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PolitikNahost

Tunesien: Droht eine neue Brotrevolution?

Tarak Guizani
24. März 2022

Der Anstieg der Weizenpreise setzt die tunesische Wirtschaft unter Druck. Viele Bäcker haben aufgrund ausfallender Lieferungen ihre Geschäfte bereits geschlossen. Langfristig könnten dem Land soziale Unruhen drohen.

Tunesien I Stadt Ariana
Ein älterer Passant trägt in der nordtunesischen Stadt Ariana seine Einkäufe nach Hause, März 2020Bild: Chedly Ben Ibrahim/NurPhoto/picture alliance

Um arbeiten zu können, braucht Mohamed Al-Qamati jeden Tag mehrere Kilo Mehl. Für den Betreiber eines der vielen Sandwich-Läden in der Hauptstadt Tunis ist es der wichtigste Grundstoff seiner Produkte. Doch wie lässt sich Mehl derzeit beschaffen? Diese Frage bereitet El-Gamati derzeit Tag für Tag neues Kopfzerbrechen.

Das dünne, auf Tunesisch "Mlawi" genannte und meist mit Käse, Harissa und Eiern gefüllte Brot ist bei den Tunesiern eine beliebte Speise. Aufgrund des geringen Preises können sie sich auch Geringverdiener und Studenten leisten. Insbesondere letztere sind gute Kunden Al-Qamatis: Sein Laden liegt sich in der Nähe dreier Bildungseinrichtungen, darunter eine private Universität. Die meisten der dort eingeschriebenen Studentinnen und Studenten sind Stammkunden bei ihm.

Sorge ums Mehl: "Mlawi"-Laden in Tunis, März 2022Bild: Tarek Guizani/DW

Gerne hätte Al-Qamati seine Kunden auch weiterhin bedient. Doch mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine verschlechterte sich das Angebot auf dem Weizen-Markt. Al-Qamati konnte die notwendigen Mengen nicht mehr besorgen und sah sich an den meisten Tagen genötigt, sein Geschäft zu schießen - ihm fehlte schlicht das Mehl für das Brot. Nun droht der Engpass seine Bäckerei und damit auch das Wohlergehen seiner Familie zu bedrohen.

Nach der Pandemie die Mehlkrise

"Wir hatten die Auswirkungen von COVID-19 kaum überwunden, da kam die Mehlkrise", so Al-Qamati im DW-Gespräch. Derzeit schlage ich mich Tag für Tag durch, ohne heute zu wissen, wie es morgen weitergeht. Die Kunden wollen ein Sandwich, aber ich kann ihnen keines anbieten."

Al-Qamati gibt sein Bestes, doch die Schwierigkeiten sind enorm. Er muss die Miete für seine Bäckerei wie auch für seine Wohnung zahlen, außerdem die täglichen Ausgaben für seine dreiköpfige Familie aufbringen. "Ich suche mir einen anderen Job", sagt Al-Qamati. "Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber es muss eine Alternative her."

Brot als begehrtes Gut: Warteschlange vor einer Bäckerei in Tunis, März 2022Bild: Tarek Guizani/DW

Viele andere Mlawi-Verkäufer haben bereits aufgegeben. Einige schlossen ihre Läden ganz, um Verluste zu vermeiden. Andere hingegen schließen nur vorübergehend und beobachten nun die Marktsituation. Sie hoffen auf ein Ende des Krieges und damit eine Entspannung des Lieferengpasses.

Sorge um den gesellschaftlichen Frieden

Läuft es schlecht, könnte die Weizen-Knappheit in dem seit Jahren mit massiven Wirtschaftsproblemen kämpfenden Land auch politische Folgen haben. Sie könnte gar den gesellschaftlichen Frieden gefährden, warnte Staatspräsident Kais Saied.

Tatsächlich spielt der Brotpreis in Tunesien eine bedeutende Rolle. An ihm entzündeten sich in der Geschichte des Landes bereits mehrfach soziale Unruhen. Steigt der Preis, beunruhigt dies die Verbraucher ebenso wie die Behörden. Die Sicherheitskräfte gingen bereits gegen Monopolbestrebungen vor. Mehrmals beschlagnahmten sie tonnenweise subventionierte Lebensmittel, darunter Grieß und Mehl. Doch der Krise konnten die Maßnahmen kaum etwas anhaben.

Verwaltungs- statt Versorgungskrise?

Mohamed Bouanan, Vorsitzender des tunesischen Bäckerverbandes, führt die derzeitige Krise vor allem auf "Schwierigkeiten im Management" und nicht so sehr auf leere Lager zurück: "Das Problem hängt mit der großen Menge von Bäckereien zusammen, die ein Anrecht auf subventioniertes Brot haben. Diese Kleinunternehmen hatten sich ursprünglich auf die Produktion von Erfrischungsgetränken konzentriert, wandten sich dann aber auch der Brotproduktion zu."

Zwischenzeitlich oder gar langfristig geschlossen: ein "Mlawi"-Lokal in Tunis, März 2022 Bild: Tarek Guizani/DW

Tunesien hat etwa 3500 registrierte Bäckereien, die Anrecht auf subventioniertes Mehl haben. Zudem existieren weitere 900 Bäckereien, die dieses Anrecht nicht haben. Nun seien aber auch diese Bäckereien mit subventioniertem Mehl versorgt worden, so Bouanan. Dadurch sei es zu einer unausgeglichenen Verteilung gekommen. Die Folge: Einige Bäckereien entsorgten unverkauftes Brot abends in der Mülltonne.

Anders sieht es der ehemalige Finanzminister und Wirtschaftsexperte Al-Fadil Abdel Kafi. Das eigentliche Problem liege in der Abhängigkeit Tunesiens von ausländischen Märkten, die ihrerseits den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine unterlägen. Die Hälfte der tunesischen Weizenimporte stamme aus der Ukraine. Das Problem liege vor allem beim Weichweizen, so Abdel Kafi: 90 Prozent der tunesischen Importe bestünden aus dieser Weizenart.

Tunesien produziere ein knappes Zehntel seines Verbrauchs selbst, so der ehemalige Minister. Entsprechend leidet das Land nun unter der Preissteigerung. Der Importpreis habe sich verdoppelt. Das ziehe auch Preiserhöhungen für Futtermittel, Geflügel, Fleisch und andere Produkte nach sich.

Versteckte Preistreiber

Derzeit seien die Vorräte gesichert, erklärte das tunesische Handelsministerium mit Bick auf den Anfang April einsetzenden Fastenmonat Ramadan. Allerdings warnt die Weltbank in ihrem jüngsten Bericht vor Unterbrechungen der Lieferketten. Diese könnten die Importstaaten unterschiedlich stark treffen. Zu den gefährdeten Ländern zählt die Weltbank auch Tunesien, aber auch andere arabische Länder wie etwa den Libanon, Libyen und Dschibuti.

Explodierende Weizenpreise

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Ammar Dhia, Leiter der Verbraucherschutzorganisation in Tunesien, macht aus seiner Sorge über die möglichen Folgen des Krieges in der Ukraine und den Auswirkungen des globalen Preisanstiegs auf die sozial schwache wie auch die Mittelschicht in Tunesien keinen Hehl. Die Regierung habe zwar versprochen, die Preise für Grundstoffe nicht anzutasten, so Dhia. "Doch der gleichzeitig zu verzeichnende Anstieg der Kraftstoffpreise wird zwangsläufig auch zu einem Anstieg der Preise in anderen Sektoren führen. Es handelt sich also um versteckte Preissteigerungen."

Die neue Krise droht die ohnehin angespannte Atmosphäre des Landes weiter aufheizen. So hat der tunesische Gewerkschaftsbund bereits vor einer sozialen Explosion gewarnt, mit potenziell verheerenden Folgen. Nach den jüngsten Daten des Sozialministeriums leiden etwa vier der insgesamt zwölf Millionen Tunesier unter Armut. Eine Million Tunesier leben sogar unterhalb der Armutsgrenze. Ein durchschnittliches Familieneinkommen reiche heute nur noch für die erste Monatshälfte, informierte zuletzt die tunesische Verbraucherschutzorganisation. Für die zweite seien die Familien auf andere Einkommensquellen angewiesen. Viele Familien stürzten so in die Verschuldung.

Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.

Tarak Guizani Freier Korrespondent Tunesien