Türkei: "Samstagsmütter"-Gründerin Emine Ocak ist tot
23. Juli 2025
Die renommierte Menschenrechtlerin Emine Ocak ist im Alter von 89 Jahren verstorben. Sie war eine der unerschütterlichen Gründerinnen der "Samstagsmütter" in der Türkei, einer Initiative, die seit Mai 1995 jeden Samstag mit Mahnwachen auf das Schicksal von Angehörigen aufmerksam macht, die im Polizeigewahrsam verschwunden sind.
Emine Ocak verbrachte ihren letzten Monat auf der Intensivstation eines Istanbuler Krankenhauses. Die Nachricht ihres Todes wurde von der "Samstagsmütter"-Initiative auf X bekannt gegeben. In ihrer Erklärung schrieben sie: "Wir haben Emine Ocak verloren, die mit ihrem Mut, ihrer Beharrlichkeit und ihrer Entschlossenheit die stärkste Stimme in unserem Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit war. Wir verabschieden uns von unserer Mutter Emine am Donnerstag vom Galatasaray-Platz, wo sie 30 Jahre lang gekämpft hat."
Der Beginn von Emine Ocaks unermüdlichem Kampf lag in einer persönlichen Tragödie. Ihr Sohn Hasan wurde am 12. März 1995 nach gewaltsamen Protesten im Istanbuler Stadtteil Gazi festgenommen und verschwand anschließend spurlos. 58 lange Tage suchte die Familie verzweifelt nach ihm, bis seine Überreste schließlich auf einem Friedhof für Namenlose gefunden wurden.
Von diesem Zeitpunkt an widmete Emine Ocak ihr Leben dem Kampf für Gerechtigkeit, nicht nur für ihren eigenen Sohn, sondern auch für all die anderen Familien, die das gleiche Schicksal erlitten. Sie und andere Betroffene vernetzten sich und versammelten sich erstmals am 27. Mai 1995 auf dem berühmten Galatasaray-Platz in Istanbul. Seitdem kommen sie jeden Samstag dort zusammen - Mütter, Tanten, Schwestern, Töchter und Ehefrauen der Verschwundenen. Sie tragen Fotos ihrer Liebsten, legen rote Nelken nieder, erzählen ihre herzzerreißenden Geschichten und fordern unermüdlich Gerechtigkeit. Ihr wöchentliches Treffen gab ihnen ihren Namen: die "Samstagsmütter".
Emine Ocaks Tochter Aysel hob in einem Interview mit der DW vor einem Jahr die symbolische Bedeutung dieser Treffen für die Familien hervor: "Hier kommen wir zusammen und legen Blumen nieder. Insbesondere für Familien, die noch nicht einmal einen Grabstein zum Trauern haben, ist dieser Platz unglaublich wichtig."
In den 1990er Jahren war das so genannte Verschwindenlassen in der Türkei ein weit verbreitetes Phänomen. Regierungskritiker, Menschenrechtler, Politiker, Geschäftsleute und linke Aktivisten, besonders in kurdisch geprägten Städten, wurden häufig von Sicherheitsbeamten festgenommen und verschwanden anschließend. Von einigen wurden später Überreste entdeckt, die in Brunnen, Massengräbern oder Ölfeldern versteckt worden waren. Obduktionen zeigten, dass die Opfer brutal gefoltert und einige sogar aus Hubschraubern geworfen worden waren.
Die Verbindung zu den Müttern der Plaza de Mayo in Argentinien
Zum 1000. Protesttag der "Samstagsmütter" brachte Emine Ocak der DW gegenüber eindringlich zum Ausdruck, welche Qual die Ungewissheit für die Familien bedeutet: "Ich bin verletzt. Alle "Samstagsmütter" sind verletzt. Jeder neue Tag ist schlimmer als der vorherige, wenn man keine Gewissheit hat, keinen Grabstein, den man besuchen kann."
Nach Angaben der "Samstagsmütter", die sich inzwischen Samstagsmenschen nennen, wurden seit dem blutigen Militärputsch von 1980 mindestens 1350 Fälle von Menschen registriert, die von Polizisten, Soldaten oder Paramilitärs festgenommen wurden und anschließend spurlos verschwanden. Dies geschah hauptsächlich in den 1980er und 1990er Jahren.
Die "Samstagsmütter" erhielten wichtige Unterstützung und Inspiration von den Müttern des Platzes der Mairevolution ("Madres de Plaza de Mayo") in Argentinien. Diese Menschenrechtsorganisation sucht seit über 40 Jahren nach ihren Angehörigen, die während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verschwanden. Jeden Donnerstag versammeln sich dort Mütter und Großmütter mit weißen Kopftüchern auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens.
Die Mitbegründerin dieser argentinischen Menschenrechtsgruppe, Nora Cortiñas, die einen engen Kontakt zu Emine Ocak pflegte, verstarb im vergangenen Jahr im Alter von 94 Jahren. Auch Cortiñas' Sohn Gustavo wurde 1977 im Alter von 24 Jahren von Soldaten entführt und verschwand. Daraufhin gründete sie mit anderen Frauen die Organisation Mütter der Plaza de Mayo.
Die türkischen "Samstagsmütter" und Menschenrechtler haben angekündigt, sich diese Woche Donnerstag auf dem berühmten Galatasaray-Platz von Emine Ocak zu verabschieden, jenem Ort, an dem sie Woche für Woche jeden Samstag zusammenkamen, rote Nelken niederlegten und ihre Mahnwachen abhielten.