1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Tschechien: Das Ende der Agrarbarone

10. Februar 2022

In Tschechien profitierten bisher große Landwirtschaftsbetriebe von EU-Subventionen. Das will die neue Regierung ändern - und damit eine Agrar- und Ökowende einleiten.

Tschechien | Rapsfeld in der Region Moravia
Rapsfeld in der tschechischen Region MährenBild: picture alliance/Zoonar/Daniela Simona Temneanu

Endlose Felder, riesige Betriebe, reiche Agrarbarone - Tschechiens Landwirtschaft ist im europäischen Vergleich ein Sonderfall. Nirgendwo sonst in der EU kassieren so wenige Großbetriebe einen so großen Anteil der Agrarsubventionen. Die durchschnittliche Anbaufläche der Betriebe liegt mit etwa 130 Hektar achtmal so hoch wie im EU-Durchschnitt. Der in der Union vielbeschworene Wandel hin zu kleineren Betrieben und mehr Naturschutz? In der Tschechischen Republik bisher Fehlanzeige.

Das will die neue liberal-konservative Regierung unter dem Premier Petr Fiala, die im Dezember ihr Amt antrat, nun ändern. Sie plant eine Agrar- und Ökowende, mit der Tschechien wieder Anschluss an den Reformprozess in der europäischen Agrarpolitik finden will. Die Subventionen für Großbetriebe sollen gedeckelt werden. Stattdessen will die Regierung kleinere Betriebe mehr fördern, besonders wenn sie ökologische Landwirtschaft betreiben oder darauf umstellen. Auch Landschaftspflege, Biodiversität und Unterstützung lokaler und regionaler Lebensmittelproduzenten sind Schwerpunkte in dem Programm.

Zuckerrübenernte nahe dem nordtschechischen Ort NahoranyBild: imago images/CTK Photo/David Tanecek

Diese neue Agrarstrategie legte die Regierung Fiala Ende Januar 2022 vor. In Kraft tritt sie ab 2023. In der neuen tschechischen Regierungskoalition, die aus fünf teils sehr unterschiedlichen Parteien besteht, besteht Konsens über die Notwendigkeit einer Agrarwende.

Ex-Regierungschef als Subventionsempfänger

Der Grund dafür lässt sich, etwas vereinfacht, auf einen Namen zuspitzen: Andrej Babis. Der im vergangenen Herbst abgewählte liberal-rechtspopulistische Regierungschef ist Milliardär und hat sein Vermögen zum großen Teil in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion gemacht. Seine Holding Agrofert bewirtschaftet in Tschechien 116.000 Hektar Nutzfläche und ist einer der größten Empfänger von EU-Subventionen.

Tschechiens Ex-Regierungschef Andrej BabisBild: CTK Photo/Michal Kamaryt/dpa/picture alliance

Entgegen dem Trend in vielen europäischen Ländern kassierten Agrarriesen in Tschechien während Babis' Amtszeit von 2014 bis 2021 als Finanz- und später als Premierminister immer mehr Subventionen, allen voran Agrofert. Die Großkonzerne erhielten dabei im Vergleich zu kleinen Betrieben deutlich höhere Zuschüsse pro Hektar und Jahr. Die Folge: Die Zahl kleinerer Betriebe sank in den vergangenen Jahren stark. In Tschechien stieß diese Entwicklung zunehmend auf Kritik. Auch das Europäische Parlament kritisierte Babis' Agrarpolitik mehrfach. Und noch immer ist gegen den Ex-Premier ein Verfahren wegen Subventionsbetrugs anhängig.

Ausgewogenere Subventionen

Ab 2023 soll nun mit dem Subventionsregen für die großen Agrarbetriebe Schluss sein. Bisher erhielten sie jährlich umgerechnet rund 80 Euro mehr pro Hektar Anbaufläche als Kleinbetriebe. Dieses Verhältnis wird künftig umgekehrt: Bei den Großen sinken die Zuschüsse auf 11.100 Kronen (444 Euro) pro Hektar und Jahr, bei den Kleinen steigen sie auf 13.400 Kronen (536 Euro). Biobauern erhalten umgerechnet sogar 800 EUR pro Hektar und Jahr. "Unser Ziel war, das Subventionspendel in eine ausgewogene Position zu bringen", sagte der neue Landwirtschaftsminister Zdenek Nekula dem Portal Seznam.cz.

Neue Kulturen auf den Feldern

Was von außen lediglich nach einer Trendwende aussieht, kommt in Tschechien einer Agrar-Revolution gleich. Nach Ansicht des Agrarwissenschaftlers Petr Havel geht es um einen Wandel, der die Lebensmittelqualität und den ökologischen Landbau in den Mittelpunkt stellt, nicht mehr die Maximierung der Lebensmittelproduktion. Havel sagt der DW, die Maßnahmen der neuen Regierung würden dazu beitragen, dass neben den endlosen Raps- und Getreidefeldern, die jetzt in Tschechien vorherrschten, auch andere Kulturen wieder verstärkt auf die Felder kämen, etwa Gemüse, Mohn oder Hopfen.

Der tschechische Agraranalyst Petr HavelBild: privat

Kleinere Landwirte begrüßen die Änderungen ebenfalls. "Endlich wird hier der Trend korrigiert, dass in den vergangenen acht Jahren der überwiegende Teil der Subventionen an die größten Betriebe und Agrarholdings ging. Das war etwas Ungewöhnliches in der Europäischen Union", sagt Petr Stefl, stellvertretender Vorsitzender des Verbands der privaten Landwirtschaft, der DW.

Tschechen wollen Wandel

Die großen Agrarkonzerne hingegen protestieren gegen die Reform. Mehrfach demonstrierten im Januar 2022 Bauern in Prag sowie anderen Orten und blockierten Straßen mit Traktoren. Organisiert wurden die Proteste von der tschechischen Landwirtschaftskammer, die hauptsächlich große Agrarunternehmer vertritt.

Protest von Bauern gegen die Ökoreform im Januar 2022 im osttschechischen KromerizBild: imago images/CTK Photo/Dalibor Gluck

Die Regierung des Premiers Fiala ist jedoch nicht bereit, von der Reform abzurücken, auch nicht unter dem Druck der Proteste. Dies liegt auch daran, dass viele Tschechen selbst Änderungen in der Landwirtschaft fordern. Das zeigen nicht nur Umfragen, sondern auch ein verändertes Verhalten der Tschechen beim Einkaufen. In fast jeder größeren Stadt gibt es bereits Bauernmärkte mit lokalen Lebensmitteln. Auch der Lebensmittel-Direktversand von Landwirten an Verbraucher nimmt zu. Besonders boomt seit einiger Zeit der Verkauf von Bio-Lebensmitteln - obwohl sie teurer sind als industriell hergestellte Produkte. Der Agraranalyst Petr Havel macht sich dennoch keine Illusionen über einen schnellen Wandel: "Die tschechische Landwirtschaft", sagt er, "hat noch einen langen Weg vor sich, bis sie westeuropäisches Niveau erreicht."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag