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PolitikTunesien

Tunesien: Kais Saieds harter Kurs gegen Medien und Kritiker

31. Mai 2024

Tunesiens Präsident Kais Saied geht immer härter gegen Journalisten und Kritiker vor. Damit stellt er die EU vor diplomatische Probleme - denn das Land spielt eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung der Migration.

Proteste in Tunis gegen den illiberalen Kurs des Präsidenten
Proteste in Tunis gegen den illiberalen Kurs des PräsidentenBild: Hasan Mrad/DeFodi Images News/picture alliance

Hunderte Menschen gingen dieser Tage in Tunis auf die Straße. Ihr Protest richtet sich gegen die Politik von Präsident Kais Saied, der einen immer härteren Kurs gegen Kritiker und Opponenten fährt. "Nieder mit der Diktatur" skandierten die Demonstranten Agenturberichten zufolge unter anderem.

Ausgelöst wurden die aktuellen Proteste durch Gerichtsurteile vom Mittwoch vergangener Woche. An diesem Tagen wurden zwei Journalisten, der Rundfunksprecher Borhen Bssais und der Polit-Kommentator Murad Zeghidi, zu sechs Monaten Haft wegen Verbreitung "falscher Nachrichten" und zu weiteren sechs Monaten für die "Verbreitung von Nachrichten, die falsche Informationen enthalten, mit dem Ziel der Verleumdung anderer" verurteilt. 

Bereits am 11. Mai hatten maskierte Sicherheitskräfte in die Büros der Anwaltskammer in Tunis gestürmt, um die Anwältin Sonia Dahmani festzunehmen. Was die Beamten offenbar nicht wussten: Die Korrespondentin von France 24 befand sich gerade in einer Live-Sendung, sodass die Verhaftung direkt im Fernsehen übertragen wurde. 

Dahmani und ihre beiden Kollegen sind nicht die ersten verhafteten Journalisten. Seit Inkrafttreten des berüchtigten Dekrets 54 im Jahr 2022, das die Verbreitung "falscher Informationen" unter Strafe stellt, wurden Angaben der tunesischen Journalistengewerkschaft zufolge mehr als 60 Journalisten, Anwälte und Oppositionelle strafrechtlich verfolgt. 

Hintergründe der Kabinettsumbildung

Parallel zu den Verhaftungen sorgt derzeit ein anderes Politikum in Tunesien für Wirbel: Am Wochenende entließ Saied seinen Innenminister Kamel Feki und seinen Minister für Soziales, Malek Ezzahi. Saied verzichtete darauf, die Veränderungen zu begründen.

Beides, die Verhaftungen von Journalisten, wie auch der Personalwechsel innerhalb des Kabinetts, dürfte mit den eigentlich spätestens im Oktober fälligen Präsidentschaftswahlen in Zusammenhang stehen, sagt Isabelle Werenfels, Maghreb-Expertin bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Hinsichtlich der Kabinettsumbildung würden in Tunesien derzeit verschiedene Vermutungen geäußert, so Werenfels im DW-Interview. Der Präsident könnte den Innenminister wegen der Proteste entlassen haben, resümiert sie derzeitigen Spekulationen. Andere wiederum meinten, die beiden Politiker hätten selbst Ambitionen hinsichtlich des Präsidentenamts gezeigt. "Das scheint mir aber eher verschwörungstheoretisch gedacht. Am plausibelsten erscheint mir, dass Saied zwei besonders loyale Politiker abgezogen hat, um mit ihrer Hilfe den für Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlkampf zu bestreiten."

Zwar habe Saied die Wahlen noch nicht endgültig bestätigt. Er habe sie aber auch nicht abgesagt. "Für beide Fälle versucht er aber offenbar, alle Stimmen, die ihm gefährlich werden könnten, zum Schweigen zu bringen." Damit wolle er zugleich die gesamte Zivilgesellschaft schwächen.

Der Staat gegen die Rechtsvertreter: Hauptsitz der Anwaltskammer in Tunis nach einer Razzia Mitte MaiBild: Hasan Mrad/Zumapress/picture alliance

Vorwurf: Ausschaltung der Opposition 

Saied gehe immer rabiater gegen seine Gegner vor, sagt Riad al-Shuaibi, politischer Berater des inhaftierten Führers der islamischen Ennahdha-Bewegung, Rashid Ghannouchi. Der Staat bediene sich juristischer Vorgaben völlig willkürlich. "Ziel ist es, jegliche Konkurrenz für Kais Saied zu unterbinden und jeden oppositionellen Kandidaten vor dem Wahltermin zu neutralisieren" so Al-Shuaibi gegenüber der DW.

Ähnlich sieht es auch Amira Mohammed von der tunesischen Journalistengewerkschaft. Sie und ihre Kollegen betrachteten die Festnahmen und Inhaftierungen als gezielte Verstöße. "Unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung attackiert die Regierung sämtliche zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien und versucht jeden Kritiker der Regierungspolitik auszuschalten."

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"Politische Apathie"

Tatsächlich habe Saied Grund, Kritik zu fürchten, heißt es in einer Analysedes Brussels International Center (BIC). Nicht nur hätten seine Gegner Zweifel an Fairness und Transparenz der Wahlen. Vor allem lasse sich die Bevölkerung zum Urnengang motivieren. So gaben bei den Kommunalwahlen im Januar dieses Jahres gerade einmal 12,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Damit setzt sich Trend fort, der bereits vorhergehende Wahlen kennzeichnete. Das Land sei weitgehend in eine "politische Apathie" gefallen. 

Dies gelte auch für die Anhänger Saieds, heißt es in der Analyse des BIC. Die Unterstützerbasis, auf die sich Saied immer wieder berufe, lasse sich offenbar nur noch schwer mobilisieren. "Dieser Rückzug unterstreicht die wachsende Kluft zwischen der Bevölkerung und dem politischen Establishment."

Um der Repression entgegenzutreten, seien die Journalisten weiterhin gefordert, sagt Amira Mohammed. "Das Einzige, was wir tun können, ist, weiter Widerstand zu leisten und uns noch besser zu koordinieren. Nur so können wir die Bürger schützen und das politische Vorgehen der Behörden überwachen."

Vom tunesischen Staat ausgesetzt im Grenzgebiet zu Libyen: Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika, Juli 2023Bild: Hazem Turkia/AA/picture alliance

Das Dilemma der EU

Die Europäische Union steht angesichts des Vorgehens der tunesischen Regierung vor einem Dilemma. Zum einen fördert sie seit dem so genannten Arabischen Frühling des Jahres 2011 die demokratische Entwicklung des Landes. So unterstützt sie einzelne Regionen, um die Unterschiede und damit das Machtgefälle zwischen ihnen abzubauen.

Zum anderen ist sie bei der Kontrolle der irregulären Migration insbesondere aus den Subsahara-Staaten auf Tunesien dringend angewiesen. Zu diesem Zweck hat sie ungeachtet des harten, menschenrechtlich fragwürdigen Umgangs des nordafrikanischen Staates mit Flüchtlingen mit Tunesien ein vielfach kritisiertes "Partnerschaftsabkommen" geschlossen, das sie sich über eine Milliarde Euro hat kosten lassen. Darin enthalten sind auch rund 105 Millionen Euro zur Eindämmung der irregulären Migration. 

Zwischen diesen beiden Interessen muss die EU taktieren. "Es ist für Brüssel natürlich wichtig, dass in Tunesien zumindest formale demokratischen Prozesse wie Wahlen eingehalten werden", sagt Isabelle Werenfels. "Über deren zweifelhafte Qualität dürfte dann aber möglicherweise hinweggesehen werden." 

Dass die EU mit Saied Kaies einen schwierigen Partner hat, zeigte sich, als der tunesische Präsident als einer der wenigen arabischen Staats- und Regierungschefs an der Trauerfeier für den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi teilnahm. Der Kondolenzbesuch ist ein Hinweis, dass Saied bei der internationalen Zusammenarbeit nicht nur nach Europa schaut.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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