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Politik

Trump, Ohio und die große Depression

Peter Geoghegan kk/AR
7. November 2016

Im US-Bundesstaat Ohio sind viele noch unschlüssig, wen sie wählen wollen: Trump oder Clinton. Traditionell stimmen viele dort für die Demokraten. Das könnte sich nun ändern. Von Peter Geoghegan, Youngstown.

USA Hauptstrasse von Youngstown, Ohio
Bild: DW/P. Geoghegan

Einst war Youngstown, Ohio, eine relativ wohlhabende Stadt. Zehntausende waren in den Stahlwerken beschäftigt, die sich über 40 Kilometer entlang des Mahoning-Flusses im Nordosten des US-Bundesstaates erstreckten. Die Hochöfen liefen 24 Stunden am Tag, stießen schwarzen Rauch und Schwefelgestank in den Himmel.

Heute ist die Luft in Youngstown wieder klar. Der Lärm der Metall verarbeitenden Betriebe ist lange verstummt: Bereits in den 1970er-Jahren brach die Stahlindustrie zusammen. Mit der Arbeit gingen auch die Menschen. Die Zahl der Einwohner von Youngstown fiel von rund 140.000 im Jahr 1970 auf weniger als 65.000 heute. Bruce Springsteen schrieb einen schmerzhaften Song über die Lage der Stadt nach dem Weggang der Industrie.

"Wir brauchen Veränderung"

Traditionell waren Youngstowns weiße Arbeiter überzeugte Demokraten. Jetzt aber setzen viele dort auf den Republikaner Donald Trump. Dessen Versprechen, mit Protektionismus die Probleme zu lösen, verfängt im amerikanischen "Rust Belt". Das könnte ein gutes Omen für Trump sein. In Ohio hat in den 28 der letzten 30 Präsidentschaftswahlen stets der Kandidat gewonnen, der später auch ins Weiße Haus einzog.

"Trump ist der einzige Kandidat, der nicht aus dem politischen Establishment stammt", sagt Justin Summer, ein 22-jähriger Barkeeper im "O'Donold's Irish Pub" in Youngstown. "Weder die Demokraten noch die Republikaner haben irgendetwas für uns getan. Wenn Trump gewinnt, wird er für Veränderung sorgen. Wir hier wollen nur jemanden, der etwas für uns tut." Tom Burnbrier, ein Rentner und ehemaliger Versicherungsverkäufer, stimmt ihm zu. "Wir brauchen Veränderung. Die Demokraten haben Youngstown jahrelang regiert, und es ist immer nur schlimmer geworden."

Ein wenig grün

Spuren von Youngstowns glorreichen Tagen sieht man noch an den vornehmen Gebäuden aus dem 20. Jahrhundert entlang der Federal Street. Doch anstatt, dass hier edle Läden oder gute Restaurants geöffnet haben, stehen die meisten Häuser entweder leer oder sie werden von Getränkehändlern oder Geldverleihern genutzt. Letztere wenden sich hauptsächlich an vorzeitig entlassene Strafgefangene auf der Suche nach Geld für die Kaution. In ihrer Notlage zahlen sie dafür einen hohen Zins. Ganze Straßenblöcke sind verwaist.

Buchhändler Villani: "Reichtum und Macht in der Regierung"Bild: DW/P. Geoghegan

Einer der wenigen Farbtupfer in der Innenstadt ist die Buchhandlung "Pig Iron Press". Das Schaufenster ist zurzeit mit Wahlplakaten dekoriert, die für die Grünen-Kandidatin Jil Stein werben. Ladenbesitzer Jim Villani macht sich für die Partei stark, die als dritte, aber aussichtslose Kraft in das Rennen um das Weiße Haus geht. "Republikaner und Demokraten stehen für Lug und Trug - das gilt auch für Trump und Clinton", sagt Villani inmitten von alten Taschenbüchern und Stapeln hellgrüner Broschüren. "Clinton hat einige fortschrittliche Ideen, ist aber abhängig von den Reichen und Mächtigen. Wir brauchen aber nicht noch mehr Reichtum und Macht in der Regierung."

Flucht in die Drogen

Das größte Problem in Youngstown sind jedoch nicht Politik oder Arbeitsplätze. Es sind die Drogen. In der Stadt und besonders ihren heruntergekommenen Vorstädten gibt es sehr viele Heroinabhängige - mit verheerenden Folgen für Ohio und den gesamten Mittleren Westen. Ende Oktober kamen an einem Wochenende allein in einem einzelnen Bezirk in Mahoning County 11 Menschen durch eine Überdosis ums Leben. Das Drogenproblem hat seine Wurzeln in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Damals brachten Pharma-Unternehmen neue, auf Opiaten basierende Medikamente auf den Markt. Die Schmerzmittel, hieß es, würden nicht abhängig machen. Doch die Wirklichkeit sah anders aus.

"Es gab Jugendliche, die Sportverletzungen hatten und die neuen Medikamente bekamen", berichtet Brenda Heidinger vom Gesundheitszentrum in Mahoning County. Verschrieben wurden die Arzneien von Schmerzkliniken, die kaum unter Aufsicht standen. Die Jugendlichen hätten sich nach der Einnahme wohlgefühlt, so Heidinger, und die Mittel an Freunde verteilt. Viele wurden süchtig und nahmen bald Heroin, das bei Dealern viel günstiger zu bekommen war.

Richter Durkin: "Die Mittelschicht hat das Vertrauen verloren"Bild: DW/P. Geoghegan

Auch Alkoholismus ist ein Problem in der Stadt. Rund 650 Menschen kommen regelmäßig mit diesem Problem zur Beratung in die Neil-Kennedy-Klinik. Vor einem Wohnprojekt am Ende einer Vorstadtstraße mit vernagelten Häusern steht eine Handvoll Leute und raucht. Sie haben die Kapuzen ihrer Hoodies tief ins Gesicht gezogen. Dennoch erkennt man, dass die meisten von ihnen jung sind, gut gekleidet und weiß. Nicht gerade das typische Bild von drogenabhängigen Großstädtern. "Als ich vor 19 Jahren mit meiner Arbeit anfing, war der durchschnittliche Junkie 35 Jahre alt und auf Crack", sagt Richter Jack Durkin, der das Drogendezernat des Gerichts von Youngstown leitet. "Jetzt liegt der Altersdurchschnitt bei 23 und sie sind abhängig von Opiaten oder Heroin."

Durkin ist Demokrat, aber er weiß, warum Trump in der Stadt auf so viel Zuspruch stößt. "Die Leute aus der Mittelschicht haben das Vertrauen in die bisherigen Regierungen verloren." Viele hätten hier früher für die Demokraten gestimmt. "Aber jetzt sind sie unsicher und überlegen, ob sie für Trump stimmen sollen", so Durkin.

Enttäuschung und Unsicherheit

Zwar zeigt Youngstown erste Anzeichen einer Erholung von der großen Rezession. So ist die Arbeitslosenquote innerhalb der letzten sechs Jahre von 17 auf knapp 8 Prozent gesunken. Doch stehen in den großen Einkaufszentren vor den Toren der Stadt, wohin viele Leute zum Essen und Shoppen fahren, die Zeichen auf Sieg für Trump.

Im "O'Donold's" hat Adam Brite gerade sein Mittagessen zu sich genommen. Der 28-Jährige stimmte 2012 für Obama. Doch am kommenden Dienstag will er zu Hause bleiben. "Ich bin sehr enttäuscht. Ich mag Trump zwar nicht, kann mich aber auch nicht dazu durchringen, für Hillary zu stimmen." Die Frage, wie viele Menschen ebenso empfinden wie Brite, könnte bei dieser unberechenbaren Wahl am Ende den Ausschlag geben.

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