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Tschernobyl in Unterfranken

16. März 2006

1987, ein Jahr nach Tschernobyl, verarbeitete Gudrun Pausewang die Ängste der Menschen vor einer Atomkatastrophe in einem Roman. Jetzt, 20 Jahre nach dem Reaktor-Unglück in der Ukraine, gibt's die Verfilmung dazu.

Paula Kalenberg als HannahBild: Concorde

Alles ist abgeriegelt. Bauzäune versperren den Weg in eine Landschaft, die einmal idyllisch war. Der Mais auf dem Feld knickt ungeerntet ein. Schilder warnen: "Vorsicht, Strahlengefahr!" Monate sind vergangen seit dem Atomunfall, seit die radioaktive Wolke übers Land zog. Doch die Häuser, die Dörfer, die Städte, sie werden für Jahrzehnte unbewohnbar sein. Dies ist nicht Tschernobyl, weit weg in der Ukraine. Dies ist Unterfranken, Deutschland. Dies war Unterfranken - zwar nur im Film, aber dennoch: "Die Wolke" bringt die möglichen Folgen eines atomaren Super-GAU erschreckend real auf die Leinwand.

Szenenbild aus "Die Wolke"Bild: Concorde

Im Mittelpunkt steht die 16 Jahre alte Hannah (Paula Kalenberg). Als in ihrer Schule im osthessischen Städtchen Schlitz die Sirenen heulen, nimmt das zunächst kaum jemand ernst. Doch es endet in der Katastrophe. Schnell wird klar: Dies war kein Probealarm. In einem Atomkraftwerk bei Schweinfurt hat es einen Störfall gegeben, Radioaktivität tritt aus - der Super-GAU. 38.000 Menschen im näheren Umland des Meilers sind wenig später tot. Im weiteren Umkreis macht den Menschen jeder Windhauch Angst, jeder Tropfen Wasser ist verdächtig, verseucht zu sein. Panik bricht aus, jegliche Ordnung löst sich auf. Für Zigtausende beginnt die Flucht vor "der Wolke".

Eindeutige Stellungnahme gegen die Atomkraft

Franz Dinda als ElmarBild: Concorde

Viele Kinobesucher wird das an Gudrun Pausewangs gleichnamigen Roman erinnern. Tatsächlich basiert der Film auf dem erfolgreichen Jugendbuch der 1980er-Jahre, das noch heute in mancher Schule gelesen wird. Pausewang hatte das Buch unter dem Eindruck von Tschernobyl geschrieben, rechtzeitig zum 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe im April 2006 kommt nun der Film. "Jugendliche haben das Recht, über Atomkraft Bescheid zu wissen", sagte die inzwischen 78 Jahre alte Pausewang bei der Premiere am 7. März in München. "Ich möchte da nicht stumm bleiben."

Regisseur Gregor Schnitzler, die Autorin Gudrun Pausewang und die Schauspieler bei der Premiere in München.Bild: Picture-Alliance / dpa

Und so ist der Film wie das Buch eine eindeutige Stellungnahme gegen die Atomkraft, jedoch ohne erhobenen Zeigefinger. Die Geschichte selbst ist erschütternd genug. Der Super-GAU ist nicht bloß irgendein verwackeltes Fernsehbild, gedreht aus irgendeinem Helikopter über dem explodierten Block 4 im fernen Tschernobyl. Der GAU zerstört das beschauliche Leben hinter deutschen Fachwerkfassaden. Hannahs Bruder wird auf der Flucht von einem davonrasenden Auto überfahren, die Schülerin selbst wird verstrahlt.

Spannung, die nachdenklich macht

"Gehen Sie davon aus, dass wir von jetzt an Dritte Welt sind", hört Hannah einen Arzt sagen, als sie in einer Krankenstation für Strahlenopfer wieder zu sich kommt. Doch die Politiker beschwichtigen, viele Menschen verdrängen, gesunde Bürger grenzen die kahlköpfigen Strahlenkranken aus. Der rote Faden in all dem Chaos ist die Liebesgeschichte Hannahs und ihres gesunden Mitschülers Elmar (Franz Dinda) - zu der es im Buch nicht kommt. Doch die junge Liebe muss harte Proben bestehen.

Bedrohliches Szenario: "Die Wolke"Bild: DW-TV

"Die Wolke" beginnt mit viel Tempo und Dramatik und geht - jederzeit spannend - weiter mit viel Gefühl, Liebe wie Leid. Ein Film, der in seiner präzisen Inszenierung nachdenklich macht, auch ohne die Schlusseinstellung, die dann doch etwas von einem erhobenen Zeigefinger hat. Dass in Deutschland noch 18 Atomkraftwerke stehen, wird dem Zuschauer da erklärt. Und dass es 2004 dort 114 meldepflichtige Störfälle gegeben habe. Es ist gerade die Stärke des Films, auf unbekannte, aber überzeugende Gesichter zu setzen. Gerade dadurch ist "Die Wolke" einer der seltenen, wirklich gelungenen deutschen Filme, die sich und ihre Figuren ernst nehmen, ohne dabei gleich wehleidig oder melodramatisch zu werden. (wga)