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Politik

Sorge um Menschenrechtler in Tschetschenien

Roman Goncharenko | Mikhail Bushuev
10. Januar 2018

In der russischen Teilrepublik ist der Büro-Leiter der renommierten Menschenrechtsorganisation Memorial festgenommen. Die Vorwürfe gegen ihn könnten konstruiert sein. Kollegen vermuten Einschüchterung als Ziel.

Russland Demonstration in Grosny
Die tschetschenische Hauptstadt GrosnyBild: picture-alliance/dpa/A. Podgaiko

Ojub Titijew war unterwegs zu einem Treffen außerhalb der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, als sein Lada Kalina am frühen Dienstagmorgen von der Polizei angehalten wurde. Bei der Durchsuchung habe man ein Paket mit rund 180 Gramm einer Substanz "mit spezifischem Marihuana-Geruch" gefunden, so die Darstellung der Polizei. Der 60-jährige Titijew, Leiter des Büros der renommierten Menschenrechtsorganisation Memorial in Tschetschenien, wurde festgenommen und ist nach wie vor in Haft.

Kollegen befürchten fabriziertes Verfahren

In der Moskauer Memorial-Zentrale schlugen seine Kollegen sofort Alarm und kontaktierten die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatiana Moskalkowa und den Leiter des präsidialen Menschenrechtsrates Michail Fedotow. Dieser forderte am Mittwoch die russische Ermittlungsbehörde SKR auf, zu prüfen, ob das Rauschgift dem Menschenrechtler vielleicht untergeschoben worden war.

Auch im Ausland gibt es Besorgnis. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muiznieks sagte, Titijew werde "unter fragwürdigen Vorwürfen strafrechtlich verfolgt". Er appellierte an Russland, den Menschenrechtler sofort freizulassen. Eine Sprecherin der deutschen Bundesregierung sagte auf DW-Nachfrage, die Vorwürfe "sollten in einem transparenten und rechtsstaatlichen Verfahren behandelt werden". Berlin sei besorgt und beobachte die weitere Entwicklung.

"Wir befürchten, dass ein Verfahren konstruiert wird und Titijew etwas Widerrechtliches untergeschoben wird", sagte Alexander Tscherkassow von Memorial in Moskau. Auch die russische Zeitung "Nowaja Gaseta" schreibt, dem Menschenrechtler solle in einem manipulierten Verfahren die Aufbewahrung von Rauschgift vorgeworfen werden.

Memorial, 1988 gegründet, setzt sich für die Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft und Menschenrechte einBild: DW/V. Izotov

Eine der wenigen kritischen Stimmen

Jekaterina Sokirjanskaja, die sich ebenfalls bei Memorial engagiert und die russische Vertretung der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group leitet, hält die Vorwürfe für "absurd und provokat". Sie kennt Titijew persönlich und ist fest überzeugt, dass der Menschenrechtler nichts mit Drogen zu tun hat. "Das ist eine Kampfansage und eine Einschüchterungsmethode", so Sokirjanskaja.

Titijew hatte die Leitung des Memorial-Büros in Tschetschenien im Jahr 2009 nach der Ermordung seiner Vorgängerin Natalia Estemirowa übernommen. Immer wieder sorgt die prekäre Menschenrechtslage in Tschetschenien auch im Ausland für Aufsehen - wie etwa Berichte über die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen im vergangenen Jahr.

Memorial ist wohl die letzte einflussreiche Menschenrechtsorganisation, die in der Nordkaukasus-Republik trotz wachsenden Drucks noch aktiv ist. Eine andere NGO, das Komitee gegen Folter, fuhr 2015 nach wiederholten Angriffen und einem Brandanschlag auf ihr Büro ihre Arbeit in Tschetschenien zurück.

Rache für Instagram-Sperrung?

Ein möglicher Grund für das Verfahren gegen Titijew seien die jüngsten US-Sanktionen gegen den tschetschenischen Republikchef Ramsan Kadyrow, dem Menschenrechtler eine brutale Willkürherrschaft vorwerfen, vermutet Memorial-Aktivistin Sokirjanskaja. Das Finanzministerium in Washington hatte Ende Dezember mitgeteilt, Kadyrow sei auf die so genannte "Magnitsky-Liste" gesetzt worden. Der "Magnitzky Act" ist ein US-Gesetz aus dem Jahr 2012, benannt nach dem russischen Anwalt Sergej Magnitsky, der ein Kämpfer gegen Korruption war und in Untersuchungshaft ums Leben kam. Auf die Magnitsky-Liste setzt die US-Regierung russische Politiker und Staatsbeamte, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein sollen. Sie werden mit Kontosperrungen und Einreiseverboten belegt.

Genießt mächtige Unterstützung: Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow (r.) mit Russlands Präsident Vladimir PutinBild: Imago/Russian Look

Eine weitere Folge der jüngsten US-Sanktionen ist die Sperrung von Kadyrows Accounts bei Facebook und Instagram. Sokirjanskaja meint, das sei ein "schwerer Schlag" für Tschetscheniens-Präsidenten, der dort täglich seine Fotos veröffentlichte. Doch Kadyrow nutzte soziale Netzwerke auch zur Einschüchterung. So hatte er Anfang 2016 ein Video auf Instagram publiziert, in dem die russischen Oppositionspolitiker Michail Kassjanow und Wladimir Kara-Mursa durch ein auf sie angesetztes Zielfernrohr gezeigt wurden.

Kadyrow sei in letzter Zeit als russischer Politiker noch mächtiger geworden, glaubt Sokirjanskaja. Menschen wie Titijew seien für ihn offenbar ein Störfaktor.

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