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PolitikEuropa

Die EU-Sanktionspolitik gegen Russland bleibt

18. Juli 2022

Die Sanktionen gegen den russischen Aggressor werden verschärft, gleichzeitig sucht die EU nach Energielieferanten. Die Gasdiplomatie hat kleine Erfolge. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Griechenland Gaspipeline TAP | Transadriatische Pipeline | Trans Adriatic Pipeline
Hoffungsträger TAP: Über die Pipeline kommt Gas aus Aserbaidschan nach Griechenland und ItalienBild: Trans Adriatic Pipeline

Die Außenministerinnen und Außenminister der EU geben weitere 500 Millionen Euro an EU-Mitteln für Waffenkäufe der Ukraine frei. Insgesamt hat die EU damit 2,5 Milliarden Euro für das von Russland angegriffene Land locker gemacht. Das ist die Hälfte des Jahresbudgets der sogenannten "Friedensfazilität", mit der auch EU-Missionen in Afrika finanziert werden. Nicht nur an ihrer Politik, mehr schwere Waffen in die Ukraine zu schaffen, sondern auch an den Sanktionen gegen Russland halten die EU-Außenminister bei ihrer Tagung in Brüssel unbeirrt fest. "Was wäre denn die Alternative?", fragte rhetorisch der Außenminister von Österreich, Alexander Schallenberg. "Wenn wir nichts tun und zuschauen - was geschieht dann? Dann gilt das Gesetz des Dschungels und das kann in niemandes Interesse sein."

Kritik wird lauter

Ganz geschlossen sind die Reihen der EU aber nicht. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der mit seinem Veto bereits ein vollständiges Ölembargo verhindert hatte, hält die Sanktionen gegen den russischen Aggressor nach wie vor für einen Fehler. Die EU habe sich "in die eigene Lunge geschossen", sagte Orban in einem Radiointerview. "Es gibt Länder, die sind überzeugt von der Sanktionspolitik, aber Brüssel muss eingestehen, dass dies ein Fehler war."

Auch in Deutschland nimmt die Diskussion darüber an Fahrt auf, welche Sanktionen sinnvoll sind. Die deutsche Industrie warnt angesichts des drohenden Gasmangels vor einer dramatischen Rezession. Der deutsche Linken-Politiker Klaus Ernst, der Vorsitzender des Energieausschusses im Bundestag ist, kritisiert die Sanktionen als Eigentor. Russland würde trotz halbierter Liefermengen wegen gestiegener Preise mehr einnehmen als vor dem Krieg.

Und 47 Prozent der Deutschen, das zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA, sind mittlerweile der Ansicht, die Sanktionen würden in Deutschland mehr Schaden anrichten als in Russland.

Borrell wehrt ab

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell weist die Kritik an der Wirksamkeit der Sanktionen zurück. Einige würden behaupten, der Ölpreis werde durch das Embargo der EU erhöht, sagte Borrell bei dem Treffen in Brüssel. Das stimme aber nicht, er sinke. Das könne jeder sehen, der die Fakten zur Kenntnis nehmen wolle. "Der Ölpreis ist auf dem gleichen Niveau wie vor dem Beginn des Krieges im Februar", so der Außenbeauftragte.

Borrell: EU-Sanktionen gegen Russland wirken (Archiv)Bild: Jean-Francois Badias/AP/dpa/picture alliance

In der Tat haben sich die internationalen Ölmärkte beruhigt. Die Analysten der Bank Goldmann Sachs haben ihre Prognosen für den Ölpreis trotz des Embargos durch die EU für dieses Jahr nach unten korrigiert. Allerdings liegt das an den trüben globalen Wirtschaftsaussichten und nicht an der EU-Politik. Rezessionsängste führten schon immer zu billigerem Öl.

Sanktionen sollen Putin zumindest behindern

Die EU arbeitet an einer Verschärfung und besseren Umsetzung bestehender Sanktionen. Außerdem soll der Handel mit russischem Gold unterbunden werden. Die Diskussionen über die genaue Ausgestaltung soll bis kommenden Freitag stehen.

Der Außenminister von Luxemburg Jean Asselborn meint, man dürfe von Sanktionen keine Wunder erwarten. "Ich weiß ja auch, dass wir mit Sanktionen die Welt nicht verändern, aber wir müssen auf dieser Linie bleiben, die wir eingeschlagen haben. Die Linie ist, dass wir Putin damit zwingen wollen, an den Verhandlungstisch zu kommen." Die wirtschaftlichen Möglichkeiten des russischen Machthabers und Kriegsherrn sollten wenigstes eingeschränkt werden, meinte Asselborn.

Das gelinge auch, heißt es von den zuständigen Experten der EU-Kommission. Die russische Wirtschaft werde dieses Jahr um zehn Prozent schrumpfen während die EU noch um knapp zwei Prozent wachse.

Asselborn: Wir müssen den Weg weitergehenBild: Aris Oikonomou/AFP/Getty Images

In Deutschland wartet man gespannt, ob in dieser Woche wieder russisches Gas durch die Pipeline Nordstream 1 fließen wird, sobald die fällige Wartung beendet ist. Selbst wenn das nicht geschieht, dürfe man sich nicht russischen Forderungen beugen, mahnt der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis. Es sei Russland ja nicht verboten worden, Gas zu liefern. "Es gibt keine Sanktionen auf Gas, aber wir wissen alle, dass Russland Energie als politisches Werkzeug einsetzen kann. Verantwortungsvolle Regierungen haben sich darauf vorbereitet. Selbst wenn kein Gas mehr kommt, hoffe ich, dass es alternative Lieferanten geben wird."

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestreitet jeden Zusammenhang zwischen Gas und Sanktionen: "Das darf man nicht vermischen."

Energie-Shopping in der Nachbarschaft

Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten sind seit Monaten auf der Suche nach alternativen Lieferanten. Der 40 Prozent-Anteil russischen Gases an den Importen in die EU ist kurzfristig nur schwer zu ersetzen. Zusätzliches Gas aus Norwegen und Algerien wurde zugesagt. Mit den Flüssiggas-Lieferanten aus den USA und Katar gibt es erste Verträge. Ende des Jahres soll in schwimmenden Terminals erstes Flüssiggas in Deutschland angelandet werden.

EU-Kommissionschefin von der Leyen in Aserbaidschan: Gaslieferungen verdoppelnBild: TOFIK BABAYEV/AFP/Getty Images

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi ist nach Nordafrika gereist, um zusätzliches Gas aus Algerien und eventuell Öl aus Libyen zu sichern. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist ebenfalls auf der Suche nach möglichen Lieferanten und empfängt in Paris den Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Mohamed bin Zayed Al-Nahyan.

All diese diplomatischen Bemühungen führen zu Rahmenabkommen und Willenserklärungen. Konkrete Lieferverträge mit Preisen in Euro und Cent sind das noch nicht.

Gas-Diplomatie in Baku

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, traf in Baku den Machthaber von Aserbaidschan, Ilham Aliyev, um zusätzliche Gaslieferungen über Pipelines nach Südosteuropa zu sichern. Von heute acht Milliarden Kubikmetern Gas soll die Liefermenge aus dem südlichen Kaukasus im nächsten Jahr auf zwölf und in einigen Jahren auf 20 Milliarden Kubikmeter erhöht werden, kündigte Ursula von der Leyen in Baku an. Bislang verbraucht die EU insgesamt rund 400 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Der Anteil Aserbaidschans bleibt demnach eher klein. 

Shoppingtour in Kairo: EU, Israel und Ägypten unterzeichen Gas-Rahmenabkommen (Archiv)Bild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Mit Israel und Ägypten hatte die EU-Kommissionspräsidentin bereits im Juni ein Rahmenabkommen über den Export von Erdgas aus Israel über ägyptische Flüssiggasterminals ausgehandelt. Israel verfügt vor seiner Küste über große Gasreserven, aber nicht über die nötige Infrastruktur, um Europa zu beliefern. Eine angedachte Pipeline nach Italien kommt nicht voran. Die Ausbeutung der Gasfelder und die Belieferung der EU wird Zeit benötigen und nicht über den kommenden Winter helfen.

Kritik an dieser "Gasdiplomatie" wird auch laut, da sich die EU von autokratischen Regimen wie in Aserbaidschan oder Ägypten abhängiger macht, um sich vom Autokraten im Kreml zu lösen. Die Lieferung von Gas aus Katar oder Aserbaidschan oder Algerien soll nach dem Willen der Anbieter möglichst langfristig erfolgen. Das aber läuft der Klimaschutzpolitik der EU zuwider. Schließlich will sie ab 2050 klimaneutral, also ohne die Verbrennung von Gas und Öl, arbeiten.

An diesem Mittwoch will die EU-Kommission einen Notfallplan für das komplette Ausbleiben russisches Gases vorlegen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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