beginn der EURO weiter. Zahlreiche Zugverbindungen sind gestört und in einigen Pariser Stadtteilen quillen die Mülleimer über.
Wenigstens an den Tankstellen ist das Schlimmste vorbei: Nachdem es vor einigen Tagen zu Engpässen gekommen war, gibt es mittlerweile wieder ausreichend Benzin und Diesel. Und eine weitere gute Nachricht: Die Fluglotsen sagten ihren Streik für das EM-Auftaktwochenende ab. Dennoch ist die Stimmung vergiftet: Arbeitgeber-Präsident Pierre Gattaz beschimpfte die Streikenden sogar schon als "Terroristen" - und das knapp ein halbes Jahr nach den Anschlägen von Paris.
Hotelbuchungen stagnieren
Auch die Anschläge vom 13. November spielen in den Köpfen der Franzosen und der EM-Touristen eine große Rolle. Die Veranstalter wissen das und bemühen sich daher um ein Maximum an Vorsichtsmaßnahmen, wie Innenminister Bernard Cazeneuve immer wieder versichert. Rund 90.000 Sicherheitskräfte sollen die EM-Besucher schützen. Doch gerade hat das US-Außenministerium wieder zu erhöhter Wachsamkeit geraten: Stadien und Fanmeilen könnten zu potenziellen Zielen für Terroristen werden.
Die Folgen der Terrorangst bekommen auch die Hotelbetreiber der zehn Austragungsstädte zu spüren. Frankreich rechnete eigentlich mit rund 2,5 Millionen ausländischen Fans. Doch diese Erwartung scheint sich bei weitem nicht zu erfüllen: "Die Auslastung stagniert und ist in einigen Städten sogar rückläufig", wird Laurent Duc, der Vorsitzende der Vereinigung der Hotelindustrie UMHI, in der Tageszeitung "Die Welt" zitiert. "In Städten wie Lyon, Bordeaux und Marseille übersteigt die Auslastungsrate bei einigen Spielen nicht 50 Prozent", so Duc. Für einige Spiele betrage die Auslastungsrate der Hotels sogar nur 30 Prozent.
Thuram: "Benzema destabilisiert die Mannschaft"
Dennoch - so der Wunsch der EM-Organisatoren - soll sich jetzt alles auf den Sport konzentrieren. Natürlich soll die französische Mannschaft eine Hauptrolle spielen und bis zum Ende des Turniers dabei sein. Doch positive Schlagzeilen tun auch hier Not, nachdem der ausgebootete Stürmerstar Karim Benzema mit seiner bizarren Kritik an Nationaltrainer Didier Deschamps aufhorchen ließ. Der Torjäger von Champions-League-Sieger Real Madrid behauptete, er sei aus rassistischen Gründen nicht ausgewählt worden und vergaß dabei wohl völlig, dass er sich wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an der Erpressung seines Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena selbst um seine EM-Teilnahme gebracht hatte.
Das erzeugte medialen Gegenwind: "Seinem Mentor den bösesten aller Vorwürfe zu machen, ist ein Zeichen von Dummheit", urteilte die Zeitung "Midi Libre". Deschamps' Weltmeister-Kollege Liliam Thuram warf Benzema beim Radiosender France Info Brandstiftung vor: "Mit seinen Aussagen riskiert er, die ganze Mannschaft zu destabilisieren."
Dauerregen, Rassismus-Vorwürfe, Verkehrschaos und Terrorangst - wie soll da richtige EM-Vorfreude aufkommen? Grünen-Politiker und Deutsch-Franzose Daniel Cohn-Bendit lässt sich von der vermeintlich miesen Stimmung nicht unterkriegen. Er hält die bisherige Zurückhaltung aber für nichts Ungewöhnliches. "Das ist so Sitte in Frankreich, da wird nicht vorher viel mit Fahnen geschwenkt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das war bei der Weltmeisterschaft 1998 auch so. Wenn das Turnier beginnt, streifen sie sich die Trikots über." Wenn das so ist, müssen sich die Franzosen tatsächlich keine Sorgen machen - immerhin sind sie damals im eigenen Land am Ende Weltmeister geworden.