Trump hat die transatlantischen Beziehungen zerstört
21. Februar 2025
Deutsche Politiker kommen kaum noch hinterher: US-Vizepräsident J.D. Vance wirft ihnen bei der Münchner Sicherheitskonferenz Zensur vor und rät zu einer Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen Partei AfD - dies kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar.
Wenige Tage später beginnen in Saudi-Arabien Verhandlungen zwischen Amerikanern und Russen um einen Frieden in der Ukraine - ohne die Ukraine und ohne die EU-Europäer. Keith Kellogg, Präsident Donald Trumps Russland-Ukraine-Beauftragter, wirft bei der DW-Diskussion Conflict Zone im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz auch Deutschland Blauäugigkeit vor: "Hoffnung ist keine Methode, das funktioniert nicht."
Währenddessen haben US-Vertreter klargemacht, dass die Ukraine weder auf eine Wiederherstellung ihrer Grenzen von 2014 noch auf eine NATO-Mitgliedschaft hoffen kann - Dinge, die für die deutsche Regierung unverrückbare Voraussetzungen für einen Frieden sind.
Dazu kommt noch, dass sich Trump im nachhinein die Ukraine-Unterstützung in Form von Bodenschätzen bezahlen lassen will - wobei er den Wert der Hilfe maßlos übertreibt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird jetzt von der Trump-Administration unter Druck gesetzt. Selenskyj solle "sich besser beeilen, oder er wird kein Land mehr haben", schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social.
Als jüngsten Schlag nennt Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj jetzt einen "Diktator", weil er seit dem regulären Wahltermin im Mai 2024 kein demokratisches Mandat mehr habe. Dabei sieht die ukrainische Verfassung eine Wahl in Kriegszeiten gar nicht vor. Trump machte zuvor Selenskyj sogar für den Krieg verantwortlich.
Berlin unter Schock
Es sind allesamt Dinge, die deutsche Politiker fassungslos machen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte dem "Spiegel": "Es ist schlicht falsch und gefährlich, Präsident Selenskyj die demokratische Legitimation abzusprechen." Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) warf Trump eine völlige Verdrehung der Tatsachen vor: "Dass er auf einmal sagt, die Ukraine hat Russland überfallen, das ist ja kaum auszuhalten", so Habeck in der ARD.
Friedrich Merz, Chef der konservativen CDU und nach den Umfragen der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler, findet: "Das ist im Grunde genommen eine klassische Täter-Opfer-Umkehr, das ist das russische Narrativ. Und ich bin, ehrlich gesagt, einigermaßen schockiert darüber, dass Donald Trump das jetzt offensichtlich sich selbst zu eigen gemacht hat", so Merz ebenfalls im ARD-Fernsehen. Auf Deutschland und Europa komme nun "wirklich ein Paradigmenwechsel in der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik" zu.
Bisher hatte sich der Transatlantiker Merz mit Kritik an Trump eher zurückgehalten und einen pragmatischen Umgang mit der neuen Administration in Washington angemahnt. Doch auch Merz scheint vom Ausmaß der Provokationen überrascht zu sein.
"Mein Eindruck ist, dass die Berliner Politik geschockt und gelähmt ist", schreibt Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik der DW. "Dass einem US-Präsidenten auf einmal Verträge nichts mehr gelten und er sich im Fall von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine praktisch auf die Gegenseite schlägt, ist natürlich schockierend, kommt in Trumps Fall aber nicht unerwartet."
Transatlantische Gemeinsamkeiten zertrümmert
Trump und seine Regierungsmannschaft zerstören damit in wenigen Tagen durch ihr Reden und Handeln alles, was die gemeinsame Grundlage der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit bisher ausgemacht hat.
Bisher wollten beide der Ukraine in ihrem Abwehrkampf "so lange wie nötig" (Joe Biden und Olaf Scholz) helfen. Weder an der alleinigen Schuld Russlands am Krieg noch an der demokratischen Legitimität Selenskyjs gab es irgendwelche Zweifel. Man verstand die ukrainische Verteidigung auch als Abwehr gegen Russland stellvertretend für ganz Europa. Und von einem Geschäft Raketen gegen seltene Erden war nicht die Rede. Von diesen Gemeinsamkeiten ist mit Donald Trump nun nichts mehr übrig.
Auf sich selbst verlassen
Es scheint, als überrolle Trump die Europäer schon durch die schiere Geschwindigkeit seiner Aktionen, die sie praktisch jeden Tag neu auf dem falschen Fuß erwischen. Wie können sie, wie kann Deutschland darauf reagieren?
Bundeskanzler Scholz will in jedem Fall an der Ukraine-Unterstützung festhalten. Und was die Abkehr der USA von Europa betrifft: "Wir müssen für unsere eigene Sicherheit sorgen", sagte er im ZDF. Die europäischen Staaten müssten gemeinsam so stark aufgestellt sein, dass sie potenzielle Angreifer abschreckten.
Friedrich Merz drückt aufs Tempo: "Jetzt ist wichtig, dass die Europäer sich sehr, sehr schnell auf eine gemeinsame Strategie verständigen", sagte Merz im Radiosender RBB. Bitten und Betteln um einen Platz am Verhandlungstisch sei nicht richtig. "Wir müssen jetzt eigenes Gewicht entwickeln."
Henning Hoff bemängelt, die bisherige Bundesregierung sage vor allem, was aus ihrer Sicht alles nicht gehe, und habe daher wenig Einfluss auf die Entwicklung. "Die nächste Bundesregierung sollte deshalb im engsten Zusammenschluss mit den europäischen Verbündeten schnellstmöglich besser handlungsfähig werden und Fähigkeitslücken zu schließen versuchen, die ein US-Abzug aus Europa hinterlassen wird. Das wird alles schwierig genug, aber zumindest sollten wir aufhören, uns selbst und unseren europäischen Verbündeten im Weg zu stehen."
Die fortgesetzten Provokationen aus Washington scheinen jedenfalls in Berlin zu einer Annäherung zwischen CDU und SPD kurz vor der Bundestagswahl zu führen. SPD-Bundeskanzler Scholz und CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz gehen in den letzten Tagen betont rücksichtsvoll miteinander um, nachdem sie sich zuvor im Wahlkampf oft hart angegangen waren. Beide wissen, dass sie nach der Wahl in einer gemeinsamen Koalitionsregierung landen könnten. Und sie wissen auch, dass Deutschland eine neue, gemeinsame Strategie im Umgang mit den USA unter Donald Trump braucht, nachdem die alten transatlantischen Gewissheiten in wenigen Tagen von Washington zerstört wurden.