Tschad: Der Hunger in den Hirsefeldern
3. August 2023Es ist die Mittagsstunde im Camp von Ourang im Osten des Tschad, nicht weit von der Grenze zum Sudan. Trotz der brütenden Hitze haben Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation HIAS eine Gruppe von Kindern im Schatten einiger Bäume versammelt, es wird gesungen und getanzt. "Wir organisieren diese sportlichen und kulturellen Aktivitäten, um ein entspanntes Klima zu schaffen", sagt Joseph Désiré Havyarimana, der das Programm für psychosoziale Unterstützung von HIAS vor Ort leitet. "So können die Kinder Kontakte knüpfen, sich in der neuen Umgebung gemeinsam entfalten."
Es ist eine wichtige Ablenkung im Alltag der Kinder, der von Ängsten und Entbehrungen geprägt ist. Die DW hat sich im Juni unter den Kindern im Camp von Ourang umgehört, die teilweise traumatisiert sind, weil sie ihre Familie verloren haben. Eine 13-Jährige, die ohne Vater aufgewachsen ist, wurde in den Wirren der Flucht von ihrer Mutter und den zwei Brüdern getrennt. Aber sie sagte auch, das Singen und Tanzen mit ihren Freunden im Camp gefalle ihr. So ging es auch einem Zehnjährigen, der hinzufügte: "Aber sie müssen uns auch etwas zu Essen und Kleidung geben. Wir hatten ja nichts, als wir hier angekommen sind."
Hilfswerke ratlos
Laut dem Kinderhilfswerk UNICEF sind in 100 Tagen der Krise im Sudan mindestens 435 Kinder getötet und mehr als 2000 verletzt worden. Fast 14 Millionen Kinder sind demnach auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das westliche Nachbarland Tschad ist eines der größten Aufnahmeländer - und ständig werden die Angaben nach oben korrigiert.
Ging das UN-Flüchtlingshilfswerk im Juni noch von einer Viertelmillion Ankünften bis Jahresende aus, hat es jetzt schon rund 330.000 neue Flüchtlinge registriert - in einem Land, das die vielen Schutzlosen etwa aus dem sudanesischen Darfur und aus der Zentralafrikanischen Republik schon in vergangenen Jahren an seine Grenzen brachten. Dazu kommen tschadische Familien, die aus den Kampfgebieten in ihre Heimat zurückkehren.
50 Kilometer weiter nordöstlich, in der kleinen Grenzstadt Adré, ist ein Transitzentrum eingerichtet worden - mit prekären Unterkünften aus Planen und Stoffbahnen, so weit das Auge reicht. Hier werden die Neuankünfte aus dem Sudan - bisweilen 2000 an einem Tag - empfangen und registriert. Das Zentrum solle die Stadt entlasten, sagt Laura Lo Castro, UNHCR-Repräsentantin im Tschad. Doch längst sei es überfüllt. "Wir brauchen viel mehr Ressourcen, sonst wird Adré, eine 40.000-Einwohner-Stadt, implodieren - dann können wir nicht mehr helfen."
Erdnussfelder zerstört
Eine geordnete Aufnahme der Neuankömmlinge ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. Viele haben sich selbstständig auf landwirtschaftlichen Flächen niedergelassen. Die Lebensmittelpreise steigen und belasten auch die einheimische Bevölkerung. Selbst auf bestellten Mais- und Erdnussfeldern seien Camps errichtet worden, beklagt in Ourang der Dorfvorsteher Cheik Mahamat Ali.
"Alles ist teuer geworden, unsere Felder sind zerstört", sagt er der DW. "Was sollen wir essen, wenn das Jahr rum ist?" Die lokale Bevölkerung sei sich der schwierigen Lage bewusst, in der ihre Brüder und Schwestern aus dem Sudan seien. Doch auch sie bräuchten jetzt Unterstützung.
Regierung: Wohnraum sticht Feld
Die Übergangsregierung des Tschad zeigt Verständnis für die Sorgen der Einheimischen. "Die Lage ist wirklich ernst und wir sind uns dessen bewusst", sagte Premierminister Saleh Kebzabo der DW. Doch er stellte klar: "Bei mir sagt man, dass der Wohnraum das Feld aussticht. Wenn die Bevölkerung wächst, verringert sich die Fläche der Felder." Jetzt sei keine Zeit, um sich der Erdnuss- und Hirsefelder anzunehmen. Doch die Menschen in den betroffenen Gebieten würden nicht vergessen. "Sie werden nicht verhungern."
Manche Hilfsorganisationen betonen indessen die Vorteile, die sich auch für die einheimische Bevölkerung ergeben würde: Auch sie könnten letzten Endes von sanitären Strukturen, Gesundheitszentren und Schulen profitieren, die nun eingerichtet würden. Doch das braucht Zeit und Geld. Im Camp von Ourang wartet HIAS-Mitarbeiter Havyarimana noch immer auf die Einrichtung von Schulen und Vorschulen, die den Kindern eine angemessene Entwicklung ermöglichen sollen. Vielleicht wird es ja zum Beginn des neuen Schuljahres etwas.