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Regisseur Jiří Menzel ist tot

Jochen Kürten
7. September 2020

Jiří Menzel galt als Erneuerer des osteuropäischen Films. Für sein Debüt "Liebe nach Fahrplan" bekam er 1968 einen Oscar. Jetzt starb er mit 82 Jahren.

Filmregisseur und Oscar-Preisträger Jiri Menzel gestorben
Bild: picture-alliance/dpa/G. Breoler

Zweifellos gehörte Jiří Menzel zu den großen europäischen Kinokünstlern des vergangenen Jahrhunderts und - neben Milos Forman und Vera Chytilova - zu den wichtigsten Vertretern der sogenannten tschechoslowakischen Neuen Welle. Wäre der Blick des westeuropäischen Publikums nicht durch die politischen Zeitläufe geprägt, den Zuschauern also Namen wie François Truffaut oder Woody Allen geläufiger, so käme einem der Name Jiří Menzel hierzulande ebenso leicht über die Lippen, wie die seiner westeuropäischen oder nordamerikanischen Kollegen.

Jiří Menzel, Regisseur und Schauspieler, hier in seinem Film "Ein launischer Sommer"Bild: TRIGON FILM

Für's Kinodebüt gab es direkt einen Oscar

Welcher Filmemacher kann schon von sich behaupten, dass bereits sein allererster Kino-Film in eigener Regie mit dem Oscar ausgezeichnet worden ist? Doch was bedeutet einem Regisseur, der tief in der Kultur seines Landes verwurzelt ist, der das Land nach Ende des Prager Frühlings ganz bewusst nicht verließ und in Tschechien Kultstatus genießt, schon der Oscar?

Viel wichtiger sei es ihm, so hat es Menzel später einmal selbst gesagt, dass die Drehorte seines Debüts "Liebe nach Fahrplan" (in Deutschland auch unter dem Titel "Scharf beobachtete Züge" bekannt) zu kulturellen Treffpunkten seiner Landsleute geworden sind. Und dass dort sogar wieder Bier gebraut wird!

Dafür gab es 1968 den Oscar: Menzels Debüt "Liebe nach Fahrplan"Bild: picture alliance/United Archives/IFTN

Diese Aussage charakterisiert den Regisseur und Menschen Jiří Menzel recht gut. Ihm war der Kontakt zum Zuschauer immer wichtiger als der rote Teppich. Was ja nicht heißt, dass Menzel das Rampenlicht gescheut hätte. Der Regisseur, der am 23. Februar 1938 in Prag geboren wurde, war auch als Schauspieler und Komödiant eine Größe. Mehr als 75 Filmauftritte verzeichnet seine Vita als Darsteller.

Schalk im Nacken: Jiří Menzel

"Ich bin sehr glücklich, dass Amerika tschechische Filme mag", meinte Menzel ein wenig verschmitzt in seiner sehr kurzen Dankesrede auf der Oscar-Bühne im Umbruchjahr 1968. Er war damals noch keine 30 Jahre alt, und trotz seiner offensichtlichen Schüchternheit hat man heute beim Betrachten der Szene das Gefühl, Menzel habe auch ein wenig Ironie in seinen Dank gemischt: Das große Amerika und die kleine ČSSR (die heutige Tschechische Republik hieß damals offiziell Tschechoslowakische Sozialistische Republik, auch: ČSSR, Anm. d. Red.)! Das musste ein junger Mann erst einmal fertig bringen: einen kleinen Schwarz-Weiß-Film über einen sehr schüchternen Bahnbeamten drehen und damit die große Bühne der Filmwelt erobern!

Stempel auf dem Popo: Diese Szene erregte in der Heimat Proteste der Kulturbehörden. Menzel machte sich in "Liebe nach Fahrplan" über Bürokratie im Sozialismus lustig Bild: TRIGON FILM

Szenen wie der Oscar-Auftritt Menzels oder dessen persönliche Oscar-Einschätzung sind Fundstücke in der Dokumentation "To Make A Comedy Is No Fun" von Robert Kolinsky. Dieser aufschlussreiche Dokumentarfilm über das Werk des Tschechen erschien vor ein paar Jahren in einer DVD-Edition, die sehr schön Werk und Leben des berühmten Regisseurs zeigt. Und das wies einige Härten auf.

"Lerchen am Faden": Zunächst zensiert

Schaut man zum Beispiel auf die Produktionsgeschichte seines Films "Lerchen am Faden", erschließt sich das ganze Drama um den Regisseur Menzel. Der Film wurde bereits 1969 gedreht, nach einem sofortigen Verbot durch die Behörden aber für Jahre in die Giftschränke der Filmzensoren verbannt. Erst 1990, als in Europa der Eiserne Vorhang gefallen war, wurde "Lerchen am Faden" uraufgeführt - und gewann bei der Berlinale 1991 prompt den Goldenen Bären.

Leben auf dem Schrottplatz: Menzels Film "Lerchen am Faden", der von den tschechischen Behörden sofort verboten wurdeBild: Trigon-Film

Menzels Filme waren immer geprägt von einem leisen Humor, von einem subtil satirischen Blick auf seine Protagonisten. Oft stützte er sich dabei auf literarische Vorlagen seines Freundes, des großen Schriftstellers Bohumil Hrabal. Menzel hatte das Glück - wenn man das so nennen will - in der kurzen Zeit des Prager Frühlings, einige wichtige Filme drehen zu können. In einer Zeit, die es den Debütanten, aber auch den älteren Filmemachern, erlaubte, die Fesseln der sozialistischen Kulturrichtlinien abzustreifen und der Phantasie und der Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen freien Lauf zu lassen. Es war allerdings nur eine kurze Ära, die schon nach wenigen Monaten am 21. August 1968 wieder endete.

In der ČSSR erprobten die jungen Regisseure neue Formen

Mitte der 1960er Jahre waren auch in anderen osteuropäischen Ländern filmische Neuerungsbewegungen entstanden, ästhetisch wagemutig, inhaltlich ohne Scheu. Doch in keinem anderen Land inszenierten so viele junge Talente Filme wie in der damaligen ČSSR. Menzel gehörte zu den innovativsten jungen Regie-Genies.

In Ländern, in denen keine Meinungsfreiheit herrscht, konzentriert man sich auf erotische männliche Eskapaden - so auch in Menzels Film "Ein launischer Sommer" Bild: Trigon-Film

"Liebe nach Fahrplan" ist auch aus heutigem Blickwinkel noch ein sehr unterhaltsamer Film über den tschechischen Widerstand gegen die deutsche Besetzung während des Zweiten Weltkriegs. Humorvolle Unterhaltung und Kriegsgeschichte - bei Menzel war das kein Widerspruch. Schwere Themen leicht und doch nicht leichtgewichtig in Szene zu setzen, das wurde zu einem Markenzeichen dieses Regisseurs.

"Ein launischer Sommer", Menzels zweiter Film, erzählt die Geschichte von drei älteren Charmeuren, die während eines Sommers auf einer Datsche eine junge Tänzerin begehren. Ein Film, wunderbar fotografiert, atmosphärisch dicht und sehr poetisch in Szene gesetzt.

"Lerchen am Faden" dann, der Film, der Menzel zu einem Berufsverbot zwang, ist eine Allegorie auf die Unterdrückung in den sozialistischen Systemen Osteuropas. Ein paar Männer und Frauen, allesamt vom Staat bestrafte Intellektuelle und Ingenieure, Ärzte und Wissenschaftler, verdingen sich ihr Leben auf einem Schrottplatz - Sinnbild für die abgehalfterten Zustände im real existierenden Sozialismus.

Ein satirischer, aber menschlicher Blick auf die Wirklichkeit

Doch Menzel zeigte auch in diesem Film Größe. Hass und Rache waren seine Sache nicht. Die Protagonisten seiner Filmerzählungen, auch die, die auf der anderen Seite standen, wurden immer mit großer Empathie und Menschlichkeit gezeichnet. So entstehe "eine melancholisch-sentimentale Distanz zu den großen historischen Prozessen", formulierte es der deutsche Filmwissenschaftler Hans Jürgen Wulff einmal. Diese "melancholisch-sentimentale Distanz" war sicherlich einzigartig im tschechischen, wie im europäischen Film.

Ein freier Geist: Menzel gibt RegieanweisungenBild: Trigon-Film

Seit mehreren Jahren war Menzel, der die "Berlinale Kamera" der Filmfestspiele in Berlin vor zwei Jahren schon nicht mehr persönlich entgegennehmen konnte, gesundheitlich angeschlagen. Nun ist der große Regisseur im Kreise seiner Familie gestorben. Ihr "lieber" Jiří, "der Mutigste der Mutigen", habe die "irdische Welt" am Samstagabend im Beisein seiner Familie verlassen, schrieb seine Frau Olga Menzelova auf Facebook. Man darf sicher sein, dass Menzel von oben auf sein geliebtes Prag und sein Land schaut - mit einem verschmitzten Lächeln.

Beim Schweizer DVD-Anbieter Trigon-Film liegt eine Menzel-Edition mit den wichtigsten frühen Spielfilmen des Regisseurs und der Dokumentation von Robert Kolinsky vor.

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