Tschechien vor der Wahl: Das Populismus-Gespenst ist zurück
1. Oktober 2025
Der tschechische Staatspräsident Petr Pavel, ehemals Generalstabschef seines Landes, ist ein ebenso besonnener wie nervenstarker Mann. Als Kommandant einer tschechoslowakischen UN-Fallschirmjäger-Einheit rettete er 1993 im Bosnien-Krieg eingekesselte französische Soldaten aus einer nahezu aussichtslosen Lage. Doch obwohl er bei Auftritten als Staatschef so gut wie nie emotional wird, scheint er seit einiger Zeit zutiefst besorgt um den Zustand der Demokratie in der Tschechischen Republik.
Am Dienstagabend (30.09.2025) - drei Tage vor der anstehenden Parlamentswahl - hielt er eine Ansprache an das Land, die von zahlreichen tschechischen Medien live übertragen wurde. Er warnte vor "Äußerungen einiger Politiker, dass die diesjährige Wahl einen Systemwechsel mit sich bringen muss". Er weise das entschieden zurück, so Pavel. Das demokratische System sei in der Verfassung verankert. Die Tschechische Republik, so Pavel, brauche nach der Wahl eine Regierung, die "unsere Souveränität in der Gemeinschaft demokratischer Staaten schützt und uns nicht der Willkür Russlands und seinen Bemühungen ausliefert, seinen Einflussbereich in Mittel- und Osteuropa wiederherzustellen".
Pavels Auftritt zeigt, dass bei der diesjährigen Wahl zum Abgeordnetenhaus in der Tschechischen Republik (3./4.10.2025) mehr auf dem Spiel steht als üblich. Nach vier Jahren einer nicht erfolglosen, aber auch nicht sehr beliebten liberal-konservativen Koalitionsregierung unter dem Premier Petr Fiala, die vor allem mit den schwerwiegenden finanziellen Folgen der Corona-Pandemie und des russischen Kriegs gegen die Ukraine konfrontiert war, bahnt sich ein Machtwechsel an - in Richtung Rechtspopulismus mit all seinen bekannten Begleiterscheinungen: Euroskeptizismus, prorussische und antiukrainische Positionen, Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, LGBTQ und grüne Umweltpolitik.
Extremisten im Parlament
Unbestrittene Wahlfavoritin ist die Partei ANO (zu Deutsch: "Ja" und Akronym für "Aktion unzufriedener Bürger") des rechtspopulistischen Ex-Premiers und Milliardärs Andrej Babis. Während ANO in Umfragen auf 28 bis 30 Prozent kommt, liegt das liberal-konservative Regierungsbündnis SPOLU (Gemeinsam) aus drei Mitte-Rechts-Parteien bei 20 bis 22 Prozent. Die mitregierende, ebenfalls liberal-konservative Partei STAN (Bürgermeister und Unabhängige) kommt auf 10 bis 12 Prozent.
Außerdem werden im Parlament wohl die bis vor einem Jahr mitregierenden grün-liberalen Piraten (7 bis 9 Prozent) sowie drei extremistische Oppositionsparteien vertreten sein: die rechtsextreme "Freiheit und direkte Demokratie" (SPD, 13 bis 14 Prozent), das prorussisch-kommunistische Bündnis "Es reicht!" (Stacilo!, 5 Prozent) und die EU-skeptische, rechtsnationalistische Motoristen-Partei (5 Prozent).
Weit verbreitete Unzufriedenheit
Die Tschechische Republik ist neben Polen das wirtschaftlich erfolgreichste Land Mitteleuropas und hat politisch nach 1989 nie so einschneidende nationalistisch-populistische Regierungsphasen erlebt wie Polen, die Slowakei oder Ungarn - auch nicht in den Jahren der ANO-Regierung unter Andrej Babis von 2017 bis 2021, der damals noch weniger populistisch auftrat als derzeit. Inzwischen aber wirken sich die tektonischen geopolitischen Veränderungen, vor allem Russlands vollständiger Krieg gegen die Ukraine und der toxische Einfluss des Kreml, auch in Tschechien stark aus.
Als Folge des russischen Kriegs erlebte die Tschechische Republik 2022 und 2023 einen Energiepreisschock und eine Inflation von bis zu 15 Prozent, was trotz staatlicher Hilfsmaßnahmen viele Menschen, besonders Rentner, sehr hart traf. Erst seit Ende 2024 konsolidiert sich die ökonomische Lage wieder - die Inflation geht stark zurück, die Wirtschaft wächst moderat, die Reallöhne steigen. Dennoch ist die Unzufriedenheit mit der Regierung Fiala groß und weit verbreitet.
Prorussische, antiukrainische Narrative
Dazu beigetragen hat auch die prorussische und antiukrainische Propaganda von Oppositionspolitikern, darunter auch des ANO-Chefs Andrej Babis. Die Tschechische Republik ist eine der deutlichsten Unterstützerinnen der Ukraine. Petr Fiala war unter den ersten ausländischen Regierungschefs, die Mitte März 2022 nach Kyjiw reisten - als der größte Teil der Welt das Land aufgegeben hatte. Tschechien nahm gemessen an seiner Einwohnerzahl von 10,9 Millionen die Rekordzahl von rund 660.000 ukrainischen Geflüchteten auf. Derzeit leben noch geschätzt 400.000 ukrainische Staatsbürger im Land.
Andrej Babis und andere Rechtspopulisten und Extremisten konstruierten daraus das Narrativ, die Fiala-Regierung kümmere sich mehr um die Ukraine und die Ukrainer als um die Tschechen selbst. Babis warf Fiala vor, "von einem Krieg mit Russland zu träumen". Er plädiert dafür, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu stoppen, Hilfe für Geflüchtete einzuschränken und die Beziehungen zu Russland "vernünftig" zu gestalten.
"Regierung des nationalen Verrats"
Vor diesem Hintergrund sind die tschechische Außenpolitik und das Verhältnis zu Russland vor allem auf der Regierungsseite die bestimmenden Themen im Wahlkampf. Petr Fiala sagte vor einigen Tagen, wenn Andrej Babis an die Macht käme, würde Tschechien eine "Regierung des nationalen Verrats" bekommen. Manche Beobachter halten die Gefahr für real. "Einer von Putins Träumen könnte bald wahr werden", schreibt Petr Honzejk von der Zeitung Hospodarske noviny. "Sollte die ANO an die Macht kommen, sei es unabhängig oder in Zusammenarbeit mit der SPD, Stacilo! oder den Motoristen, wird unser Land seine Verteidigung gegen russische Desinformation und hybride Angriffe einstellen."
Andere Beobachter werfen dem Premier vor, er setze zu sehr auf "Angstmache" oder blende innenpolitische und wirtschaftliche Themen zu sehr aus. Ebenfalls in der Zeitung Hospodarske noviny schreibt der Kommentator Jan Kubita, dass die Regierungspolitiker die Arbeiten der jüngsten Nobelpreisträger hätten studieren sollen. "Dann würden sie vielleicht verstehen, dass die Voraussetzung für langfristiges Wachstum und Wohlstand eines Staates gerade die Verbesserung seiner Institutionen ist." Tatsächlich sind viele Tschechen sehr unzufrieden mit der öffentlichen Infrastruktur oder wegen schwerfälliger Staatsinstitutionen, Bürokratie und einer zu langsamen Digitalisierung.
Präsident kein "Retter Tschechiens"
Andrej Babis verspricht schon seit vielen Jahren, mit all diesen Missständen aufzuräumen und den Staat effizienter zu gestalten. In seiner Amtszeit als Premier setzte er jedoch davon so gut wie nichts um. Hinzu kommen aktuell Versprechen, die Steuern zu senken, die Renten zu erhöhen, bedürftigen Bürgern mehr zu helfen und Energiepreise und Wohnkosten zu senken. Wie das alles ohne Schulden finanziert werden soll, lässt er offen.
Staatspräsident Petr Pavel, der bei der Regierungsbildung eine wichtige Rolle spielt, ließ bereits vor einigen Wochen anklingen, dass er Andrej Babis unter Umständen nicht für das Amt des Premiers nominieren werde. In seiner Ansprache am Dienstagabend warnte er jedoch davor, in ihm den "Retter Tschechiens" zu sehen. Der Präsident könne "nicht die letzte Rettung sein, die das Wahlergebnis für eine Person umkehrt oder für eine andere Person rettet". An die Wählerinnen und Wähler gerichtet, sagte Pavel mit ruhiger und fester Stimme: "Sie entscheiden."