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Politik

Tschechien gedenkt "seiner Deutschen"

6. Dezember 2021

Mit der Ausstellung "Unsere Deutschen" wird in der Tschechischen Republik erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in unparteiischer Weise an den Beitrag der Deutschen in Tschechien zur Geschichte des Landes erinnert.

Nachkriegszeit - Vertreibung der Deutschen aus Tschechien
Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei 1946Bild: picture-alliance/CTK

In der Mitte der Holzwand steht eine große Glasvitrine, darin ein Plakat aus dem Jahr 1945, das damals in Städten und Dörfern in der ganzen Tschechoslowakei zu sehen war. Es handelt sich um den Erlass 12/1945 des damaligen Präsidenten der Republik, Edvard Benes, über die "Beschlagnahme und beschleunigte Umverteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Ungarn und Verräter und Feinde der tschechischen und slowakischen Nation". Als eines der wichtigsten Dekrete, das Benes erließ, beraubte es unter anderem fast drei Millionen böhmische, mährische und schlesische Deutsche, die heute meist als Sudetendeutsche bezeichnet werden, ihres Eigentums und ihrer Bürgerrechte.

Plakat des Benes-Dekrets 12/1945 über die "Beschlagnahme und beschleunigte Umverteilung des landwirtschaftlichen Vermögens von Deutschen, Ungarn und Verrätern und Feinden der tschechischen und slowakischen Nation"Bild: Lubos Palata

An der Holzwand stehen zwei Koffer und eine Holzkiste. Es handelt sich um das authentische Gepäck von deutschen Vertriebenen, die nur 40 Kilo pro Person mitnehmen durften. Die Schubladen in der Wand, die Besucher öffnen können, enthalten Gegenstände, die die Sudetendeutschen vor ihrer Vertreibung in ihren Häusern versteckt hatten, in der Hoffnung, bald zurückkehren zu können. Zum Beispiel Uhrenteile, Briefe und Werkzeuge.

Die Exponate sind Teil der Dauerausstellung "Unsere Deutschen", die am 18. November im Museum der nordböhmischen, unweit der deutsch-tschechischen Grenze gelegenen Stadt Usti nad Labem (Aussig an der Elbe) eröffnet wurde. Es ist die erste Ausstellung dieser Art in der Tschechischen Republik. Und Usti nad Labem ist der erste Ort, der in dieser Weise an das fast tausendjährige Zusammenleben von Tschechen und Deutschen auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik erinnert.

Unparteiisch und ohne Beschönigungen

"Wir haben uns um eine objektive und unparteiische Sichtweise bemüht. Wir beschönigen nicht, was die deutsche Bevölkerung durchgemacht hat, aber wir beschönigen auch nicht, was die Deutschen während des Krieges getan haben", sagte Petr Koura, Direktor der gemeinnützigen Gesellschaft Collegium Bohemicum, die die Ausstellung ins Leben gerufen hat, dem Nachrichtenportal IDNES.cz.

Das Museum der Stadt Usti nad Labem, in dem die Daueraustellung "Unsere Deutschen" zu sehen istBild: Lubos Palata

Die Ausstellung ist ein Querschnitt durch die Geschichte der Deutschen in Tschechien von ihrer Ankunft im Mittelalter bis 1947. Sie befindet sich auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern auf zwei Etagen des Museums und ist auf moderne und interaktive Weise konzipiert. "Die Ausstellung will den Beitrag der tschechischen Deutschen zur Entwicklung der böhmischen Länder und die große Bedeutung der tschechischen Deutschen zeigen", sagt Tomas Okurka, der Kurator der Ausstellung, der DW. "Wir wollen die Geschichte des Zusammenlebens von Tschechen und tschechischen Deutschen von ihrer Ankunft bis ins 20. Jahrhundert zeigen."

Tomas Okurka, Kurator der Ausstellung "Unsere Deutschen" in Usti nad LabemBild: J. Preclik/Museum Usti nad Labem

Die Ausstellung versucht dabei, den Bedürfnissen der tschechischen und deutschen Öffentlichkeit gerecht zu werden, die mehr als 75 Jahre nach der Vertreibung der Sudetendeutschen zum Teil nur eine vage Vorstellung von deren Geschichte auf tschechischem Gebiet hat. Für die jüngere Generation führt ein Comic durch die Korridore zwischen den Ausstellungsräumen zu Schlüsselmomenten der Geschichte der böhmischen Länder. Die Ausstellung umfasst auch beeindruckende Werke wie eine Barrikade aus Bücherstapeln, die das Revolutionsjahr 1848 symbolisiert, als die Tschechische Republik sprachlich in einen tschechischen und einen deutschen Teil geteilt wurde.

Die Bücherbarrikade, die das Revolutionsjahr 1848 symbolisiertBild: Lubos Palata

Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist das wohl schönste böhmische Motorrad, das einst sehr beliebte "Cechie-Böhmerland", entworfen in den 1920er Jahren von dem legendären Zweirad-Konstrukteur Albin Hugo Liebisch und hergestellt im tschechischen Sudetenland. Auch einige Zimmer sind ein Blickfang - ein Kneipenraum aus dem für seine historische Altstadt berühmten Ort Loket (Elbogen) oder ein Hotelzimmer aus Liberec (Reichenberg).

Ein Exemplar des "Cechie-Böhmerland"-Motorrads des Zweirad-Konstrukteurs Albin Hugo LiebischBild: Lubos Palata

Obwohl die Dauerausstellung nun für die Öffentlichkeit zugänglich ist, fehlen an einigen Stellen noch die Erklärtexte zu den Exponaten. Auch manche Multimedia-Elemente funktionieren noch nicht, was die Verständlichkeit der Ausstellung erschwert. "Wir sind uns dessen bewusst und arbeiten mit Nachdruck an der Fertigstellung dieser Elemente", sagte Tomas Okurka der DW.

Keine Erwähnung von Verbrechen

Trotz ihres Umfangs kann man der Ausstellung auch inhaltliche Mängel vorwerfen. Der schwerwiegendste ist, dass sie nicht erwähnt, welche Verbrechen bei den grausamen Deportationen von 1945 und bei der Internierung von tschechischen Deutschen in "Arbeits"-Lagern vor 1947 begangen wurden. Etwa 20.000 Sudetendeutsche starben dabei. Es ist jedoch möglich, dass diese Aspekte später noch in die Ausstellung eingebracht werden. "Sie wird lebendig bleiben, einige Exponate werden sich verändern", sagte Vaclav Houfek, Direktor des Stadtmuseums Usti nad Labem, der Lokalzeitung Ustecky denik. "Die Ausstellung ist ein tschechischer Blick auf unsere Deutschen", fügt Petr Koura hinzu. "Wir würden uns freuen, wenn nicht nur Tschechen, sondern auch Deutsche und vor allem die jüngeren unter ihnen die Ausstellung besuchen würden. Wir bereiten auch Programme für deutsche Schulen vor."

Vertriebene Sudetendeutsche kommen nach Kriegsende in Deutschland an (undatiertes Bild)Bild: picture-alliance/dpa

Die Vorbereitung der Ausstellung dauerte fast zwei Jahrzehnte und stieß auf zahlreiche Schwierigkeiten. Und das, obwohl die EU 420 Millionen Kronen (rund 16 Millionen Euro) für die Renovierung des Museums beisteuerte und ein großer Teil des 50 Millionen Kronen (knapp zwei Millionen Euro) umfassenden Budgets für die Ausstellung selbst vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds stammt.

Schwierigkeiten bei der Eröffnung

Die Ausstellung stand bereits 2012 kurz vor der Eröffnung. "Allerdings übernahm eine von der Kommunistischen Partei geführte Koalition unter dem Gouverneur Oldrich Bubenicek die Regierung der Region Usti nad Labem, so dass die Region die Ausstellung nicht befürwortete", sagt Miroslav Kunstat, Germanist an der Karls-Universität Prag, der DW. Laut Kunstat war es vor allem eine Gruppe von Germanisten an der Jan-Evangelista-Purkyne-Universität in Usti nad Labem unter der Leitung der außerordentlichen Professorin Kristina Kaiserova, die dafür verantwortlich war, dass das Ausstellungsprojekt nicht nur zustande kam, sondern auch am Leben blieb. "Usti nad Labem ist auch deshalb ein wichtiger Ort für die Dauerausstellung, weil die deutschen Sozialdemokraten hier 1938 als einzige große Stadt im Sudetenland die Wahlen gewannen", betont Kunstat.

Miroslav Kunstat, Germanist an der Karls-Universität PragBild: Miroslav Kunstat Archiv

Der letzte Anstoß für die Fertigstellung der Ausstellung war der Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im August 2021, der die fast fertige Ausstellung sehr begrüßte.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag