1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der Brexit spaltet die Briten noch immer

Samira Shackle jc
8. Dezember 2017

Die britische Wirtschaft blickt nach der grundsätzlichen Einigung bei den Brexit-Gesprächen vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Aber was denken die Menschen über den Brexit? Samira Shackle berichtet aus London.

UK Brexit-Gegner in London
Bild: Reuters/T. Melville

Die Einigung zwischen der EU und Großbritannien auf den Eintritt in Phase zwei der Brexit-Gespräche stellt gerade einmal einen Zwischenstopp auf dem Weg der Briten hinaus aus der Gemeinschaft dar. Doch angesichts der wachsenden Sorgen vor einem ungeordneten Brexit wird sie von manchen in Großbritannien schon wie ein gelungener Abschluss begrüßt.

Zukunft im Nebel: Eine erste Brexit-Vereinbarung ist getroffen, doch es bleiben viele UnsicherheitenBild: Reuters/H. McKay

"Es war bis zum Schluss unklar, aber in der Geschäftswelt wird es sicherlich einen großen Seufzer der Erleichterung über den Einstieg in die zweite Gesprächsphase geben", sagt Stephen Martin, Generaldirektor des "Institute of Directors", eines britischen Wirtschaftsinstitutes, der DW. "Das heißt zwar nicht, dass die wirklich harte Arbeit bereits erledigt wäre; davon ist man noch weit entfernt. Aber es bedeutet, dass wir kurz davor stehen, Übergangsregelungen auszuhandeln und unsere künftigen Wirtschaftsbeziehungen zur EU zu ordnen."

Gespaltenes Großbritannien

Aber nicht jeder ist so optimistisch wie Stephen Martin - kein Wunder angesichts der enormen Sprengkraft, die das Thema Brexit in Großbritannien mit sich bringt. So twitterte der frühere UKIP-Chef Nigel Farage etwa, nun habe man sich auf den Weg gemacht zur "nächsten Stufe zur Demütigung".

Was den Brexit angeht, ist die britische Gesellschaft tief gespalten. Eine Meinungsumfrage im Oktober zeigte, dass bei einem zweiten Referendum über einen Austritt Großbritanniens aus der EU in beiden Lagern, also unter Gegnern wie Befürwortern des Brexits, 90 Prozent noch einmal genau so abstimmen würden wie beim ersten Mal.

Der irische Zankapfel

Ein großer Streitpunkt unter den in Trennung lebenden Partnern EU und Großbritannien bleibt der Status Nordirlands. Fragen über die Grenze zwischen einem EU-Mitglied Irland und einem Nicht-EU-Mitglied Nordirland als Teil Großbritanniens hätten die gerade getroffenen Verständigung auf weitere Brexit-Gespräche beinahe platzen lassen. Nun versprach Großbritanniens Premierministerin Theresa May, dass es keine harte Grenze durch Irland geben würde; die dafür nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen will sie später mit der EU schaffen.

Knackpunkt bei den Gesprächen: eine mögliche EU-Außengrenze innerhalb IrlandsBild: picture alliance/empics/N. Carson/PA Wire

"Einer der Hauptgründe, warum die Menschen für einen Brexit gestimmt haben, war es, die Kontrolle über die Einwanderung in das Vereinigte Königreich zurückerhalten", sagt Joe North, ein Brexit-Befürworter aus Surrey, im DW-Gespräch. "Selbst wenn wir das Freizügigkeitsabkommen beenden würden - und das erscheint mehr als unwahrscheinlich -, werden Menschen über Nordirland einreisen können", meint North.

Obwohl die aktuelle Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien frühere Verlautbarungen über den Verbleib Nordirlands in der Zollunion abschwächt, wirft sie weitere Fragen auf. "Es ist unfair, dass man in Nordirland eine Art 'sanfte Grenze' mit Irland zugesprochen bekommt, dass man aber in Schottland, wo man sich ebenfalls für einen Verbleib in der EU ausgesprochen hat, keinerlei solcher Vorzüge erhalten soll", empört sich Fiona Graham, eine Brexit-Gegnerin aus Glasgow.

Die nächsten Schritte

Neben der inneririschen Grenze wirft vor allem der Status von EU-Bürgern in Großbritannien Fragen auf. Die nun getroffene Vorvereinbarung sichert ihnen und ihren Familien zu, im Vereinigten Königreich bleiben zu können. Das gilt andersrum ebenso für Briten, die in der EU leben. "Das war eine der drängendsten Fragen für britische Firmen, die EU-Bürger beschäftigen", so Stephen Martin vom "Institute of Directors". "Sie und ihre EU-Angestellten brauchten Planungssicherheit. Gerade vor den Weihnachtsfeiertagen ist es wichtig, dass sie nun ihre Mitarbeiter in die Ferien schicken können, ohne sich Sorgen über deren rechtlichen Status machen zu müssen."

Durch die aktuelle Vereinbarung, in die zweite Phase der Brexit-Gespräche einzusteigen, werde zwar erst jetzt auch tatsächlich über den Brexit verhandelt, sagt Sophie Gaston, Chefin für internationale Projekte im Think-Tank "Demos" im Gespräch mit der DW. Doch an der Stimmung in Großbritannien habe sich damit nichts verändert, im Gegenteil. "Während Brexit-Befürworter sich über diesen Fortschritt freuen dürften, zeigt er doch, dass ihr Traum näherrückt, darf man erwarten, dass die Brexit-Gegner, unter ihnen ein Großteil der Geschäftswelt, noch dringlicher klar machen werden, wie viel Großbritannien durch den Wegfall eingespielter Geschäftspraktiken mit seinem größten Handelspartners verlieren könnte."

Unzufriedenheit auf beiden Seiten

Verhaltensweisen, die kurz nach der nun erfolgten Einigung bereits sichtbar werden. Auch wenn Hardliner unter den Brexit-Befürwortern, so wie etwa Umweltminister Michel Gove, die Vereinbarung öffentlich unterstützen, geht sie manch einem "Brexit-Fan" nicht weit genug. "Das ist doch wie ein Verbleib im Binnenmarkt und der Zollunion", ärgert sich Craig Matthews aus Eastbourne. Er ist ein solcher "Fan". Man habe nur ein paar Kleinigkeiten geändert, um dem Kind auch einen neuen Namen geben zu können. "Man tut so, als habe sich etwas geändert aber tatsächlich ist fast alles gleich."

Für die meisten überzeugten Brexit-Gegner ist die Einigung auf den Fortgang der Brexit-Verhandlungen ebenfalls ein großer Schwindel. "Ich freue mich, dass Theresa May das Thema der inneririschen Grenze offenbar dazu nutzt, einen desaströsen harten Brexit zu vermeiden", feixt Paul Lewis, Brexit-Befürworter aus London. "Aber genau an dieser Stelle drängt sich doch die Frage auf, warum wir das alles machen. Jeder sogenannte 'Durchbruch' bei den Brexit-Gesprächen bringt uns einem Desaster näher. Der Brexit ist schlecht für Großbritannien, deswegen ist jeder Fortschritt bei den Gesprächen auf dem Weg zu ihm ein Irrweg an sich."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen