"Träume von Freiheit" heißt eine Ausstellung in der Tretjakow-Galerie. Erstmals begegnen sich Meisterwerke der Romantik aus Deutschland und aus Russland.
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Romantische Kunst aus Deutschland und Russland
Diese Ausstellung in Moskau gleicht einem Gipfeltreffen: Erstmals vereint die Tretjakow-Galerie Gemälde von russischen und deutschen Künstlern der Romantik.
Maxim Worobjow war ein bedeutender Landschaftsmaler der russischen Romantik. Dieses dramatische Gemälde zeigt einen Blitzeinschlag. Diese Momentaufnahme eines Naturereignisses gilt auch als Ausdruck einer persönlichen Tragödie im Leben des Künstlers: dem Verlust seiner Frau.
Caspar David Friedrich: "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes", 1819/20
Eines der herausragenden Werke des Albertinums ist zum ersten Mal in Moskau zu sehen. Die beiden Männer schauen in der Abenddämmerung zum Mond, und blicken dabei eigentlich hinein in ihr tiefstes Inneres. Die unterschiedlichen Bäume werden als christliche Metaphern interpretiert: Der kahle Baum gilt als ein Symbol des Todes, der immergrüne für das ewige Leben.
Silvester Schtschedrin: "Grotta di Matromania" auf Capri, 1827
Silvester Schtschedrin - geboren 1791 in Sankt Petersburg, gestorben 1830 in Sorrent – gehört zu den außerhalb Russlands weniger bekannten russischen Romantikern. Seinen Italientraum konnte sich Schtschedrin wegen der Napoleonischen Kriege erst 1818 verwirklichen, in seiner neuen Wahlheimat blieb er bis zu seinem frühen Tod.
Der Dresdner Maler Carl Gustav Carus, der auch Arzt, Psychologe und Naturforscher war, ist zum ersten Mal in Russland zu sehen. Sein Werk "Brandung auf Rügen" inspirierte Generationen von russischen und deutschen Marinisten. In der Ferne tauchen am Horizont links die berühmten Kreidefelsen der Ostseeinsel auf.
Wer sind diese vier Zeitungsleser? Es wird vermutet, dass es sich um den polnischen Dichter und Freiheitskämpfer Antoni Odyniec, um Adam Mickiewicz und Graf Zygmunt Krasiński sowie Alexander Potocki handelt. Die vier lesen in der "La Gazette de France" einen Artikel über den Novemberaufstand in Polen - ein Kampf für die Unabhängigkeit des Landes vom russischen Reich.
Anton Iwanow-Goluboi: "Die Insel Walaam bei Sonnenuntergang", 1845
Geboren als Leibeigener 1818, erlangte der russische Maler Anton Iwanow durch sein künstlerisches Talent die Freiheit. Seinen Zweitnamen "Goluboi", "der Blaue", legte er sich in Italien zu. Damit brachte der Künstler seine Vorliebe für die Farbe Blau zum Ausdruck – in seiner Bekleidung wie in seiner Malerei. Diese stimmungsvolle Abendlandschaft wird allerdings von Gelb- und Brauntönen dominiert.
Adrian Ludwig Richter, "Die Überfahrt am Schreckenstein", 1837
Das Gemälde von Ludwig Richter gilt als ein Schlüsselbild zum Verständnis der Spätromantik. Mensch und Natur sind in ein stimmungsvolles Licht getaucht. Inspiration für diese metaphorische Darstellung des "Lebensschiffs" holte sich der Künstler während einer Wanderung im böhmischen Elbtal. Nun treibt diese Gesellschaft sinnbildlich auf der Elbe als dem "Strom des Lebens".
Caspar David Friedrich: "Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer", 1808
Caspar David Friedrich genießt in Russland besonders hohes Ansehen. Diese Landschaftsansicht taucht die Natur in ein sommerlich-harmonisches Licht und bringt so eine heitere Stimmung zum Ausdruck. Es gilt als eine der schönsten Landschaftsdarstellungen der deutschen Malerei.
In der Tretjakow-Galerie in Moskau herrscht große Aufregung: Am 22. April eröffnet im neuen Gebäude eines der wichtigsten russischen Museumshäuser die Ausstellung des Jahres: "Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland". Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, gerade in Moskau zu Besuch, wird mit einer Regierungsdelegation zur Eröffnung erwartet, was angesichts der politischen Lage in Russland brisant erscheint. Zugleich gilt die Schau als Höhepunkt des Deutschland-Jahres in Russland.
Konzipiert von einem deutsch-russischen Kuratoren-Team und architektonisch gestaltet von Daniel Libeskind gilt die Ausstellung als Gipfeltreffen zweier weltberühmter Sammlungen - der Tretjakow-Galerie, die auf nationale russische Kunst spezialisiert ist, und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, vor allem dem Albertinum.
64 Werke, darunter Gemälde der Galionsfiguren der deutschen Romantik wie Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus reisten trotz einer durch die Corona-Pandemie bedingten komplizierten Logistik von der Elbe an die Moskwa. 70 Werke stammen aus russischen Sammlungen, darunter herausragende Werke von Malern wie Alexei Wenezianow, Alexander Iwanow oder Maxim Worobjow, die außerhalb Russlands nur Wenigen bekannt sind. Weitere Leihgaben stammen aus zahlreichen deutschen und russischen Sammlungen, so hat die sonst eher zurückhaltend spendable Eremitage in St. Petersburg zwei von insgesamt neun Werken des Malers Caspar David Friedrichs für die Ausstellung zur Verfügung gestellt.
Romantiker strebten nach Freiheit
Zahlreiche Objekte (wie etwa Napoleons Reitstiefel oder Objekte aus dem Privatbesitz der Künstler) sollen die Lebenswelt der Romantiker veranschaulichen. Vervollständigt und reflektiert werden die Ideen der Epoche der radikalen Befreiung des Individuums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Beiträge internationaler zeitgenössischer Künstler. Darunter bekannte Namen wie Susan Philipsz, Boris Mikhailov, Marlene Dumas, Wolfgang Tillmans oder Nikolaj Polisski. "Die Ausstellung macht deutlich, dass unsere Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts die gesellschaftlichen Prozesse, die vor 200 Jahren initiiert wurden, fortsetzt: die Frage nach dem Subjekt, einem selbstbestimmten, freiheitlichen Leben und nach Geborgenheit in einer selbst gewählten Heimat", schreibt Hilke Wagner, Direktorin des Albertinum, in ihrem Katalog-Vorwort.
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Deutsch-russische Wahlverwandtschaft in der Romantik
"Vor uns stand die außergewöhnliche und auch merkwürdige Aufgabe, deutsche und russische Kunst in einem Projekt sinnvoll zu vereinigen. Ein solches Projekt hat es noch nie gegeben", sagt Sergej Fofanow im DW-Gespräch. Der 37-Jährige ist der Jüngste im Kuratoren-Dreigestirn, neben der angesehenen Tretjakow-Kustodin Ljudmila Markina und dem deutschen Kunsthistoriker und Albertinum-Konservator, Holger Birkholz. "Zwei Nationen, drei Generationen, unterschiedliche Gender", freut sich Fofanow, der viele Jahre in Berlin gelebt hat und fließend Deutsch spricht, über die Diversität im Kuratoren-Team.
Am Anfang gingen damit aber auch gewisse Reibungen einher, denn die Kunst der Romantik ist "zutiefst im jeweils anderen nationalen Gedächtnis verankert", so Fofanow. Auch sein Kollege Holger Birkholz räumt im DW-Gespräch ein, dass die russische Romantik für ihn als Kunsthistoriker und Friedrich-Experte "eine neue Begegnung" gewesen sei. "Als ich aber Werke von Wenezianow oder Iwanow sah, fühlte ich mich gleich ein bisschen zuhause. Zusammen mit den russischen Kollegen haben wir festgestellt, dass es doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen der russischen und deutschen Kunst der Romantik gibt als Unterschiede."
Russische Künstler kamen nach Dresden
Auch die russischen Künstler der Romantik stellten - genau wie ihre deutschen Zeitgenossen - Themen wie die Erkundung der Gefühlswelten in den Mittelpunkt. Auch für sie war die Natur eine Metapher für den eigenen seelischen Zustand. Auch sie strebten eine radikale Freiheit in der Kunst an, gepaart mit dem Wunsch nach Freiheit im sozialen Leben. Und auch sie lebten in einem Europa, das nach den Napoleonischen Kriegen in Reaktionismus verfallen war.
Hinzu kommen zahlreiche persönliche Begegnungen und Überschneidungen der Lebenswege: So war der Russe Alexander Iwanow, von dem das zentrale Werk der russischen Kunst "Die Offenbarung Christi gegenüber den Menschen" stammt, mit dem deutschen Kollegen Friedrich Overbeck eng befreundet. Zahlreiche russische Künstler machten in Dresden Station auf dem Weg nach Italien - allein schon wegen des Pflichtbesuchs bei Raphaels "Sixtinischer Madonna" in der Dresdner Galerie Alter Meister. Und spätestens in Rom, diesem "Melting Pot" der Kunstszene jener Zeit, treffen sich alle wieder.
Werke von Friedrich im Schlafzimmer der Zarin
Historische Wahrheiten und Anekdoten ranken sich um die deutsch-russische Wahlverwandtschaft der Romantik-Epoche. So sammelte die Kaiserin Alexandra Fjodorowna, geboren als Charlotte von Preußen und Schwester des ersten Deutschen Kaisers Wilhelm I. sowie Ehefrau des russischen Zaren Nikolaus I., Gemälde von Caspar David Friedrich, die sie in ihre Privatgemächer hängte. Dank dieser Kunstleidenschaft der Zarin, die bald Schule machte, besitzt Russland, nach Deutschland, die größte Anzahl von Gemälden des Malers Caspar David Friedrich.
Auch andere deutsche Maler der Romantik waren in Russland beliebt. Dass hingegen russische Künstler wie Wenezianow, Worobjow oder Soroka außerhalb Russlands bis heute kaum oder nur wenig bekannt sind, wäre, so der Kurator Fofanow, den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg zu "verdanken". Die Schau in Moskau holt russische Romantik-Kunst in den internationalen Kontext zurück und trägt damit zur "Wiederherstellung der kunsthistorischen Gerechtigkeit" bei.
Daniel Libeskinds "Wege der Freiheit"
Ein besonderer Hingucker ist den Machern auch mit dem Design der Ausstellungsarchitektur gelungen: Dafür konnte der polnisch-stämmige, US-amerikanische Architekt Daniel Libeskind gewonnen werden. Mit einer Art Labyrinth aus zwei ineinander verwobenen Spiralen macht der Stararchitekt die Komplexität der Themen Freiheit und Unfreiheit in Deutschland und Russland geradezu physisch erlebbar. Die Idee der Freiheit sei für ihn "spirituell, persönlich und politisch zugleich", so Libeskind, der zur Eröffnung in Moskau persönlich erschien.
Dass die Ausstellung in einem rauen politischen Klima weit von Freiheitsidealen stattfindet, ist wohl allen Beteiligten klar. "Die Freiheit ist aber nicht in einer staatlichen Struktur oder einer politischen Ordnung zu finden", so der Kurator Fofanow. "Unsere Ausstellung ist einer Freiheit gewidmet, die nur von innen kommen kann. Wer diese Art von Freiheit besitzt, bleibt frei, sogar in einem Konzentrationslager."
Die Ausstellung "Träume von Freiheit - Romantik in Russland und Deutschland" läuft in der Staatlichen Tretjakow-Galerie, Moskau, bis zum 8.08 2021, die zweite Station der Ausstellung wird vom 02.10.2021 bis 06.02.2022 im Albertinum in Dresden gezeigt.
Der Romantiker: Vor 180 Jahren starb der Maler Caspar David Friedrich
Seine melancholischen Gemälde gelten als Inbegriff der deutschen Romantik. Caspar David Friedrich schuf in seiner Lebenszeit Ikonen der Malerei. Seit Generationen begeistert er Publikum und Kunstkenner.
Bild: bpk
"Die Lebensstufen" (um 1834)
Caspar David Friedrich war 65, als er am 7. Mai 1840 in Dresden starb. Er stammte aus einer Greifswalder Talgsiederfamilie, damals gehörte die Stadt am Meer zu Schwedisch-Pommern. Sein Handwerk lernte er an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Aber den künstlerischen Impuls zu seinem eigenen Stil bekam er erst an der Dresdner Akademie. Dort probierte er neue Maltechniken aus.
Bild: bpk
"Landschaft mit Regenbogen" (1810)
Seinen ersten Erfolg erzielte er als Maler 1805: Der Weimarer Kunstpreis wurde ihm zugesprochen. Goethe soll maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung zu dieser Auszeichnung gehabt haben. Der junge Maler war ihm durch seine wildromantische Landschaftsmalerei aufgefallen. Damals malte Friedrich noch in Sepia; ab 1807 entstanden dann seine ersten Ölbilder wie "Landschaft mit Regenbogen".
Bild: NDR
"Kreidefelsen auf Rügen" (um 1818)
Nach 1806 unternahm Caspar David Friedrich ausgedehnte Reisen - von Rügen, wo er die Kreidefelsen (s.o.) wiederholt in seinen Bildern verewigte, bis in den Harz und das Erzgebirge. Rauhe, unberührte Natur war ihm am liebsten. Von Felsen, Bäumen, Wolken fertigte er detailgenaue Skizzen. Eine euphorische Besprechung durch Heinrich von Kleist machte seine Gemälde einem größeren Publikum bekannt.
Bild: gemeinfrei
"Nebelschwaden" (1818/1820)
Vor allem die Lichtverhältnisse der unterschiedlichen Tageszeiten interessierten Friedrich. Die Farbschattierung der Landschaft änderte sich ständig. Dieses Bild war im 20. Jahrhundert Gegenstand eines Kunst-Krimis: Bei einem spektakulären Raub aus der Schirn Kunsthalle Frankfurt wurde es 1994 von Einbrechern entwendet. Dank Scotland Yard bekam es die Hamburger Kunsthalle als Leihgeber zurück.
Bild: picture-alliance/dpa
"Der Baum der Krähen" (1822)
Seine Naturgemälde waren häufig Sehnsuchtsbilder, mit einem Hauch von Wehmut. Dem jungen Maler wurde ein Hang zu "starker Melancholie" nachgesagt. Der Tod seiner Schwester Dorothea 1808 und seines Vaters 1809 hatten ihn sehr aus der Bahn geworfen. Ein Suizidversuch gelang zum Glück nicht, aber seine innere Verlorenheit blieb Zeit seines Lebens Motiv in seinen späteren Bildern.
Bild: picture-alliance/Heritage-Images
"Wanderer über dem Nebelmeer" (1817)
Eines der berühmtesten Gemälde von Caspar David Friedrich, der "Wanderer über dem Nebelmeer" gilt als autobiographisches Bild. In solchen wildromantischen Posen - der Mensch fasziniert von der überirdischen Schönheit der Natur - malte sich Friedrich auch in vielen anderen Bildern. Manche Gemälde trugen fast religiöse Züge.
Bild: picture-alliance/dpa/E. Walford
"Das Eismeer" (1823/24)
Der Künstler erschien in seiner Malerei eher weltfremd. Aber als Anhänger einer nationalen Befreiungsbewegung mischte er sich politisch kräftig ein. In Debatten legte er einen fanatischen Franzosenhass an den Tag. Sein spartanisches Atelier wurde nach Napoleons Sieg zu einem Zentrum patriotischer Männer. Die Verwerfungen dieser Zeit schlugen sich in Bildern wie dem "Eismeer" nieder.
Bild: picture-alliance/akg-images
"Mönch am Meer" (1808-1810)
Das Gefühl eines unbestimmten Heimwehs bestimmte die Motivwelten seiner Gemälde. 1824 wurde er Professor in Dresden. Aber trotz einer Ehe, zu der Caspar David Friedrich ein sachliches Verhältnis hatte, und Familienleben konnte er sich seiner Einsamkeit nicht erwehren, wie er Freunden anvertraute. Politische Enttäuschung, Bespitzelungen und Intrigen an der Akademie verbitterten ihn zunehmend.
Bild: SMB/Foto: K. Mösl, F. Schneider
Inspiration für viele Maler
Bis heute haben die stimmungsvollen Gemälde von Caspar David Friedrich Künstler inspiriert. Auch der deutsche Maler Gerhard Richter ließ in seinen berühmten "Seestücken" Friedrichs eigentümliche Lichtstimmung über dem eisgrauen Meer wieder aufleben. 2019 wurde "Seestück (grüngrau, bewölkt)" (1969) im Guggenheim Bilbao ausgestellt.
Bild: picture-alliance/dpa
Porträt des Künstlers (um 1820)
Caspar David Friedrich (1774-1840) war auch Objekt seiner Künstlerkollegen; hier ein Porträt von Gerhard von Kügelgen. Friedrich galt als einer der großen Romantiker seiner Zeit. Er brach mit der lieblichen Landschaftsmalerei seiner Zeitgenossen, setzte karge Akzente in seine fast leeren Ölbilder. Mit seiner radikalen Bildgestaltung war er als Künstler damals modern und innovativ.