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Wer gewinnt, wer verliert?

Johanna Schmeller14. Juli 2014

Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU geht in eine fünftägige Verhandlungsrunde. Doch die Sieger eines solchen Abkommens stehen schon jetzt fest - und die Verlierer auch.

Flaggen USA und EU
Bild: picture-alliance/dpa

Ein bleiches Lächeln in einer weiß-schwarzen Fratze: Mit der Anti-Acta-Bewegung wurde die Maske des irischen Widerstandskämpfers Guy Fawkes zum internationalen Symbol. Menschen skandieren in den Straßen Parolen gegen Bankenmacht und Wirtschaftsliberalisierung im Allgemeinen, gegen ein multilaterales Handelsabkommen im Besonderen, kurz: gegen ACTA, lang: gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, zu deutsch: gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen. Die Proteste enden in Zeltlagern, Blokaden und Unruhen. Die EU-Kommission spricht von einer Kampagne, Kritiker greifen die Informationspolitik der EU an.

ACTA, TTIP, TiSA, GATS

Keine zwei Jahre später führen neue, weniger sprechbare Buchstabenkombinationen zwar zu Schlagzeilen und Dissonanzen, doch nicht zu Krawallen: Eine lautet TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership, eine Freihandelszone, die seit Sommer 2013 zwischen den USA und Europa verhandelt wird. Eine weitere ist TiSa, das Trade in Services Agreement, das den Dienstleistungsbereich erfasst. TiSa, der Nachfolger von GATS, dem General Agreement on Trade in Services der WTO, der Welthandelsorganisation.

Kritiker werfen beiden Abkommen vor, dass sie einen Wettlauf in Gang setzen, bei dem es darum geht, Sozialstandards abzubauen. Roland Süß, Handelsexperte des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, kritisiert, dass sich unter der Harmonisierung der Handelshemnisse verberge, dass "viele Standards - Umweltstandards, Sozialstandards und andere Bereiche - bedroht sind".

Bild: dapd

Geheimverhandlungen oder Transparenz?

Im Einzelnen könne man allerdings noch nicht definieren, an welchem Passus es hake, "weil die ganzen Verhandlungen immer noch geheim sind." Süß zieht den vergleich mit ACTA: "Auch dort sind die Verhandlungen zunächst einmal geheim gelaufen. Nachdem diese Informationen dann doch öffentlich gemacht worden sind, gab es viele Menschen, die sich diese Unterlagen angeschaut und viele Fallstricke festgestellt haben." Daher sei es nötig, dass "sich gesellschaftliche Gruppen, die sich in verschiedenen Bereichen auskennen, solche Verhandlungen genau anschauen, um die Risiken festzustellen."

Zudem kritisiert Attac, dass "Lobbyorganisation und Konzerne durchaus sehr intensiv in die Verhandlungen eingebunden" seien, während die "Parlamente ihre Informationen nur stückweise" bekämen. Er befürchtet - gerade beim Dienstleistungsabkommen TiSa - eine Verschlechterung der Sozialstandards, die dann anderen Ländern "aufgezwungen" würden. "Es können eigentlich nur große Konzerne profitieren", sagt Süß, "die Menschen haben eher Nachteile."

Die EU-Komission weist den Vorwurf der Geheimhaltung entschieden zurück. Die Verhandlungen würden nicht im Geheimen geführt, so Reinhard Hönighaus von der Vertretung der Europäischen Komission in Berlin: "Wir verhandeln so transparent wie noch nie bei einem Handelsabkommen zuvor. Es gibt sehr ausführliche Positionspapiere zu den wesentlichen Verhandlungsbereichen, was wir als Europäer bei diesem Abkommen erreichen wollen." Die seien ziemlich detailliert für verschiedene Sektoren wie Chemie, Textilsektor, Pharmasektor, Automobilsektor. "Natürlich veröffentlichen wir nicht die einzelnen Verhandlungstexte, und auch Verhandlungen finden natürlich nicht vor laufenden Kameras statt. Wenn man all seine Rückzugspositionen, seine roten Linien sofort offen legt, kann man ja keine Verhandlung führen."

Gewinner schaffen Verlierer

Weitgehend unstrittig ist, dass beide Abkommen das Handelsgleichgewicht der Welt verschieben. "Von dem Transatlantischen Freihandelsabkommen profitieren die USA und alle EU-Länder in Form von mehr Beschäftigung und höherem Bruttoinlandsprodukt je Einwohner", sagt Thieß Petersen, Globalisierungsexperte der Bertelsmann-Stiftung. "Der Rest der Welt hat Nachteile."

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie durchgeführt, die die volkswirtschaftlichen Aspekte des Freihandelsabkommen TTIP für einzelne Nationen quantifiziert. Dafür wurden die durchschnittlichen Wachstums- und Beschäftigungseffekte der bestehenden rund 350 Freihandelsabkommen statistisch ausgewertet. Auf der Gewinner-Seite ganz oben: die USA.

"Dort wird das langfristige Bruttoinlandsprodukt je Einwohner um ungefähr 14 Prozent zunehmen", so Petersen. Auf Platz zwei liege Großbritannien. Die EU werde den Berechnungen zufolge um fünf Prozent zulegen. Der "große Verlierer" sei Kanada. "Dort sagen unsere Berechnungen, dass das langfristige reale Bruttoinlandsprodukt je Einwohner um 9,5 Prozent zurückgeht, in Australien um 7,4 Prozent, in Mexiko um 7,2 Prozent" - also jene Länder, die derzeit intensive bilaterale Handelbeziehungen mit den USA und Europa unterhalten. Kanada könne diesen Einbruch verkraften, die lateinamerikanischen und asiatischen Staaten regionale Bündnisse schließen - ähnlich dem Mercosur.

Anders sieht die Situation für die Länder in Nord- und Westafrika aus: "Sie können dann weniger in die EU exportieren, und aufgrund der geografischen Lage fehlen Alternativen", so Petersen, sodass "in Schwellen- oder Entwicklungsländern, die nicht über solche soziale Sicherungssysteme verfügen, natürlich ganz andere Anpassungskosten hervorgerufen werden als in Industriestaaten." Ob die EU und die USA diese Nachteile auf freiwilliger Basis ausgleichen, bliebe abzuwarten.

Die Kommission argumentiert mit dem Werteerhalt: "Wenn wir nach wie vor finden, dass unsere Werte und unsere Standards zählen sollten und auch globale Geltung haben sollen, dann müssen wir uns mit den Amerikanern zusammentun", sagt Hönighaus, "die Amerikaner sind nun mal der Partner mit dem wir die größten Schnittmengen haben." Ziel sei kein Bollwerk, kein Handelsblock: "Das Gegenteil ist die Absicht - und ich denke auch, die Folge."

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