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Türkei: Verhaftungen wegen angeblicher Mohammed-Karikatur

1. Juli 2025

Vier Mitarbeiter des türkischen Satiremagazins LeMan wurden nach der Veröffentlichung einer mutmaßlichen Mohammed-Karikatur festgenommen. Wütende Demonstranten griffen ihr Büro an. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Im Bild der Aufmacher der Satirezeitschrift LeMan von 2017. Auf dem Bild ist der türkische Staatspräsident Erdogan zu sehen.
LeMan ist mehr als ein Satiremagazin; es ist seit 25 Jahren eine Institution der OppositionBild: Jens Meyer/AP/picture alliance

Die Veröffentlichung einer Karikatur im renommierten türkischen Satiremagazin LeMan hat in der Türkei heftige Diskussionen und Proteste ausgelöst. LeMan ist bekannt für seine regierungskritische Haltung und gerät immer wieder ins Visier der türkischen Justiz sowie von regierungsnahen islamistischen Bruderschaften. Doch worum geht es dieses Mal und warum lösen Karikaturen des Propheten Mohammed immer wieder gewaltige Proteste aus?

Was ist passiert?

LeMan veröffentlichte eine schwarz-weiße Karikatur. Sie zeigt zwei schwebende Männer mit Engelsflügeln, die sich einander vorstellen: "Selamun aleikum, ich bin Mohammed", sagt der eine. Der andere erwidert: "Aleikum salom, ich bin Moses." Im Hintergrund sind Kugelhagel und brennende Häuser zu sehen, die Gaza symbolisieren.

Die Istanbuler Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Volksverhetzung und Herabwürdigung religiöser Werte nach dem türkischen Strafgesetzbuch §216. Gegen sechs Mitarbeiter des Magazins wurden Haftbefehle erlassen, vier von ihnen wurden abgeführt. Videos, die sie barfuß und mit Handschellen auf dem Weg zum Polizeiwagen zeigen, hat der türkische Innenminister Ali Yerlikaya verbreitet. Der Minister bezeichnete die Karikatur als "abscheulich" und als "Provokation".

Vor dem Bürogebäude von LeMan knieten die wütenden islamistischen Gruppen nieder und hielten ein Gebet ab, das durchaus als Drohung verstanden werden sollBild: Ozan Kose/AFP

Konservativ-islamistische Gruppen versammelten sich nachts vor der LeMan-Redaktion, bewarfen Fenster mit Steinen und griffen auch das Café an, das als Treffpunkt der LeMan-Mitarbeiter und ihrer Fans bekannt ist. Vor dem Gebäude knieten die Demonstranten nieder und hielten ein Gebet ab, das als Drohung interpretiert werden soll. Ein islamistischer Redner sagte mit Blick auf die LeMan-Redakteure: "Dies hier ist muslimischer Boden. Entweder sie gehen oder wir. Entweder sie sterben oder wir."

LeMan stellte auf X klar, dass der in der Karikatur dargestellte Mann nicht der Prophet Mohammed sei, sondern ein unschuldig getöteter Moslem in Gaza, der eben Mohammed heiße. Schließlich sei dies der häufigste Name in der islamischen Welt. 

Was sagt die Rechtsprechung dazu?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mahnte in ähnlichen Fällen aus der Türkei, die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und öffentlicher Rechtsordnung genau zu beachten. Solange eine Tat nicht zur Gewalt anstiftet und die öffentliche Rechtsordnung nicht unmittelbar und direkt bedroht, fällt sie, einfach ausgedrückt, unter die Meinungsfreiheit. Auch türkische Gerichte betonen, dass künstlerische Freiheit, Meinungs- und Pressefreiheit abgewogen werden müssten. Nur bei Hassverbrechen, Aufruf zur Gewalt oder klarer Volksverhetzung dürfe nach §216 des türkischen Strafgesetzbuches verurteilt werden.

Nach der Veröffentlichung der angeblichen Mohammed-Karikatur versammelte sich eine wütende Gruppe vor dem Büro von LeManBild: Ozan Kose/AFP

Bis aber ein Fall vor der höchsten Instanz landet und ein zu unrecht Verurteilter seine Unschuld beweist, ist es ein langer Weg. Denn die türkische Justiz ist seit Jahren stark politisiert. Die meisten Staatsanwälte sind auf Regierungslinie.

Warum Mohammed-Karikaturen heftige Reaktionen auslösen

Laut Rauf Ceylan, Professor vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, ist die Empörung über Mohammed-Karikaturen tief verwurzelt im theologischen, historischen und politischen Diskurs. Er erklärt der DW, dass in vielen muslimischen Gesellschaften jede bildliche Darstellung des Propheten als Sakrileg empfunden wird. Der klassische sunnitische Islam verbietet die bildliche Repräsentation, damit die Verehrung nicht ins Idolhafte kippt.

"Entscheidender für die scharfen Reaktionen ist jedoch ein symbolpolitischer Mechanismus" sagt Ceylan. Es gehe um eine gefühlte kollektive Demütigung: "Die Karikaturen werden nicht als Ausdruck von Meinungsfreiheit verstanden, sondern als gezielter Angriff auf religiöse Würde, kulturelle Identität und das soziale Selbstwertgefühl muslimischer Gemeinschaften". 

Erol Önderoglu, Türkei-Vertreter von Reporter Ohne GrenzenBild: Getty Images/AFP/O. Kose

Radikalen Akteuren gelinge es, moralische Empörung in politische Mobilisierung umzuwandeln, sagt Ceylan weiter. Dies könne man auch im Fall von LeMan beobachten: Die Karikatur zeige nach Angaben der Zeichner einen getöteten Muslim, der Moses die Hand reiche - und somit eine Metapher für Solidarität. "Gleichwohl genügt die bloße Namensnennung, um eine Welle religiöser Empörung auszulösen, die durch staatliche Akteure gezielt verstärkt wurde", so Ceylan. Die vom Innenministerium veröffentlichten Videos sollten seiner Ansicht nach die Botschaft versenden: "Ihr werdet weder unserer Sicherheit, noch der Gerechtigkeit entkommen." Die Repression entfalte hier, so der Religionspädagoge, ein doppeltes Signal: Die Zeichnung sei zur Beleidigung des Islam umgedeutet worden, und die Empörung legitimiere polizeistaatliches Vorgehen gegen kritische Stimmen.

LeMans Rolle in der Türkei

LeMan ist seit 25 Jahren mehr als ein Satiremagazin; es ist eine Institution der türkischen Opposition. Mit seinen Figuren und Karikaturen wurde es zur Stimme mehrerer Generationen. LeMan-Zeichner Suat Özkan bezeichnete das Magazin in einem früheren Interview mit DW Türkisch als "Gewissen, Gedächtnis und Lächeln der Türkei". Chefredakteur Tuncay Akgün betonte: "Wir haben nie jemandem nach dem Mund geredet. Unsere Aufgabe ist Kritik - manchmal hart, aber notwendig."

Erol Önderoglu, Türkei-Vertreter von Reporter Ohne Grenzen, betont die mutige Haltung von LeMan und verurteilt das Zurschaustellen der Zeichner in Videos des Innenministeriums. Önderoglu plädiert dafür, dass auch Themen wie der Glaube eine Frage des Dialogs und der Toleranz sein sollen. "Nichts kann die Gewalt gegen ein Satiremagazin rechtfertigen", kritisiert er den Angriff auf die LeMan-Redaktion. Seiner Ansicht nach schrecke es die Meinungsfreiheit ab, wenn Ideen und Publikationen zu Glaube und Religion ständig bedroht, angegriffen und strafrechtlich verfolgt würden, ohne dass es die notwendigen Erklärungen und Aufklärungen gebe. Önderoglu fordert die Freilassung der inhaftierten Karikaturisten und die Bestrafung der Angreifer, die die LeMan-Zentrale stürmen wollten.

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