Trump tritt an: Europa in Abwehrposition
19. Januar 2017Seit dem Überraschungssieg von Donald Trump bei den US-Wahlen im November hat Europa nervös an den Fingernägeln gekaut. Doch spätestens seit der designierte US-Präsident den Zerfall der Europäischen Union prophezeite, haben sich die Regierungschefs der EU-Staaten zusammengerauft. Jetzt treten sie mit mehr Selbstbewusstsein auf.
Und auch im Europäischen Parlament wetterte der Vorsitzende der ALDE Partei, Guy Verhofstadt, gegen die Äußerungen Trumps und verlangte eine offizielle Stellungnahme der EU.
Verhofstadt rief ebenfalls dazu auf, den US-Botschafter einzubestellen. Dieser solle die Aussagen Trumps "erklären".
Das Problem ist, dass es ab dem 20. Januar keinen US-Botschafter mehr in Brüssel geben wird. Anthony Gardner muss das Feld räumen, gemeinsam mit seinen beiden Diplomatenkollegen bei der NATO und der EU. Trump hatte die drei unverblümt über ihre Zwangsversetzung informiert.
Es könnte viele Monate dauern, bis von Trump ernannte neue Diplomaten in Brüssel ihr Amt antreten. Normalerweise würde bei Wahlkämpfen bereits ein Schattenkabinett aufgestellt, erklärt ein US-Diplomat. Das gewährleiste einen nahtlosen Übergang am Tag der Amtseinführung, auch bei den Gesandten im Ausland. Bei Trumps Kampagne hätte es aber keine derartigen Überlegungen gegeben.
Gardner ist ein eingefleischter Fan der EU. Während seiner drei Jahre im Amt hat er für das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP geworben. Lieber wolle er durchs Feuer gehen, als sich der neuen Marschrichtung der USA zu fügen, betonte er.
Sich nicht einschüchtern lassen
"Es ist richtig und wichtig, in einem demokratischen System dem neuen Team gegenüber loyal zu sein", erklärte Gardner bei seinem letzten Zusammentreffen mit Journalisten. "Aber unabdingbar ist auch, dass Menschen den Mächtigen gegenüber die Wahrheit aussprechen und sich nicht einschüchtern lassen."
Gardner wurde von den neuen Regierungsmitarbeitern nie kontaktiert, niemand hat ihn nach seiner Erfahrung gefragt. Es gab nur einen einzigen Anruf - ob er für den Umzug logistische Hilfe brauche. Aus EU-Kreisen hat er allerdings gehört, dass Mitarbeiter aus Trumps Kabinett sich bei EU-Lenker informiert hätten, welche Länder am ehesten die EU verlassen würden.
"Die EU wird nicht auseinanderfallen", betonte Gardner. Auch wenn er selbst der EU erst mal den Rücken kehren muss. Er wird ab dem 20. Januar im Regierungsviertel in Washington ein neues Büro beziehen.
Bei der NATO ist man ebenfalls in Sorge, insbesondere nachdem Trump im Interview nicht nur das Ende der EU voraussagte, sondern die NATO auch noch als "obsolet", als "überflüssig" bezeichnete. Die NATO-Führung sieht die Bedeutung des Bündnisses aber nicht in Frage gestellt. Auch der künftige Vizepräsident Mike Pence hat sich bemüht, Trumps Rhetorik abzumildern.
Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Petr Pavel betonte bei einer Sitzung der Generalstabschefs in dieser Woche: "Ich bin der festen Überzeugung, dass die NATO heute so bedeutend ist wie früher", auch wenn man über die laufende Anpassung an ein verändertes Sicherheitsumfeld streiten könne, so Pavel. Mit Blick auf Trumps angekündigte Wiederannäherung an Russland sagte er, man wolle zunächst abwarten, ob Washington tatsächlich einen Kurswechsel gegenüber Moskau einleite.
Der französische NATO-General Denis Mercier ist für die Weiterentwicklung der NATO zuständig - er stimmt zu, dass die Organisation an einigen Stellen erneuert werden kann und muss. Doch die Ankündigungen Trumps bereiten ihm dennoch Sorge. Wenn die USA sich entschlössen, ihre Truppen nicht mehr in Europa zu stationieren, käme dies für Europa einem "strategischen Schock" gleich.
Europa - Maßstab für Werte
Menschenrechtsaktivisten sind in großer Aufregung. Amnesty International, Avaaz, Greenpeace International, die International Trade Union Confederation, Oxfam International und Transparency International haben anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos eine gemeinsame Erklärung abgegeben: "Während sich die Welt auf Trump vorbereitet". Darin warnen sie vor einem weltweiten Klima, in dem Hass und Diskriminierung akzeptiert werden.
Julia Hall von Amnesty International hatte erst diese Woche in Brüssel davor gewarnt, dass Anti-Terror-Gesetze in der EU Grundrechte ausgehöhlten. Die EU müsse wieder zu einem Maßstab für demokratische Grundwerte werden, gerade mit Blick auf eine mögliche Wiedereinführung der Foltermethode Waterboarding, wie Trump es angedeutet hat: "Natürlich wollen wir dahin niemals zurück!"
Tausende Menschen werden am Freitag durch Europa marschieren - gegen Trump. Zusätzlich wird es in der Brüsseler Innenstadt eine Solidaritätsveranstaltung in Anlehnung an die Washingtoner Aktion "Lights for Rights" geben - ein Gedenkmarsch für Frauenrechte.
Joan Card Redemer ist besonders aufgebracht. Die US-Amerikanerin lebt seit einigen Jahren in Antwerpen und hat mittlerweile auch die belgische Staatsbürgerschaft. Sie wird mit ihrem Mann nach Washington fliegen, um dort für Frauen und andere Minderheiten zu demonstrieren und Solidarität zu zeigen. "Ich war zwar nie wirklich politisch aktiv", sagt sie, aber der neue Präsident habe sie in vielen Punkten "sprachlos und wütend" gemacht. "Auch wenn ich und mein Mann nicht in den USA leben - es ist immer noch unser Land und es verdient etwas Besseres."