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Niedrigwasser am Rhein schadet Wirtschaft

8. August 2022

Es ist für die Jahreszeit ungewöhnlich wenig Wasser im Rhein. Binnenschiffe können bereits nicht mehr voll beladen werden. Das hat Folgen für Industrie und auch für die Energieversorgung.

Deutschland I Niedrigwasser des Rheins
Normalerweise würde Wasser diese Steine umspülen, doch der Rhein bei Köln ist derzeit sehr niedrigBild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance

"Es gibt einen deutlichen Bedarf, mehr Verkehr von der Straße auf Schienen und Wasserstraßen zu verlagern", sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Mit den Wasserstraßen sieht es aber zur Zeit gar nicht gut aus. Weil der Wasserstand zu niedrig ist, fahren auf der Elbe bereits seit Wochen keine Binnenschiffe mehr. Auf dem Rhein, der wichtigsten Binnenwasserstraße Europas, fahren Schiffe nicht mehr voll beladen.

Es sei ein für die Jahreszeit ungewöhnlich niedriger Stand am Rhein, sagt Christian Hellbach vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Köln Ende Juli. "Normalerweise fangen die Niedrigwasser-Phasen im Juli an und erreichen ihren tiefsten Punkt in der Zeit September, Oktober." Seitdem ist der Wasserstand auf dem Rhein weiter gesunken und Regen ist nicht in Sicht. "Seit Mitte Juli sind die Pegelstände im Rhein so niedrig, dass sie den Frachtverkehr spürbar beeinträchtigen", heißt es von Nils Jannsen. Er ist Konjunkturexperte des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

Ein modernes Binnenschiff ersetzt 150 LastwagenBild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance

Besonders niedrig ist der Wasserstand an der Engstelle Kaub bei Koblenz: Der Referenzwasserstand liegt bei nur noch 56 Zentimetern. Schiffe brauchen aber etwa 1,5 Meter, um mit voller Ladung fahren zu können.

Die Entscheidung, ob Schiffe bei Niedrigwasser weiter fahren, überlassen die Behörden den Schiffsbetreibern. Noch läuft der Schiffsverkehr, wenn auch eingeschränkt. "Wir fahren weiter, können aber nur etwa 25 bis 35 Prozent der Schiffskapazität beladen", sagt der Direktor der Schifffahrtsgenossenschaft DTG, Roberto Spranzi, die rund 100 Schiffe auf dem Rhein betreibt. "Das bedeutet, dass Kunden oft drei Schiffe benötigen, um ihre Fracht zu transportieren - statt nur einem."

Unternehmen bekommen Wassermangel zu spüren

In der Vergangenheit sei die Industrieproduktion um etwa ein Prozent gedrückt worden, wenn die Pegelstände eine kritische Marke für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten. "2018, als die Schifffahrt auf dem Rhein zuletzt für längere Zeit durch Niedrigwasser behindert wurde, wurde die Industrieproduktion in der Spitze um etwa 1,5 Prozent gedrückt", sagt IfW-Experte Jannsen.

Immerhin werden in Deutschland rund 195 Millionen Tonnen an Gütern im Jahr von Binnenschiffen befördert. Das meiste über den Rhein. Vor allem Massengüter wie Getreide, Kohle, Benzin, Heizöl, chemische Erzeugnisse, Kies, Sand, Baustoffe und Metallprodukte werden auf dem Wasser transportiert. Der Rhein verknüpft so wichtige Industriezentren in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit den Seehäfen in den Niederlanden und Belgien.

Diesmal kommt das Niedrigwasser zudem zur Unzeit, denn in der Wirtschaft herrscht ohnehin schon eine hohe Nervosität wegen der seit der Pandemie gestörten Lieferketten. Zusätzlich würden viele Unternehmen verstärkt Transportkapazitäten nachfragen, um ihre Lager zu füllen, sagt Ocke Hamann, Geschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer. So wollen sie sich vor weiteren Störungen der Lieferketten wappnen und mehr Sicherheit für ihre Produktionsprozesse schaffen. Das alles treibe die Preise für Transport per Lkw, per Bahn, per Überseeschiff und auch per Binnenschiff, so Hamann.

Diese Situation, in der bei allen Verkehrsträgern sowieso schon Kapazitäten fehlen, wird nun noch durch das Niedrigwasser verschärft. Wenn die Schiffe nicht mehr voll beladen fahren können, müssten mehr Schiffe fahren, um dieselbe Gütermenge zu transportieren. Schiffe sind aber eh schon Mangelware. "Wir sind ausgebucht", berichtet Spranzi.

Niedrigwasser kann Energieversorgung beeinträchtigen

Zusätzlich belastet die Energiekrise aufgrund des Ukraine-Krieges die Binnenschifffahrt. Um die Stromversorgung mit weniger oder ganz ohne russisches Gas zu gewährleisten, sollen wieder vermehrt Steinkohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Damit steigt der Bedarf nach Kohle und die wird per Binnenschiff von den Häfen zu den Kraftwerken transportiert.

Freie Transportkapazitäten gibt es dafür aber nicht, denn die Branche hatte sich auf den seit 2020 gesetzlich verankerten Kohleausstieg eingestellt und Transportkapazitäten entsprechend heruntergefahren. "Es fehlt derzeit an Binnenschiffen, Güterwaggons, Lokomotiven und Lokführern", beklagt das Energieunternehmen Steag.

Auch der Energiekonzern Uniper hatte bereits in der vergangenen Woche gewarnt, dass das Niedrigwasser den Kohlenachschub für wichtige Kraftwerke gefährde. Deshalb könne es bei der Stromproduktion in einigen Kraftwerken zu Unregelmäßigkeiten kommen.

Die nach Deutschland importierte Steinkohle landet in den Häfen und muss dann zu den Kraftwerken weiter transportiert werden. In der Regel per Binnenschiff.

Eine weitere Folge des Ukraine-Krieges: Ein Teil der Binnenschiffe, die üblicherweise auf deutschen Flüssen fahren, transportiert derzeit in Europa ukrainisches Getreide. Das habe die Frachtkapazitäten zusätzlich spürbar verknappt, so Spranzi.

Der Schock von 2018

Vor allem nach dem Niedrigwasser vor vier Jahren hat die Wirtschaft die Rheinpegel derzeit genau im Blick. 2018 war der Schiffsverkehr für 132 Tage wegen Niedrigwasser gestört. Verschiedene Pegel waren auf dem niedrigsten Stand, der je am Rhein gemessen wurde. Damals waren die Mehrheit der Industrieunternehmen aus den Branchen Chemie, Stahl, Papier, Metalle, Baustoffe sowie Agrar- und Mineralölprodukte stark bis sehr stark vom Niedrigwasser betroffen, hieß es ein Jahr später vom Industrieverband BDI.

Rund ein Drittel der Unternehmen hätten zumindest teilweise die Produktion reduzieren müssen. Etwa jedes dritte betroffene Unternehmen hätte über 50 Prozent höhere Transportkosten stemmen müssen und zwei Drittel der Unternehmen hätten nur sehr unzureichend ihre Transportanforderungen über andere Verkehrsträger wie Schiene und Straße abwickeln können.

Spürt die Industrie schon die Folgen?

Einer der Leidtragenden war beispielsweise das Stammwerk des weltgrößten Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen. Rund 40 Prozent der Lieferungen an den Chemiekonzern kommen normalerweise über den Rhein. Fünf bis zehn Frachtschiffe hatten das Unternehmen vor dem Niedrigwasser 2018 täglich mit Rohstoffen versorgt. Als das Wasser dann sank, hat das Unternehmen nur etwa ein Drittel der Schiffskapazitäten durch Verlagerung auf Pipelines, Lkws und Schiene kompensieren können.

Aktuell sei die Produktion des Chemiekonzerns nicht beeinträchtigt, sagte eine BASF-Sprecherin. "Wir können aber für die nächsten Wochen Reduktionen in den Produktionsraten einzelner Anlagen nicht vollständig ausschließen."

Der Chemiekonzern Evonik erklärte, die Produktion laufe. "Gegenwärtig bestehen bei Evonik durch Rhein-Niedrigwasser keine signifikanten Einschränkungen für unsere Logistikketten." Wo sinnvoll und technisch möglich sorge Evonik etwa durch Lagerbestände von Rohstoffen vor. Der Stahlkonzern Thyssenkrupp hat nach eigenen Angaben wegen des Niedrigwassers verschiedene Maßnahmen ergriffen. "Unsere Rohstoffbedarfe sind auf dieser Basis derzeit gesichert", so der Konzern.

Der Stahlhersteller Thyssen Krupp nutzt den Rhein für Kohletransporte. Ein Arbeitsstab "Niedrigwasser" beobachtet die Lage auf dem Rhein kontinuierlich.Bild: thyssenkrupp

Wegen des Niedrigwassers können Tankschiffe weniger Kraftstoffe in das europäischen Binnenland bringen. Die Schweiz, die den Rhein für die Einfuhr von erdölbasiertem Kraftstoff nutzt, musste schon Bestände aus ihren strategischen Reserven freigeben.

Welche Lehren aus dem Niedrigwasser 2018 gezogen wurden

Nach der schmerzhaften Erfahrung 2018 wurde ein Aktionsplan Niedrigwasser Rhein initiiert. Er sieht vor, dass unter anderem bessere Prognosen zum Wasserstand erstellt werden sollen, damit sich Unternehmen auf solche Extremwetter vorbereiten können.

Auch die Entwicklung von Schiffen, die weniger Tiefgang haben, also auch bei niedrigerem Wasser fahren können, stand auf dem Plan. Da Binnenschiffe in der Regel sehr lange genutzt würden, brauche es aber Innovationsimpulse für die Schiffsbetreiber, sagt Hamann. Nach 2018 hat BASF begonnen vermehrt moderne für Niedrigwasser geeignete Schiffe zu chartern, heißt es von dem Unternehmen. Außerdem sei ein Schiff mit hoher Tragfähigkeit bei geringem Tiefgang entwickelt worden. Allerdings nützt das derzeit nicht viel, denn das Schiff befindet sich noch im Bau.

Neben den Schiffen sollte aber auch in die Infrastruktur am Rhein investiert werden, sagt Hamann. Etwa in die Stabilisierung des Flussbettes oder in Schleusen. Auch das ist eigentlich Teil des Aktionsplans Niedrigwasser. "Im aktuellen Bundeshaushalt sind die Mittel für die Binnenschifffahrt in 2023 aber um 350 Millionen gekürzt worden", beklagt er. "Damit stehen nur noch 1,3 Milliarden Euro für die Binnenschifffahrt zur Verfügung." Dabei stehe im Koalitionsvertrag konkret drin, dass der Verkehr weg von der Straße auf Schiene und Schiff verlagert werden soll.

Und das Potential für mehr Binnenschifffahrt sei da, meint Hans-Heinrich Witte, Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. "Bei den Bundeswasserstraßen gibt es deutlich freie Kapazitäten für weitere Schiffe", so Witte. Die Binnenschifffahrt leiste "einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele". Immerhin ersetzt ein modernes Binnenschiff etwa 150 Lastwagen.

Aber wurden nach 2018 Maßnahmen ergriffen, die wirklich helfen? "Etwas Konkretes, was der Schifffahrt wirklich hilft und was jetzt bei einer möglicherweise weiteren Verschärfung des Niedrigwassers nützt, das sehe ich nicht", so Hamann.

Klimawandel treibt Extremereignisse

Ob es diesmal so weit kommt wie 2018, ist noch nicht absehbar. Selbst wenn es in den kommenden Wochen doch noch ausreichend regnen sollte, heißt das nicht, dass man sich entspannt zurücklegen kann. Vom Klimawandel getrieben werden Niedrigwasser wie 2018 würden den Prognosen zufolge zum Ende des Jahrhunderts der Regelfall sein, sagt Christoph Heinzelmann von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

Der Beitrag erschien erstmals am 19.07. und wurde am 08.08. aktualisiert.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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