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PolitikEuropa

Tschechiens erste Roma-Beauftragte

2. Januar 2023

Die Tschechische Republik hat ihre erste Roma-Regierungsbeauftragte ernannt. Lucie Fukova soll die Aktivitäten verschiedener Ministerien zur Unterstützung der sozial schwachen Roma-Minderheit koordinieren.

Tschechien Lucie Fukova
Lucie Fukova (li.) ist die neue Roma-Regierungsbeauftragte der Tschechischen RepublikBild: Daniel Wellmann/OSZE

Die Tschechische Republik hat einen wichtigen Schritt getan, um sich mit der komplexen Situation tschechischer Roma zu befassen. Noch im Dezember 2022 hat die Regierung von Premierminister Petr Fiala auf ihrer letzten Sitzung des Jahres das Amt des Regierungsbeauftragten für Angelegenheiten der Roma-Community geschaffen und die 41-jährige Romni Lucie Fukova zur ersten Roma-Beauftragten ernannt. 

"Die Regierung nimmt die Frage der Integration nationaler Minderheiten sehr ernst", sagte der tschechische Regierungssprecher Vaclav Smolka der DW. "Weil die Integrationsmaßnahmen stark aufgesplittet sind, hat die Regierung daher beschlossen, die Position eines Regierungsbeauftragten für diese Agenda zu schaffen, der in erster Linie als Koordinator zwischen den Ministerien dienen soll", so Smolka weiter.

Gerechtigkeit für Stanislav Tomas: Proteste in Teplice nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Rom bei einem PolizeieinsatzBild: Ondrej Hajek/CTK/AP Photo/picture alliance

Fukova selbst möchte mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass die Mittel, die die Tschechische Republik und die Europäische Union für die Verbesserung der Situation der Roma-Community ausgeben, dort ankommen, wo sie hingehören. "Ich möchte einen Lösungsansatz finden, der sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Roma orientiert. Ich werde auch umfassend daran arbeiten, die Wahrnehmung der Roma in der Gesellschaft insgesamt zu verbessern", sagte Fukova dem Online-Portal Romea.cz. "Tschechen und Roma kennen sich nicht, Vorurteile verhindern ein Zusammenleben."

Lucie Fukova gehört zu der immer noch relativ kleinen Gruppe der Roma-Elite, die eine akademische Bildung hat. Sie schloss ihr Studium der Sozialanthropologie an der Universität Pardubice ab und absolvierte ein Praktikum bei der Europäischen Kommission, währenddessen sie den EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens vorbereiten half. 2007 war sie die tschechische Koordinatorin des Europäischen Jahres der Chancengleichheit. In den vergangenen Jahren arbeitete sie als Beraterin für Roma-Fragen in der Region Pardubice.

Fukova sieht eine der wichtigsten Aufgaben ihres Amts darin, die sozialen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die tschechischen Roma eine Ausbildung erhalten und damit besser ins Leben starten. "Wenn eine Familie ein gewisses Niveau erreicht hat - gute Wohnung, gute Arbeit -, ist es für Kinder in dieser Familie einfacher, ihre Ausbildung fortzusetzen. Das versteht sich von selbst", erklärte Fukova in einem Interview mit dem Tschechischen Rundfunk kurz nach ihrer Ernennung.

Über Roma ohne Roma?

Einige Roma-Aktivistinnen und -Aktivisten kritisieren die Art und Weise, wie die erste Beauftragte ausgewählt wurde. Sie bemängeln, dass Roma-Organisationen nicht zum Verfahren eingeladen wurden, sondern die Wahl im Büro der Regierungsbeauftragten für Menschenrechte, Klara Laurencikova, getroffen und dann von der tschechischen Regierung genehmigt wurde. "Die Beauftragte für Roma-Angelegenheiten braucht eine elementare Unterstützung der Roma-Bevölkerung", schreibt der Roma-Aktivist Jaroslav Miko auf Facebook. "Auch hier geht es wieder einmal um Roma ohne Roma."

Lucie Fukova (re.) und die Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, Klara LaurencikovaBild: Amt der Regierung der Tschechischen Republik

Dem hielt Laurencikova im tschechischen Roma-Internetfernsehsender Romea TV entgegen: "Der oder die Beauftragte wird von der Regierung ausgewählt. Seit meinem Amtsantritt habe ich versucht, das Kabinett daran zu erinnern, dass der Posten noch in diesem Jahr besetzt werden sollte. Dies ist sowohl Teil des Regierungsprogramms als auch der von der Regierung genehmigten Strategie zur Integration der Roma. Das war meine Rolle."

"Sie wird es schwer haben!"

Ein großer Teil der Roma-Gemeinschaft sieht jedoch die Einrichtung des Amts als einen sehr positiven Schritt. "Wir haben sehr lange darauf gewartet, deshalb freue ich mich besonders, dass es nun gelungen ist", sagt Jana Horvathova, Direktorin des Museums für Roma-Kultur in Brno/Brünn, des einzigen vom Staat errichteten Roma-Museums der Welt, der DW. 

"Ich wünsche Lucie Fukova vor allem viel Kraft und werde sie bei ihrer Arbeit voll unterstützen", sagt Horvathova, eine der bekanntesten Vertreterinnen der Roma in der Tschechischen Republik. "Die Stelle wird definitiv gebraucht, aber sie ist kein Selbstläufer. Es wird sehr schwierig für die Beauftragte sein, da vor allem in der Roma-Gemeinschaft hohe Erwartungen an sie gestellt werden. Es wird wichtig sein, wie ernst die tschechische Regierung ihre Stimme nehmen wird." 

Jana Horvathova, Direktorin des Roma-Museums Brno, auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers in LetyBild: Luboš Palata/DW

Die Verbesserung des Zusammenlebens und der Integration der Roma sei ein Anliegen der gesamten Gesellschaft, nicht nur der Roma, und das sei sehr wichtig: "Ich hoffe, dass jetzt einige Sachen leichter gehen werden. Seit drei Jahrzehnten setzen wir uns dafür ein, dass in tschechischen Schulen auch die Geschichte der Roma-Community unterrichtet wird. In den Grund- und Sekundarschulen lernen die Schüler praktisch nichts über die Roma. Und die gesamte tschechische Öffentlichkeit ist dann mit einer Menge Vorurteile belastet."

Nur wenige bekennen sich zur ethnischen Zugehörigkeit 

Bei der jüngsten Volkszählung in der Tschechischen Republik 2021 gaben 21.000 Personen ihre ethnische Zugehörigkeit zur Roma-Community an. Nach offiziellen Schätzungen der Regierung in Prag leben jedoch etwa 250.000 Roma im Land.  

Neben den rassistischen Vorurteilen, wegen derer die Roma bei der Arbeitsplatz- oder Wohnungssuche nach wie vor benachteiligt sind, stellt ihre soziale Lage ein weiteres Problem dar. Die neue Kommissarin Lucie Fukova weist auch auf die schlechte Gesundheitssituation und den hohen Anteil von Drogenabhängigen hin. "Im Durchschnitt sterben Roma 18 Jahre früher als Nicht-Roma in Tschechien. Es sollte ein politisches Thema werden", sagte Fukova kürzlich in einem Interview mit dem Online-Magazin HateFree.

Die Tschechische Republik hat sich bei der Ernennung einer Regierungsbeauftragten für Angelegenheiten der Roma-Community von der Slowakei inspirieren lassen, wo es das Amt bereits seit 2001 gibt. Die Ergebnisse im Nachbarstaat sind jedoch eher durchwachsen, die Situation der Roma verbessert sich dort nur langsam. Nach Schätzungen der slowakischen Regierung machen Roma etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes von fünf Millionen aus.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag
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