Trump, Sanders und die amerikanische Mittelklasse
13. März 2016 Für Bürger einer Republik mit einer weiblichen Regierungschefin mag es schwierig sein, die Tiefen zu ermessen, in die die Kampagne des republikanischen Präsidentschaftskandidaten gesunken ist. Denkt man aber etwas nach, ist es womöglich weniger schwierig. Psychosexuelle Referenzen treten gerade in unsicheren Zeiten an die Oberfläche, und mit ihnen die Sehnsucht nach einem starken Mann. In solchen Zeiten kommt es weniger auf Werte wie Ruhe, Selbstsicherheit, Logik oder Ehrlichkeit an. Stattdessen zählen lautstarke Auftritte, drohende Gesten, Opportunismus und Gerissenheit. All dies zeigt Donald Trump. Und die Unterstützung für ihn wächst.
In Amerika zeigt sich die Unsicherheit in zwei Formen: der physischen und der ökonomischen. Die physische ist derzeit etwas zurückgetreten. Das Trauma des 11. Septembers 2001 ist verblasst; die terroristischen Anschläge von Boston und San Bernardino lassen sich kaum mehr ergründen, denn die meisten der mutmaßlichen Attentäter sind tot. Paris ist für die meisten Amerikaner weit weg. Die französische Metropole ist für sie nicht mehr jene ikonische Stadt, die sie um 1950 war, als man in den USA ihre Befreiung von den Nazis noch in frischer Erinnerung hatte. Abgesehen von schwarzen Bürgern, die sich der Polizei ausgeliefert sehen, fühlen sich die meisten Amerikaner heute sicher. Trotzdem erinnert Trump bei seinen Auftritten so oft wie möglich an die Attentate in Paris, San Bernardino und Boston.
Große wirtschaftliche Verunsicherung
Anders sieht es bei der wirtschaftlichen Unsicherheit aus. Anders als die physische ist sie allgegenwärtig. Für alle jene, die Opfer der Globalisierung zu werden drohen, aber auch für die in die Jahre kommende Generation Ronald Reagans, die durch seine Politik in erhebliche ökonomische Not geraten ist, stellt Trump die letzte Hoffnung dar. Sein Wirtschaftsprogramm - soweit man davon überhaupt reden kann - gründet auf drei Pfeilern: auf harten Verhandlungen mit China und Mexiko, um bestehende Handelslücken zu schließen - gewiss eine lächerliche Phantasie, aber das interessiert niemanden; auf einem massiven Steuerschnitt, um die Wirtschaft in Gang zu bringen; und vor allem auf dem Plan, den sozialen Sicherungssystemen und dem Gesundheitsdienst die Unterstützung zu entziehen. So jedenfalls verkündet er es derzeit.
Trumps Botschaft richtet sich exakt an jenen Wählertypus, der einst für Reagan stimmte - an jene also, die nun selbst auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind. Alles weitere - das Gerede von der Mauer an der mexikanischen Grenze, den Deportationen, dem Waterboarding - ist rassistische Pöbelei. Doch Trump ist ein New Yorker Immobilien-Mensch und als solcher zu allem fähig. Man kann sicher sein: Sobald er nominiert ist, wird er Gast in schwarzen Kirchen und in mindestens einer Moschee sein.
Streitthema Wirtschaft
Weitaus interessanter sind die Entwicklungen in der Demokratischen Partei. Diese hat zwei grundverschiedene Flügel. Beide sind sozialliberal und richten sich an alle Ethnien gleichermaßen. Religiöse Reaktionäre und weiße Rassisten haben sich längst in Richtung der Republikaner davongemacht.
Die Differenzen tun sich auf ökonomischer Ebene auf. Die eine Seite setzt sich für eine sanfte Verbesserung der Wirtschaftslage ein. Sie strebt ein finanzgetriebenes Wachstumsmodell an, ist offen für Business-Lobbyisten, für Handelsabkommen und neigt bei Fragen der sozialen Sicherheit zu Kompromissen.
Bernie Sanders, Anwalt der Mittelklasse
Auf der anderen Seite befindet sich die "demokratische Basis": eine lose Gruppierung von jungen und im Berufsleben stehenden Menschen, denen der Zugang zu den höheren Ebenen der Partei, der sie ihre Stimme geben sollen, versperrt ist. Eine Gruppe, die sich der Privilegien der Hochfinanz bewusst und über sie in Verbitterung geraten ist. Diese Gruppe hatte in den letzten Jahren keine Stimme mehr, die sie vertrat. Dieses Jahr hat sie eine: die von Senator Bernie Sanders.
Sanders' Wirtschaftsprogramm setzt auf drei Punkte: einen Mindestlohn von 15 US-Dollar, einen kostenlosen Bildungszugang und eine öffentliche Krankenversicherung mit Einheitstarif. Finanziert werden soll sie durch Steuern für Reiche. Sanders' Programm hätte man im Deutschland der 1960 Jahre als völlig normal empfunden. Für junge Amerikaner aber, aufgewachsen in einer verseuchten Finanzkultur, kommt es einer politische Revolution gleich.
Der Sozialist aus Vermont
Bernie Sanders hat vor allem die jungen Menschen entflammt: Schüler, Eltern, deren Kinder eines Tages das Universitätsalter erreichen, und Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Aber auch diejenigen, die immer noch keine Krankenversicherung haben oder denen es Schwierigkeiten bereitet, die Beiträge für die unter Präsident Obama reformierten Krankenkassen ("Obamacare") zu entrichten. Für diese Generation ist Sanders' Programm die Verheißung einer tiefgreifenden Veränderung.
Darum ist es nicht Donald Trump, der den revolutionären Geist von Ronald Reagan in diesem und in den kommenden Jahren bändigen wird. Was auch immer geschieht - eine Trump-Revolution wird es nicht geben. Nein, der erste Schritt zur nächsten Revolution wurde durch Bernie Sanders, einen ungläubigen jüdischen Sozialisten aus Vermont, getan.
Der Ökonom James K. Galbraith lehrt an der Universität von Texas in Austin und am Bard College im Staat New York. Er ist ein Sohn des bekannten US-Ökonomen John Kenneth Galbraith.
Übersetzung aus dem Englischen: Kersten Knipp