Tschechien vor der Parlamentswahl: Ausgang ungewiss
2. Juni 2006In den Umfragen liegen die beiden stärksten Parteien - die regierenden Sozialdemokraten und die bürgerliche Opposition - mit 25 bis 30 Prozent etwa gleich in der Wählergunst. Beide könnten mit Hilfe weiterer kleinerer Parteien Koalitionen eingehen, aber auch eine Große Koalition wird nicht ausgeschlossen
Auch wenn im Wahlkampf von einer "Schicksalswahl" geredet wurde, wird es keine grundsätzliche Kursänderung geben. "Die Tschechische Republik ist in wirtschaftlicher Hinsicht außerordentlich erfolgreich und als EU- und NATO-Mitglied politisch stabil", sagt der tschechische Politologe und Direktor der New York University in Prag, Jiri Pehe. "Und wir wissen, dass jede künftige Regierung sich in einem Rahmen bewegen wird, den ihre Vorgängerin gesetzt hat. Das bedeutet, dass die künftige Regierung die Anforderungen der EU erfüllen und an einigen Reformen weiter arbeiten muss."
Wirtschaftsaufschwung nicht genutzt
Vor allem bei Sicherung der Renten und im Gesundheitswesen. Die gegenwärtige Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion habe den - vor allem nach dem EU-Beitritt einsetzenden Wirtschaftsaufschwung - nicht richtig genutzt für grundlegende Reformen, kritisiert die Opposition. Doch der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und derzeitige Premier Jiri Paroubek kann gelassen auf die sechs Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr verweisen. Auch der Lebensstandard der meisten Tschechen hat sich in den letzten Jahren verbessert.
Der hemdsärmelige 53-Jährige erfreut sich nach einem knappen Jahr Regierungszeit besonderer Popularität. Anders als seine zwei Vorgänger, die die tschechischen Sozialdemokraten seit 2002 verschlissen haben, gilt Paroubek als volksnaher Macher. Doch anders als sein Vorbild und Freund Gerhard Schröder findet Paroubek nichts dabei, dass er eine Reihe von wichtigen Gesetzen im Parlament nicht mit den Stimmen seiner Koalitionspartner, sondern der oppositionellen Kommunisten durchbringen konnte. Diese verfügten bisher im Prager Nationalrat über 20 Prozent der Stimmen.
Protestpartei fischt am rechten Rand
Für die kommende Wahl wird der orthodoxen Kommunistischen Partei, die sich nie von ihrer 40-jährigen totalitären Herrschaft klar distanziert hat, 15 Prozent vorhergesagt. "Dass die KP immer noch so beliebt ist, verdankt sie vor allem der Tatsache, dass sie eine typische Protestpartei geworden ist", sagt Politologe Jiri Pehe. Im politischen System Tschechiens spiele sie dieselbe Rolle, wie früher Haiders Freiheitliche in Österreich oder die Nationale Front Le Pens in Frankreich.Denn neben der linken Agenda kann die KP Tschechiens und Mährens auch den rechten Wählerrand ansprechen: mit nationalistischen, deutsch- und Europa-feindlichen Parolen. Eine Koalition mit den Kommunisten will Paroubek zwar nicht, eine Minderheitsregierung mit stiller Tolerierung durch die KP ist aber nach wie vor sein erklärtes Ziel. Denn Paroubeks Gegenspieler - die konservative ODS - würde selbst mit den Christdemokraten keine Mehrheit bilden können, sagen die Meinungsforscher.
Die Grünen im Aufwind
Doch ein weiterer Spieler - die Partei der Grünen - wird vielleicht die politischen Karten in Prag neu mischen und das Zünglein an der Waage spielen. Bis vor kurzem nur eine unter den mehr als zwei Dutzend Kleinstparteien, stiegen die Grünen in den letzten Monaten vor der Wahl auf zeitweise bis zu 10 Prozent auf. Sie seien ein verlässlicher Partner für Leute geworden, die nicht wissen, wen sie wählen sollen, erklärt Jiri Pehe. "Das sind Leute, die sozusagen in der Mitte des politischen Spektrums verloren sind und beklagen, dass es keine solide zentristische Partei gibt."
Profitieren könnten die tschechischen Grünen auch von ihrer neuen, liberalen Grundhaltung. Vor allem unter den Nichtwählern und Unentschiedenen, die etwa 40 Prozent der Wähler ausmachen, rechnet sich die Grüne Partei Chancen aus.
Der ideologische Pragmatiker
Aber auch die Große Koalition wird in Prag nicht mehr ausgeschlossen. Programmatisch liegen die tschechischen Sozialdemokraten und die Bürgerlichen gar nicht weit voneinander entfernt. Die bestehenden Unterschiede ließen sich ausgleichen, sagen politische Kommentatoren. Dafür spricht, dass die Sozialdemokraten nicht selten liberales Denken offenbaren - wie beispielsweise in der Steuerpolitik, die Bürgerlichen von der ODS wiederum klassische linke Themen aufgreifen, wenn sie Verbesserungen in der Sozialpolitik fordern.
Dem Spitzenkandidat der ODS, Mirek Topolanek, wird als Haupteigenschaft Pragmatismus nachgesagt. "Er ist ein typisches Produkt der tschechischen Politik der letzten zehn, fünfzehn Jahre", analysiert Jiri Pehe. "Einerseits ist er rhetorisch sehr Ideologie-verbunden, aber wenn es darauf ankommt Politik zu machen, ist er Pragmatiker. Und wenn er aus den Wahlen als Sieger hervorgeht, wird er pragmatische Lösungen suchen."