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Politik

Tschechien: Präsident vor Krankschreibung?

25. Oktober 2021

Seit Wochen liegt Staatsoberhaupt Milos Zeman auf der Intensivstation, die Ärzte haben ihn für amtsuntauglich erklärt - aber er lehnt einen Rücktritt ab. Nun arbeitet das Parlament an einer Amtsenthebung.

Milos Zeman -tschechischer Staatspräsident
Der tschechische Präsident Milos ZemanBild: Getty Images/AF/D. Emmert

Am 28. Oktober, dem Nationalfeiertag der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918, ehrt der Präsident der Tschechischen Republik alljährlich verdiente Persönlichkeiten mit dem Orden des Weißen Löwen, der höchsten staatlichen Auszeichnung des EU-Landes. Einige Tage vor dem Staatsakt wird dem Premierminister normalerweise eine vom Staatsoberhaupt unterschriebene Liste der Preisträger vorgelegt, die der Regierungschef dann gegenzeichnet.

Eine derartige Liste erhielt auch der scheidende Premierminister Andrej Babis dieser Tage - aber an der Stelle, an der sonst die Unterschrift des Staatsoberhaupts steht, befand sich nur ein Stempel mit der Unterschrift Milos Zemans. Der 77-jährige Präsident, der seit dem 10.10.2021 auf der Intensivstation des Zentralen Militärkrankenhauses in Tschechiens Hauptstadt Prag liegt, war offenbar nicht in der Lage, selbst zu unterschreiben.

Dabei wird der Präsident derzeit gebraucht: Am 8. und 9. Oktober haben in Tschechien Parlamentswahlen stattgefunden, bei denen die Partei Aktion unzufriedener Bürger (ANO) des Premierministers Babis gegen zwei Bündnisse von Mitte-Rechts-Parteien verloren hat. In der Abgeordnetenkammer erhielten die beiden Bündnisse eine Mehrheit von 108 der 200 Stimmen. Laut Verfassung müsste das Staatsoberhaupt nun einen neuen Premierminister nominieren - doch Zeman liegt seit dem Tag nach der Wahl auf der Intensivstation.

Seitdem gibt das Präsidialamt nur Informationen heraus, in denen der Zustand Zemans heruntergespielt wird. Der Präsident sei arbeitsfähig, so sein Büro - eine Behauptung, die angesichts der Tatsache, dass Zeman seit zwei Wochen intensivmedizinisch behandelt wird, eindeutig nicht zutrifft. Nach Angaben der Tageszeitung Denik N, die sich auf mehrere zuverlässige Quellen aus dem Krankenhaus beruft, leidet Zeman an einer schweren Lebererkrankung.

Ärzte: Zeman nicht arbeitsfähig

Am 18.10.2021 hat Milos Vystrcil, der Präsident des Senats, der zweiten Kammer des tschechischen Parlaments, die Ergebnisse einer Begutachtung des Militärkrankenhauses veröffentlicht - mit einer Einschätzung der Ärzte zur Frage, ob Milos Zeman weiter in der Lage ist, das Präsidentenamt auszuüben. Die Ergebnisse des Berichts, unterzeichnet vom Direktor des Militärkrankenhauses und Chefarzt des Präsidenten, General Miroslav Zavoral, sind eindeutig.

Milos Vystrcil (M.) ist Präsident des tschechischen SenatsBild: Michal Krumphanzl/CTK/dpa/picture alliance

"Milos Zeman, der Präsident der Republik, ist derzeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, seinen beruflichen Pflichten nachzukommen", fasste Vystrcil auf einer Pressekonferenz zusammen. "Nach Ansicht des Militärkrankenhauses wird die langfristige Prognose für den Gesundheitszustand von Präsident Milos Zeman angesichts der Art der Erkrankung als äußerst unsicher eingeschätzt, so dass die Möglichkeit einer Rückkehr an den Arbeitsplatz in den kommenden Wochen als sehr unwahrscheinlich gilt", so Vystrcil weiter.

Verfassung sieht Entbindung vom Amt vor

Die tschechische Verfassung erlaubt auf der Grundlage des Artikels 66 eine Amtsenthebung des Präsidenten, wenn dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Dem müssen beide Kammern des Parlaments zustimmen. Senatspräsident Vystrcil kündigte an, dass seine Parlamentskammer, die zu einem anderen Zeitpunkt als die Abgeordnetenkammer gewählt wurde und daher voll funktionsfähig ist, die Amtsenthebung einleiten wird.

Die Siegerparteien in der Abgeordnetenkammer, angeführt vom Bürgerforum (ODS) des voraussichtlichen neuen Ministerpräsidenten Petr Fiala, sind grundsätzlich zu diesem Schritt bereit. Vorerst jedoch ruft Fiala dazu auf, sich zurückzuhalten. "Bis zum 8. November sind keine aktiven Schritte seitens des Präsidenten erforderlich. Für die mögliche Aktivierung des Artikels 66 wird ein aktueller Bericht des Krankenhauses Anfang November ausschlaggebend sein, der klärt, ob der Präsident in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen", so Fiala auf seiner Facebook-Seite.

"Eine Art präsidiale Krankschreibung"

Nach Ansicht von Professor Tomas Lebeda, Politikwissenschaftler an der Universität Olomouc, ist das vorsichtige Vorgehen der neuen Regierungskoalition durchaus angemessen. "Dies ist ein Spiel um das Vertrauen der Öffentlichkeit. Es geht darum, ob unter den politischen Parteien ein Konsens darüber gefunden werden kann, dass Milos Zeman unter diesen Umständen wirklich nicht amtsfähig ist, wie die Ärzte sagen - oder ob diese Frage Teil einer politischen Auseinandersetzung wird", sagt Lebeda der DW.

Der tschechische Politikwissenschaftler Tomas Lebeda

 "Dies könnte ein sehr gefährliches Spiel werden, das die tschechische Gesellschaft weiter spaltet", so Lebeda weiter. Der Verfassungsrechtler Jan Kysela von der juristischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag erklärte gegenüber dem tschechischen Rundfunk, dass Artikel 66 Zeman nur zeitweise von seinen präsidialen Funktionen entbindet, was wieder aufgehoben werden könnte, sollte sich der Gesundheitszustand des Präsidenten verbessern. Bis dahin seine seine Befugnisse zwischen Premierminister, Parlamentspräsident und Senatspräsident aufgeteilt.

"Artikel 66 der Verfassung ist eine Art präsidiale Krankschreibung, die dem Staatsoberhaupt eine Auszeit zur Behandlung verschafft", so Kysela weiter. Gleichzeitig aber bleibe der Präsident im Amt, so dass eine vorzeitige Wahl des Staatsoberhauptes nicht drohe - es sei denn, der Präsident würde selbst zurücktreten. Zemans derzeitige zweite Amtszeit läuft im März 2023 aus: "Das ist auch der Grund, warum Artikel 66 aktiviert werden muss. Andernfalls hätte die Tschechische Republik niemanden, der die Aufgaben des Staatsoberhauptes wahrnehmen könnte. Und das, obwohl der Präsident lebt. Das kann sich kein Staat leisten."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag