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Das größte Risiko für die Weltwirtschaft

Arthur Sullivan tko
16. Oktober 2019

Die Schifffahrt spielt eine Schlüsselrolle für die Weltwirtschaft, belastet aber auch die Umwelt besonders stark. Anfang 2020 treten neue Regeln in Kraft. Aber kaum ein Reeder ist vorbereitet.

Umweltbelastung durch Schifffahrt
Bild: AFP/C. Simon

Wenn Geld der Treibstoff der Weltwirtschaft ist, dann sind Schiffe das zentrale Transportmittel für den Welthandel. Nach Angaben der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), dem UN-Gremium, das für die Regulierung der globalen Schifffahrt zuständig ist, werden mehr als 90 Prozent des Welthandels auf dem Seeweg abgewickelt. Es ist bei weitem der günstigste, aber auch der umweltschädlichste Weg, um Waren und Rohstoffe rund um die Welt zu transportieren.

Laut der jüngsten IMO-Studie über klimaschädliche Treibhausgase aus dem Jahr 2014 pustet der maritime Transportsektor jährlich rund 940 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre und ist damit für rund 2,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Aber es gibt noch ein weiteres großes Umweltproblem, das die Industrie mit sich bringt - die Menge an gefährlichem Schwefeldioxid (SO2), die von Schiffen auf ihren Reisen von Hafen zu Hafen über die Weltmeere freigesetzt wird. Durch die Verwendung von billigem und qualitativ minderwertigem schwefelhaltigem Heizöl ist die Schifffahrt für 13 Prozent aller SO2-Emissionen verantwortlich, während auf sie nur rund fünf Prozent der weltweiten Ölnachfrage entfallen.

Containerverladung im Hafen von RotterdamBild: Getty Images/D. Mouhtaropoulos

Deshalb könnten neue Umweltvorschriften zur Begrenzung der Emissionen durch die Seeschifffahrt, die 2020 in Kraft treten sollen, tief greifende Auswirkungen auf diese besonders schmutzige Branche haben. Und der Effekt wird nicht nur ökologisch sein: allein wegen der damit verbundenen Kosten und durch das Ausmaß, in dem alle Unternehmen von der Seefracht abhängig sind, spricht vieles dafür, dass die gesamte Weltwirtschaft die Folgen dieser Neuregelungen spüren wird.

Schöne neue Welt

Ab dem 1. Januar 2020 müssen Schiffe nach den neuen IMO-Regeln ihre SO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent reduzieren. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: von der Installation einer schwefelfreien Technologie bis zur vollständigen Abkehr von Kraftstoffen, die aus Rohöl gewonnen werden. Doch ganz gleich, welchen Weg man einschlägt: Am Ende kommen erhebliche Kosten auf die Schifffahrtsbranche zu.

Bereits im Mai rechnete ein Manager der US-Reederei Star Bulk Carriers der Financial Times vor, dass die Installation von Abgasreinigungsanlagen auf 100 Schiffen seines Unternehmens 170 Millionen Dollar (154 Millionen Euro) gekostet habe.

Aber es sind nicht nur die Reeder, die gerade dabei sind, die Kosten durchzukalkulieren. Eine neue Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) kommt zu dem Ergebnis, dass die neuen Treibstoffvorschriften die gesamte Weltwirtschaft, die schon jetzt unter den von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Zoll-, Handels- und Technologiekonflikten leidet, belasten werden.

Bremsspuren in der Weltkonjunktur

Per-Ola Hellgren, einer der Autoren der LBBW-Studie, befürchtet, dass das globale Wirtschaftswachstum 2020 "spürbar niedriger" ausfallen könnte. Denn der Umbau älterer Schiffe ist teuer und viele Reedereien sind nur unzureichend auf die neuen Bestimmungen vorbereitet.

Laut Hellgren schafft die Kombination aus steigenden Transportkosten und sinkenden Transportkapazitäten ein schwieriges globales Wirtschaftsumfeld, das schon jetzt unter dem US-Handelsstreit mit China und anderen brodelnden Handelskonflikten leidet.

Das Energieberatungsunternehmen S&P Global Platts führte eine Studie durch, in der die Kosten der Regeländerungen für die Weltwirtschaft auf eine Billion Dollar in einem Zeitrahmen von fünf Jahren beziffert werden.

Hohe Umstellungskosten

Die neue Schwefelobergrenze ab 2020 ist Teil einer großen IMO-Initiative, die darauf abzielt, die Treibhausgasemissionen der Schifffahrt bis zum Jahr 2050 um mindestens 50 Prozent zu senken - gemessen an den Zahlen von 2008.

Diese bevorstehende Maßnahme betrifft aber nur den Schwefelausstoß. Wirkungsvolle Maßnahmen zur Senkung der Kohlenstoffbelastung, die schwerer zu machen und durchzusetzen sind, stehen noch aus. Dazu kommt, dass viele Reedereien nicht auf die Veränderungen vorbereitet sind, obwohl diese schon seit einigen Jahren bekannt sind. Die Schifffahrt verwendet bislang das schmutzigste Öl auf dem Markt: Es ist der Stoff, der übrig bleibt, nachdem aus dem Erdöl in den Raffinerien hochwertigere Produkte wie Benzin gewonnen worden sind.

Reedereien wie die dänische Maersk gehen von Mehrkosten in Milliardenhöhe ausBild: picture alliance

Unternehmen wie die weltweit größte Container-Reederei Maersk sind seit langem vor allem deswegen so erfolgreich, weil sie durch die Verwendung von stark schwefelhaltigem Kraftstoff massiv Kosten einsparen können. Das dänische Unternehmen schätzt, dass allein die Umstellung auf sauberere Treibstoffe zu einem Anstieg der jährlichen Kosten um zwei Milliarden US-Dollar führen würde.

Da die Versorgung mit schwefelarmem und teurerem Schweröl für Zehntausende von Schiffen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, bei weitem nicht sichergestellt werden kann, ist die Nachrüstung von Schiffen mit einer Schwefelreinigungs-Technologie eine weitere, wenn auch kostspielige Option. Bisher hat eine solche Nachrüstung aber nur in relativ geringem Umfang stattgefunden.

All diese Unsicherheiten haben viele Ökonomen dazu veranlasst, sich zu fragen, was die Veränderungen für die Weltwirtschaft insgesamt bedeuten - besonders, wenn es um die Kostensteigerungen durch die neuen Treibstoffe mit all ihren Folgekosten geht: Welche Kosten können Reedereien an ihre Kunden weitergeben?

Trotz aller ungelösten Probleme gibt es eine gewisse Dynamik bei den großen Hafengesellschaften, bei den Banken, den Ölkonzernen und Reedereien. "Die Dekarbonisierung der Seeschifffahrt ist eine große Aufgabe ohne einfache Antworten. Trotzdem müssen wir die Probleme anpacken", unterstrich Ben van Beurden, Vorstandschef des Mineralöl-Riesen Royal Dutch Shell, bei der Vorstellung einer kürzlich gestarteten Initiative. Sie zielt darauf ab, bis 2030 Schiffe und Schiffskraftstoffe ohne CO2-Emissionen auf dem Wasser zu haben, damit die Emissionsziele der IMO bis 2050 erreicht werden können. Soweit die Kohlenstoff-Problematik.

In Hafenstädten wie Shanghai leiden die Menschen besonders stark unter den Emissionen schmutziger SchiffsdieselBild: picture-alliance/dpa

Ungelöstes Problem der Schwefel-Emissionen

Nach wie vor ungelöst ist aber das viel dringendere Schwefeldioxidproblem, mit dem sich die Reedereien herumschlagen müssen. Es wird geschätzt, dass Schiffskraftstoff Schwefelkonzentrationen enthält, die mehr als 3500 Mal höher sind als die Mengen des Dieselkraftstoffs, die durch den Dieselgate-Skandal von Volkswagen ausgestoßen wurden.

Die Emissionen von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Feinstaub sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Sie gelten als besonders gefährlich für die menschliche Gesundheit, insbesondere für die Bewohner großer Hafenstädte und die Anrainer großer Schifffahrtsrouten.

Eine Studie, die 2018 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, ergab, dass die durch Schiffe verursachte Luftverschmutzung jährlich bis zu 400.000 vorzeitige Todesfälle verursacht, von Krebs bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Untersuchungen ergaben, dass ein Anstieg des Einsatzes von schwefelarmen Kraftstoffen die Zahl der Todesfälle um mehr als ein Drittel senken könnte. Die gleiche Studie schätzt, dass 200 der größten Schiffe auf der Welt die gleiche Menge an Schwefel produzieren wie alle Autos der Welt zusammen. Die Zahlen zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn die Schifffahrt ihre Schwefelemissionen nicht schnell genug in den Griff bekommt. Die Zeit drängt.

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