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Politik

Tschernobyl-Schutzhülle noch nicht fertig

Oleh Klymchuk mo
26. April 2018

Die neue Schutzhülle über dem havarierten AKW Tschernobyl steht seit 2016, ist aber immer noch nicht betriebsbereit. Was sind die Gründe und welche Risiken sind mit der Verzögerung verbunden?

Ukraine Sarkophag für Tschernobyl
Bild: picture alliance/dpa/EBRD Photostream

Im November 2016 schien es, als sei man am Ziel. Über den "Sarkophag aus Beton", unter dem sich seit 1986 der von einer Explosion zerstörte vierte Reaktorblock des stillgelegten ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl befindet, wurde eine neue, hundert Meter hohe Schutzhülle geschoben. Über das Ereignis berichteten damals fast alle Medien der Welt.

Die Hülle in Form eines gewaltigen Bogens soll den alten Sarkophag vor Regen, Schnee und Wind schützen und in Zukunft den Rückbau des havarierten Reaktorblocks ermöglichen. Für das Projekt hatte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 2,1 Milliarden Euro bereitgestellt. Doch anderthalb Jahre später bestätigt die ukrainische Atomaufsichtsbehörde, dass die neue Schutzhülle noch gar nicht "in Betrieb genommen" worden ist.

Was bedeutet "Inbetriebnahme"?

Atomaufseherin Rybalka: "Noch lange nicht am Ende"Bild: DW/O. Klimtschuk

Natalia Rybalka leitet in der Kiewer Behörde die Abteilung für Entsorgung radioaktiver Abfälle. Im Gespräch mit der DW sagte sie, als die neue sichere Schutzhülle errichtet wurde, hätten viele gedacht, dass damit das Projekt abgeschlossen sei. "Aber wir sind noch lange nicht am Ende der Arbeit", betonte sie.

Für einen sicheren Betrieb der Schutzhülle müsse noch viel Technik eingebaut werden: Belüftungssysteme, Kräne für den zukünftigen Rückbau des alten Sarkophags, automatisierte Systeme zur Überwachung der radioaktiven Strahlung und Temperatur, Stromkabel für die ganze Technik, Leitungen zur Entwässerung, Schutzvorrichtungen gegen Blitzeinschlag, ein Brandschutzsystem sowie einige andere Anlagen. Erst dann könne man, so Rybalka, von einer Inbetriebnahme der Schutzhülle sprechen.

Ingenieurin Suschko: "Strahlung höher als gedacht"Bild: DW/O. Klimtschuk

Dass all die technischen Anlagen innerhalb der Schutzhülle noch nicht betriebsbereit seien, wirke sich nicht auf die Sicherheit des gesamten Objekts aus, versichert Tamara Suschko, eine Kollegin von Natalia Rybalka bei der ukrainischen Atomaufsicht. Unter der Schutzhülle würden noch alle Kontrollsysteme funktionieren, die früher installiert worden seien, um den Zustand des alten Sarkophags zu beobachten. "Im Kraftwerk Tschernobyl wird Sicherheit sehr ernst genommen", sagt die Ingenieurin. Überwacht würden die Baukonstruktionen, die radioaktive Strahlung sowie die seismische Lage. "Die neue Technik unter der Schutzhülle wird dann beim Rückbau des Sarkophags Messdaten liefern", so Suschko.

Umweltschützer haben Bedenken

Laut der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde hat die neue Schutzhülle aber schon jetzt positive Veränderungen gebracht. Die radioaktive Strahlung sei rund um das ehemalige Kraftwerk zurückgegangen. Auch würden keine Niederschläge mehr durch Risse ins Innere des alten Sarkophags eindringen. Das verhindere, dass radioaktive Flüssigkeiten entstehen. Zudem würde der Wind keinen strahlenden Staub mehr aufwirbeln.

Umweltaktivistin Holowko: "Instabile Bauteile"Bild: DW/O. Klimtschuk

Die Umweltschützerin Iryna Holowko von der ukrainischen Nichtregierungsorganisation "Ekodia" (Ecoaction) teilt diesen Optimismus nicht ganz. Zwar seien die Stützen des alten Sarkophags unter der neuen Schutzhülle verstärkt worden, doch ein Einsturz könne nicht völlig ausgeschlossen werden. "Sollten instabile Bauteile des Sarkophags kollabieren, wird radioaktiver Staub aufgewirbelt. Die Schutzhülle wird ihn teilweise aufhalten. Da aber die Belüftungssysteme noch nicht funktionieren, könnte Strahlung aus der Schutzhülle entweichen", sagte Holowko der DW und fügte hinzu, dass ihre Organisation leider keinen Zugang zu genaueren Informationen habe. "Aber wir wissen, dass es dort instabile Bauteile gibt", so die Aktivistin.

Strahlung bremst die Arbeiten

Tamara Suschko von der ukrainischen Atomaufsicht sagt, dass die Arbeiten unter der Schutzhülle vor allem durch hohe Strahlung behindert werden. An den Wänden des Sarkophags, an denen die Schutzhülle befestigt ist, seien die Werte sehr hoch. Menschen dürften sich dort nicht lange aufhalten. "Vor Beginn der Arbeiten wird jedes Mal die Ionenstrahlung kontrolliert, aber an manchen Stellen ist sie höher als gedacht", sagt die Expertin. In diesen Fällen müssten die Arbeitsbedingungen der Strahlung angepasst und entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden. "Und das braucht Zeit", so Suschko.

Alter Sarkophag vor Errichtung der neuen Schutzhülle (2006): Noch funktionieren die alten KontrollsystemeBild: picture-alliance / dpa

In gefährlichen Bereichen des Sarkophags darf nur zehn bis 30 Minuten gearbeitet werden. An manchen Stellen können Arbeiter aber bis zu einer Stunde eingesetzt werden. Im AKW Tschernobyl ist nach Angaben der Atomaufsicht eine jährliche Strahlendosis von 14 Millisievert (mSv) erlaubt. Die ukrainischen Gesetze ermöglichen, in einigen Fällen in Absprache mit dem Gesundheitsministerium, die Zulassung einer höheren Strahlendosis. "Für einen Teil des Personals gelten daher heute individuelle zulässige Dosen von bis zu 30 bis 35 mSv pro Jahr", so Atomaufseherin Rybalka.

Auf der Suche nach Personal

Umweltaktivistin Holowko, weist darauf hin, dass "bei hoher Strahlung die Arbeiter öfter gewechselt werden müssen". Anfang dieses Jahres habe es nicht genug Personal gegeben, um die Arbeiten an der Schutzhülle abzuschließen. Daher sei die Inbetriebnahme des Objekts erneut verschoben worden.

Im März wurde auf einer Sitzung des gesellschaftlichen Rates bei der Atomaufsichtsbehörde der Ukraine bekannt, dass das internationale Konsortium "Novarka", das zum Bau der neuen Schutzhülle gegründet wurde, zusätzliches Personal sucht. Tamara Suschko von der ukrainischen Atomaufsicht geht aber trotzdem nicht davon aus, dass die Schutzhülle in den vorgesehenen Fristen in Betrieb genommen wird. "Das war für Ende Mai geplant", so die Ingenieurin. Ihr zufolge wird inzwischen mit einem Abschluss der Arbeiten im September oder sogar Ende dieses Jahres gerechnet.

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