Tuareg im Niger
11. Dezember 2012Die Erde ist schwer und immer noch schlammig. Sie klebt an der Hacke, mit der Mohammed Kouda den Boden lockern will. Er und sein Bruder Kola sind zu Aufräumarbeiten in ihren Garten gekommen, denn eine schwere Überschwemmung hat ihn verwüstet Die beiden Brüder sind Angehörige des Tuareg-Stamms und leben in dem Dorf Iferouane, im Air-Gebirge im Norden Nigers. Wenn es noch einmal regnet, könnte seine ganze Ernte verloren gehen, fürchtet Kouda. Das wäre nicht das erste Mal: Infolge des Klimawandels wechseln sich Dürre und Überschwemmungen ab, immer öfter bleiben die Erträge aus.
Es ist Mohammed Kouda nicht leicht gefallen, sich dennoch für das Leben als Bauer zu entscheiden. Der 40-Jährige hat bei beiden Rebellionen der Tuareg im Niger mitgekämpft. Nach einem Waffenstillstand gab er 2009 seine Kalaschnikow ab. Die Regierung hatte ihm und 4000 anderen Tuareg-Rebellen eine Zukunft in Frieden versprochen. Das aber sei ein leeres Versprechen gewesen, sagt Kouda heute. "Wir haben nichts bekommen.“ Er selbst habe immerhin den Garten gehabt. Aber: "90 Prozent der ehemaligen Kämpfer haben nichts. Wir alle überleben irgendwie, aber einfach ist das nicht.“
Angst vor dem Brandherd des Nachbarn
Trotz seiner Unzufriedenheit glaubt Kouda nicht mehr an den Sinn bewaffneter Aufstände: Sie änderten nichts, sagt er, stattdessen zahle die Bevölkerung jedes Mal einen hohen Preis. Heute hat der ehemalige Kämpfer Angst, dass die Menschen auch im Niger wieder rebellieren könnten. "Das ist eine reale Gefahr", warnt er. "Denn der Niger ist von politisch instabilen Ländern umgeben." Kouda zählt auf: Libyen im Norden, Mali im Westen, Nigeria mit der islamistischen Sekte Boko Haram im Süden. "Das hat natürlich einen Einfluss auf die Situation bei uns." Seit dem Zusammenbruch des Regimes von Muammar al-Gaddafi zirkulieren in der Region jede Menge Waffen. "Es ist ganz einfach, sich eine zu beschaffen." Die nigrische Regierung müsse diese Gefahr endlich ernst nehmen, drängt Kouda. "Denn es gibt bei uns viele junge Männer, die keine Arbeit haben, aber im Umgang mit Waffen geübt sind. Die Regierung tut bisher nichts für sie."
Aufklären statt aufhetzen
Tags drauf ist Kouda in seinem Dorf Iferouane unterwegs: Gemeinsam mit vielen anderen Bewohnern findet er sich auf dem Dorfplatz ein, wo eine Mischung aus traditioneller und moderner Musik aus Lautsprechern über den staubigen Dorfplatz scheppert. Die nigrische Hilfsorganisation HED Tamat hat zu dieser Versammlung, die sie "Forum für Frieden und Entwicklung“ nennt, geladen. Die Abkürzung HED steht für "Homme Environnement Développement“, auf Deutsch "Mensch Umwelt Entwicklung“. HED Tamat organisiert solche Foren derzeit in elf größeren Siedlungen der Tuareg im Norden von Niger. "Wir hatten die Idee für diese Friedensforen, weil wir keine Wiederholung der Tuareg-Rebellionen wollen, wie es sie 2007 im Niger gab“, erklärt Mano Aghali, der die Hilfsorganisation leitet und für seine Arbeit auch Geld von der Nicht-Regierungsorganisation Care Deutschland / Luxemburg und dem deutschen Auswärtigen Amt bekommt. "Wir wollen mit diesen Veranstaltungen dazu beitragen, dass uns eine weitere Rebellion erspart bleibt.“
Die leeren Versprechen der Islamisten
Aghali war in den 90er Jahren beim ersten Aufstand des Nomadenvolkes dabei: Er gehörte zum politischen Flügel der Rebellen. Später studierte er Wirtschaftswissenschaften, ging in die Politik und war ein paar Jahre lang Parlamentarier. Als die Tuareg in Mali und im Niger 2007 noch einmal zu den Waffen griffen, machte Aghali nicht mehr mit: Er glaubt heute an politische statt an militärische Lösungen.
Auf dem Podium des Friedensforums in Iferouane sitzt auch Rhizza Ag Boula. Er hat bei beiden bisherigen Tuareg-Rebellionen im Niger gekämpft, heute ist er Berater des nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou. Rhizza warnt die jungen Männer des Dorfes vor den Islamisten im benachbarten Mali. "Lasst Euch auf keine Abenteuer ein“, sagt er. "Auch wenn euch die bewaffneten islamistischen Gruppen mit Geld locken - am Ende unterwerfen sie euch mit Gewalt.“ Das Publikum hört ihm aufmerksam zu. Der ehemalige Rebell Mohammed Kouda und viele seiner früheren Kollegen haben die Botschaft längst verstanden: Sie wollen um jeden Preis verhindert, dass im Niger ein weiterer Krieg beginnt.