1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Tschechien: Ein Modell für Ungarn?

Luboš Palata
20. Dezember 2021

Die Bildung des Kabinetts Fiala zeigt, wie Regierungswechsel in mittelosteuropäischen EU-Staaten ablaufen können - und mit welchen Schwierigkeiten die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und Berechenbarkeit verbunden ist.

Wahl in Tschechien Petr Fiala
Tschechiens neuer Premierminister Petr Fiala nach seinem Wahlsieg im Oktober 2021 Bild: Darko Bandic/AP Photo/picture alliance

Es war ein schwieriger Machtransfer: Zweieinhalb Monate nach der tschechischen Parlamentswahl ist der umstrittene Premier Andrej Babis endgültig Geschichte, die Tschechische Republik hat eine neue Regierung. Sie wurde am vergangenen Freitag (17.12.2021) vereidigt und besteht aus zwei Parteienbündnissen mit insgesamt fünf Parteien. Die stärkste davon ist die liberal-konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) des neuen Ministerpräsidenten Petr Fiala, die mit der konservativen Partei TOP 09 und der christdemokratischen Volkspartei (KDU-ČSL) das Bündnis SPOLU ("Zusammen") bildet.

SPOLU hatte die Parlamentswahl Anfang Oktober gemeinsam mit dem Bündnis aus Bürgermeister und Unabhängige (STAN) und der liberalen und ökologisch orientierten tschechischen Piratenpartei mit 108 von insgesamt 200 Parlamentssitzen klar gewonnen. Die kleineren Parteien in der Koalition, die nun die neue Regierung stellt, sind explizit proeuropäisch eingestellt, die ODS bezeichnet sich als "eurorealistisch".

Andrej Babis war von 13.12.2017 bis 17.12.2021 Premier der Tschechischen RepublikBild: Petr David Josek/AP/dpa/picture alliance

"Die Koalitionsparteien bekennen sich zu den Grundsätzen der tschechischen Verfassungsordnung, die auf der Gewaltenteilung, der parlamentarischen Demokratie auf der Grundlage des freien Wettbewerbs der politischen Kräfte und der Achtung der Menschen- und Bürgerrechte sowie des Minderheitenschutzes beruht", heißt es zum Programm der neuen Regierung im Koalitionsvertrag.

Das sind weit mehr als Floskeln, denn nach Ansicht der Koalitionäre hat die Demokratie in Tschechien in den Jahren unter Premier Andrej Babis schweren Schaden genommen. Zudem belasteten offensichtliche Interessenkonflikte des zweitreichsten Mannes in Tschechien und Eigentümers des Agrofert-Konzerns, der hohe EU-Subventionen erhielt, das Verhältnis zu den anderen EU-Ländern und zu Brüssel. Eine erneute Regierungsbildung, die Babis' langjähriger Verbündeter, der Staatspräsident Milos Zeman, dem Ex-Premier nach der Wahl angeboten hatte, hatte dieser am 15.10.2021 abgelehnt.

Ein unwilliger Präsident

Trotzdem dauerte es weitere sechs Wochen, bis Zeman am 28.11.2021 endlich den Wahlsieger Fiala zum Premier ernannte. Zu weiteren Verzögerungen bei der Regierungsbildung führte der Gesundheitszustand des Präsidenten: Erst wurde er in einem Krankenhaus auf einer Intensivstation behandelt, dann diagnostizierten Ärzte Covid-19 bei ihm. Trotzdem bestand Zeman darauf, persönlich mit jedem der 17 Minister in spe zu sprechen. Aufgrund der Corona-Quarantäne mussten diese Gespräche in einer Plexiglaszelle stattfinden, die in den sozialen Medien als "Aquarium" bezeichnet wurde.

Tschechiens Staatspräsident Milos ZemanBild: David W Cerny/REUTERS

Ein weiteres Problem war, dass der Präsident am 8.12.2021 öffentlich erklärt hatte, er lehne es ab, Jan Lipavsky von der Piratenpartei zum Außenminister zu ernennen. Der Grund: Lipavsky habe sich vor einigen Jahren öffentlich für die Ausrichtung eines Treffens der Sudetendeutschen in Tschechien ausgesprochen habe. Fiala bestand jedoch auf der Personalie. Erst als der designierte Premier Zeman mit einer Zuständigkeitsklage vor dem Verfassungsgericht drohte, lenkte dieser ein.

Die erste Fünf-Parteien-Koalition

Mit der Regierungsbildung hat die neue tschechische Koalition ihren ersten Härtetest bestanden. Denn die fünf Parteien, die ihr angehören - so viele wie noch nie in der Geschichte der Tschechischen Republik -, sind sehr unterschiedlich. "Das reicht von konservativ bis progressiv", schreibt der politische Analyst Tomas Jelinek in der Tageszeitung Pravo - und prognostiziert, das Funktionieren dieser Regierung werde "kompliziert".

Pavel Maskarinec ist Politologie-Dozent an der Universität von Usti nad LabemBild: privat

Dem widerspricht der Politologie-Dozent Pavel Maskarinec von der Universität in Usti nad Labem. "Nach langer Zeit wird dies eine Regierung sein, die eine klare Mehrheit im Parlament hat", sagt er der DW. Zudem seien die politischen Grundpositionen der Koalitionäre mit Ausnahme der Piraten sehr ähnlich. "Eine so bürgerliche Regierung hatten wir in Tschechien schon lange nicht mehr", so Maskarinec, "schon allein deshalb wird sie die ganzen vier Jahre ihres Mandats hindurch regieren." Der Politologe verweist zudem darauf, dass das Kabinett Fiala auch ohne die Piraten über 104 von 200 Parlamentssitzen verfügt.

Ungarn wird schwieriger

Dass Reformen nach Phasen von Autokratie und Korruption komplexe Koalitionen erfordern, zeigt das Beispiel die slowakischen Regierung der "großen demokratischen Koalition" unter Premier Mikulas Dzurinda nach dem Ende der Herrschaft des autoritären Ministerpräsidenten Vladimir Meciar 1998. "Ich hatte ehemalige inhaftierte Dissidenten und ehemalige hochrangige Kommunisten in meiner Regierung, ich hatte Gläubige und Atheisten, ich hatte drei Angehörige der ungarischen Minderheit in der Slowakei", erklärte Dzurinda kürzlich im tschechischen Rundfunk. Dennoch blieb er fast acht Jahre lang Premier der Slowakei.

Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Mit diesem Modell experimentiert derzeit die ungarische Opposition im Kampf gegen Premier Viktor Orban. Der Politologe Pavel Maskarinec ist sich sicher: "In Ungarn wird es viel schwieriger werden als in Tschechien." Zwar habe sich die ungarische Opposition von den Sozialisten über die Parteien der Mitte bis hin zur ehemaligen extremen Rechten zusammengeschlossen. "Aber die haben ideologisch fast nichts gemeinsam außer ihrer Ablehnung Viktor Orbans. Selbst wenn sie gewinnen sollten, wird es ihnen schwerfallen, gemeinsam zu regieren."

Einfach wird das auch in Tschechien nicht werden. Das Land steckt in einer mehrfachen Krise: Steigende Corona-Infektionszahlen, immer höhere Energiepreise, ein enormes Haushaltsdefizit und eine Inflation von fast zehn Prozent fordern die neue Regierung. "Wir haben keine einfache Ausgangssituation, in den vergangenen Jahren wurde vieles vernachlässigt, deshalb stehen wir heute vor großen Problemen", so Premier Fiala bei der Ernennung seiner Regierung, "wir beginnen daher sofort mit der Arbeit." Tatsächlich befasste sich das Kabinett auf seiner ersten Sitzung nur kurz nach der Ernennungszeremonie mit staatlichen Beihilfen für jene Bürgerinnen und Bürger, die die hohen Energiepreise kaum noch zahlen können.

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".