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Tuberkulose: Der Kampf gegen den Killer geht weiter

Das Gespräch führte Danuta Szarek18. September 2006

Im Herbst wird eine deutsch-russische Vereinigung zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten gegründet. DW-WORLD sprach mit dem designiertem Sektionsleiter Timo Ulrichs über den Kampf gegen die Tuberkulose.

Tuberkulöse Lunge im Maßstab 700:1.Bild: dpa

DW-WORLD.DE: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden in den nächsten zehn Jahren rund 30 Millionen Menschen weltweit an Tuberkulose sterben - ein Horrorszenario. Erfährt die Krankheit in der Öffentlichkeit die angemessene Aufmerksamkeit?

Timo Ulrichs: Nein, die öffentliche Wahrnehmung und die Bedeutung von Infektionskrankheiten wie TBC verhalten sich sogar meist umgekehrt proportional zueinander. Das hat man am Beispiel Rinderwahnsinn gesehen: Hier gab es ein großes Medien-Tamtam, aber wenig Erkrankungen. Bei der Tuberkulose ist es genau umgekehrt: Weltweit ist jeder Dritte mit Tuberkulose-Erregern infiziert - das sind etwa zwei Milliarden Menschen insgesamt -, aber dafür gibt es kein allgemeines Bewusstsein. Dabei gehört die Tuberkulose (TBC) zu den drei großen Killern weltweit - neben HIV und Malaria.

Welche Gebiete sind heutzutage am meisten von der Tuberkulose betroffen?

Da gibt es zwei große Regionen, die uns am meisten Probleme machen: Zum einen sind das afrikanische Länder, vor allem südlich der Sahara. Dort kommt zu der hohen Tuberkuloserate auch noch eine hohe HIV-Rate hinzu. Diese Krankheiten begünstigen einander. Zum anderen sind auch Ostasien, Russland und Osteuropa stark von TBC betroffen. Dort ist die Tuberkulose lange unzureichend behandelt worden, so dass mittlerweile viele Resistenzen bei den Tuberkulose-Erregern aufgetaucht sind. Und diese Stämme breiten sich von Asien nach Osteuropa aus. Vor kurzem hat sogar einer der so genannten "extrem multi-resistenten Stämme", die gegen fast alle Medikamente resistent sind, von Asien aus den Weg nach Südafrika gefunden und dort 53 HIV-Patienten angesteckt. 50 von ihnen sind gestorben.

Obwohl die Krankheit kein neues Phänomen ist, gibt es bis heute keinen echten Impfstoff dagegen. Woran liegt das?

Dr. Timo Ulrichs

Es gibt den Impfstoff BCG, für den aber ein Effekt gegen Tuberkulose bei Erwachsenen nicht nachgewiesen ist. Deshalb wird er in Deutschland nicht mehr empfohlen.
Bei der Entwicklung neuer Impfstoffe gibt es vor allem eine Schwierigkeit: genau zu verstehen, wie der Erreger sich im Körper einnistet. Er hat da nämlich ein ganz geschicktes System, sich über Jahre hinweg im Körper unsichtbar zu machen, indem er seinen eigenen Stoffwechsel herunterfährt. Er sitzt sogar im Immunsystem selbst. Einen Impfstoff dagegen herzustellen, würde bedeuten, das Immunsystem so zu trainieren, dass es in der Lage ist, solche "intrazellulären", also in den Zellen vorkommenden Erreger, zu erkennen und abzutöten.
Weil eine Infektion mit TBC außerdem den Körper nicht davor bewahrt, von einem weiteren Tuberkulose-Erreger befallen zu werden, müsste der Impfstoff besser schützen als die natürliche Infektion. Das ist keine leichte Aufgabe.

In Dritte-Welt-Ländern ist die Tuberkulose viel stärker verbreitet als in Industrienationen. Sind die westlichen Medikamente für die Menschen dort zu teuer?

Nein, die WHO gibt die Medikamente sogar kostenlos ab. Sie erwartet dafür aber eine gewisse Vorarbeit: Es muss sichergestellt sein, dass die Tuberkulose-Diagnostik in diesem Land funktioniert. Das heißt, dass die Medikamente nicht aufs Geratewohl, sondern in richtiger Kombination über mehrere Monate hinweg verabreicht werden. Die WHO hat dafür ein eigenes Programm mit der Abkürzung DOTS entwickelt. Das steht für "directly-observed therapy short course", also "direkt beobachtete Therapie". Länder, die dieses Programm aus Diagnose und überwachter Therapie komplett übernommen haben, bekommen die Medikamente von der WHO. Die Qualitätskontrolle der Diagnostik erfolgt in nationalen und supranationalen Diagnostiklaboren, so genannten "Referenzzentren". Ein zusätzliches Komitee entscheidet dann, ob das Land auch die Medikamente bekommt, die als zweite Therapiestufe verwendet werden - die sind wesentlich teurer. Dieses Vorgehen zeigt dann aber auch sehr gute Erfolge. In Ghana zum Beispiel ist sowohl die Zahl der Erkrankungsfälle als auch die Zahl der resistenten Erreger durch das DOTS-Programm stark zurückgegangen.

Warum ist die Tuberkulose vor allem auch in Osteuropa so weit verbreitet?

Bei den baltischen Staaten hat das damit zu tun, dass dort auch die HIV-Rate mit rund einem Prozent sehr hoch ist. Diese Länder haben keine große Bevölkerung, aber einen hohen Austausch, auch zu Westeuropa. Seit den 90er Jahren hat dort die HIV-Rate rasant zugenommen, aber die Anstrengungen, das in den Griff zu bekommen, sind groß - durch hervorragende Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer Ebene und der WHO. Und da HIV und Tuberkulose oft miteinander einhergehen, kann man im Zuge der AIDS-Bekämpfung auch die Tuberkulose behandeln.
In Russland ist das Bild relativ heterogen:In manchen Regionen ist die Tuberkulose sehr gut im Griff, an der Grenze zu den zentralasiatischen Staaten und der Mongolei hingegen noch sehr verbreitet. Die TBC-Rate wird in Russland jeweils getrennt für die Bevölkerung und die Gefängnisse berechnet - insgesamt ist die Zahl jetzt aber zum ersten Mal langsam rückläufig.

Als weltweit erste bilaterale Vereinigung zur interdisziplinären Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten wird demnächst das "Koch-Metschnikow-Forum" gegründet - mit Ihnen als Leiter der Sektion "Tuberkulose". Warum gerade Russland als Kooperationspartner?

Der Anstoß für das Forum hat unmittelbar mit der Bekämpfung von Tuberkulose zu tun: Im Jahr 2001 hat das Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, bei dem ich zu der Zeit tätig war, das zentrale TBC-Forschungsinstitut in Moskau kontaktiert. In Russland werden Patienten mit ausgedehnter Lungentuberkulose operiert, um die Erregerlast zu senken. Dabei entnehmen die Ärzte die von der Krankheit befallenen Organteile - und die waren für unsere TBC-Forschung von großem Interesse. In den Jahren darauf haben wir die Zusammenarbeit, vor allem in Richtung mikrobiologischer und epidemologischer Fragestellungen, ausgebaut - und schließlich beschlossen, die deutsch-russische Zusammenarbeit von Ärzten und Wissenschaftlern in einem "Forum" zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu konzentrieren.

Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten steht nicht nur auf der Agenda des Forums, sondern auch auf der Tagesordnung der G8-Konferenz, die am Montag (18.9.2006) stattfindet. Was können die Industrienationen, die selbst verhältnismäßig schwach von der Tuberkulose betroffen sind, im Kampf gegen TBC bewirken?

Sie können etwas bewirken, wenn sie sich konkret zur Hilfe entschließen. Vor allem dann, wenn sie der Forschung Geld zur Verfügung stellen, aber auch durch ihr Expertenwissen, ihr technisches Know-how - und die Fähigkeit, internationale Netzwerke auszubauen und anzuleiten.


Dr. Timo Ulrichs, Jahrgang 1971, studierte Humanmedizin in Marburg und Berlin und ist Facharzt für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Nach seiner Arbeit als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin forschte er zwei Jahre in den USA. Im Jahr 2001 kehrte er zurück nach Berlin, seit 2004 ist er Mitglied der Russischen Akademie für Naturwissenschaften. Er wird die Abteilung Tuberkulose im "Koch-Metschnikow-Forum" leiten.

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