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Politik

Eine Geschichte, zwei Ausgänge

25. August 2017

Vor 25 Jahren wurde das Schicksal zweier Staaten besiegelt, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens. Während sie nach dem Ersten Weltkrieg auf ähnliche Weise entstanden, war ihr Ende sehr unterschiedlich.

Tschechoslowakei Aufteilung Vaclav Klaus und Vladimir Meciar in Tugendhat Villa, Brno
Vaclav Klaus (r.) und Vladimir Meciar in der Villa TugendhatBild: picture-alliance/CTK/I. Zehl

Der 26. August 1992 war ein heißer Sommertag im tschechischen Brünn, die Temperatur überstieg 32 Grad. Im Garten der berühmten Villa Tugendhat im Schatten einer alten Platane saßen die Premiers der Tschechei und der Slowakei, Vaclav Klaus und Vladimir Meciar, bei einem Glas gekühltem Mineralwasser zusammen und sprachen über eine friedliche Auflösung des gemeinsamen tschechoslowakischen Staates.

Am Abend gingen sie vor die Presse und erklärten, dass ab 1. Januar 1993 die Tschechei und die Slowakei zwei selbstständige Staaten werden sollen. "Auch wenn viele Leute emotionelle Bindungen an die jetzige Form haben, muss man realistisch und mit Verantwortung sagen, es gibt keine Möglichkeit, den jetzigen Stand zu erhalten", sagte damals Meciar.

Eine flammende Morgendämmerung über Sarajevo

An diesem Tag war es auch in Sarajevo heiß, aber nicht nur wegen der Sonne. Seit knapp fünf Monaten wurde die Stadt belagert von Soldaten der bosnischen Serben. Von den umliegenden Bergen schossen sie aus Kanonen auf die Häuser in dem Tal. In einer Nacht wurde dann auch die Vijecnica beschossen, das ehemalige Rathaus, in dem die National- und Universitätsbibliothek von Bosnien und Herzegowina untergebracht war. An diesem Mittwoch, dem 26. August, stand das Haus ganz in Flammen - am Ende blieben nur die Außenwände stehen.

Über zwei Millionen Bücher und historische Dokumente brannten in der Nationalbibliothek ausBild: Getty Images/AFP/M. Deghati

In nur wenigen Stunden zerstörte das Feuer in Sarajevo den Großteil des nationalen Kulturschatzes, insgesamt mehr als zwei Millionen Bücher und Dokumente. Aber noch mehr als das: An diesem Tag verschwanden zahlreichen Belege für die jahrhundertealte Tradition einer multikulturellen Gesellschaft und ein Symbol eines friedlichen und kultivierten Miteinanders der Völker, Kulturen und Religionen. Spätestens an diesem Tag wurde klar, dass der Krieg in Bosnien ein blutiger und unbarmherziger sein würde. Mit der Nationalbibliothek von Sarajevo verbrannte auch die Hoffnung, dass der Zerfall Jugoslawiens doch noch ohne größeren Krieg möglich sein wird.

Am gleichen Tag hatte in London der britische Premier John Major die Jugoslawien-Konferenz eröffnet. Die wichtigste Forderung war eine sofortige Einstellung sämtlicher Kämpfe in Bosnien-Herzegowina.

Neue Staaten aus den Trümmern der Monarchie

Die Tschechoslowakei und Jugoslawien - die beiden Staaten, die im Sommer 1992 auf unterschiedlichen Wegen die Weltbühne verließen, entstanden beide 1918 aus den Trümmern der Österreichisch-Ungarischen Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges. Das Ziel war in beiden Fällen ähnlich: Unterschiedliche und sich trotzdem in vielerlei Hinsicht nahestehende Völker sowie mehrere nationale Minderheiten sollten in einem gemeinsamen und selbstständigen Staat vereint werden.

Am 17. Juli 1992 verabschiedete das slowakische Parlament eine UnabhöngigkeitserklärungBild: picture alliance/CTK

Die Tschechei mit einer weit entwickelten Industrie und einer reichen Kulturtradition spielte schon innerhalb der Habsburger Monarchie eine wichtige Rolle. Neben Wien und Budapest galt Prag gewissermaßen als die dritte Hauptstadt. Als dann Anfang 1918 klar wurde, dass die Monarchie den Krieg nicht überdauern würde, forderten Tomas Masaryk und Edvard Benes, die an der Spitze der tschechischen Nationalbewegung standen, die volle Unabhängigkeit ihres Landes im neuen Europa. Zusammen mit den Vertretern der slowakischen Nationalbewegung vereinbarten sie die Gründung eines gemeinsamen Staates.

Noch vor Ende des Krieges erklärte die Tschechoslowakische Republik ihre Unabhängigkeit mit Masaryk als erstem Präsidenten. Dieser gemeinsame Staat war keinesfalls national homogen: Von rund 14 Millionen Menschen waren sieben Millionen Tschechen, 2,5 Millionen Slowaken und mehr als drei Millionen Sudetendeutsche. Dazu gab es zahlenmäßig große Minderheiten der Ungarn, Ukrainer und Polen.

Slowakische Bestrebungen nach der Unabhängigkeit

Aber obwohl von Anfang an als Ziel die Bildung eines tschechoslowakischen Staatsvolkes proklamiert wurde und den Minderheiten besondere Rechte versprochen wurden, blieben beide Punkte nur offizielle Ideologie. In Wirklichkeit spürte man immer die Dominanz der zahlenmäßig, kulturell und wirtschaftlich überlegenen Tschechen.

Nach dem Mauerfall und der sogenannten Samtenen Revolution 1989 wurden insbesondere in der Slowakei die Rufe nach Unabhängigkeit immer lauter. Nach den Parlamentswahlen im Juni 1992 wurde nur noch eine Übergangsregierung gebildet, während Klaus und Meciar ihre Gespräche über eine friedlichen Auflösung des gemeinsamen Staates aufnahmen.

Zerstückelung statt Auflösung

Die jugoslawische Geschichte nahm, obwohl sie ähnlich angefangen hatte, eine ganz andere Entwicklung. Auch hier war die Grundidee, mehrere verwandte Völker samt ihren angestammten Siedlungsorten in einem Staat zu vereinen. Und auch hier kamen einerseits Völker zusammen, die schon ihren eigenen König hatten, wie etwa die Serben, andererseits auch solche, die noch nie einen eigenen Staat hatten oder sich an seine Existenz kaum noch erinnern konnten, wie Slowenen oder Kroaten. Gleichzeitig wurden auch in dieser asymmetrischen Konstruktion die Gleichberechtigung aller konstitutiven Völker proklamiert und den Minderheiten ihre Rechte garantiert.

Flucht vor Heckenschützen in Sarajevo - auch noch im Dezember 1994Bild: picture alliance/dpa

Aber auch in diesem Staat, der im Laufe der Geschichte eine Umwandlung von einer Monarchie in eine sozialistische Republik durchlief, fühlten sich bis zum Schluss viele unterprivilegiert. Auch die Bildung einer jugoslawischen Nation blieb trotz aller Versuche letztendlich erfolglos. In dem Moment, als eine konstitutive Krise das Land erschütterte, zerfiel Jugoslawien politisch in einzelne ethnische Gruppen. Kurz danach fing man an, mit äußerster Brutalität die Landkarten neu zu zeichnen und sie den wiederbelebten einzelnen Nationalmythen anzupassen.

Zwei unterschiedliche Wege

Das Ergebnis ist bekannt. Als Vaclav Klaus und Vladimir Meciar am Abend des 26. August 1992 vor die Presse traten, um die Auflösung des Staates bekanntzugeben, sagte der tschechische Premier: "Wenn der geplante Prozess in friedlicher Form umgesetzt wird, glaube ich, dass wir mit der Slowakei bessere und langfristig dauerhaftere Beziehungen als derzeit finden können." Diese Ankündigung erwies sich als zutreffend. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zweier unabhängiger Staaten gelten in vielerlei Hinsicht als vorbildlich. Inzwischen suchen beide Nationen im Fernsehen auch gemeinsam den "Superstar".

Jugoslawien wurde dagegen in einem brutalen Krieg zerstückelt, mit Hunderttausenden von Toten, Millionen von Vertriebenen und großen Zerstörungen. Und Bosnien und Herzegowina ist auch mehr als zwanzig Jahren nach dem Kriegsende ein armes, dysfunktionales und innerlich zutiefst zerstrittenes Land. Die Nationalbibliothek von Sarajevo ist inzwischen wieder aufgebaut, die im dem Kriegsinferno verbrannten Bücher und historischen Dokumente sind aber für immer verschwunden.

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