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PolitikNahost

Tunesien: Mühsamer Kampf gegen Rassismus

Cathrin Schaer
9. März 2023

Nach einer aufwiegelnden Rede von Präsident Kais Saied sind Zuwanderer aus Subsahara-Ländern in Tunesien attackiert und vertrieben worden. Doch es gibt auch tunesische Bürger, die den bedrängten Migranten beistehen.

Anti-Rassismus-Kundgebung in Tunis, 25. Februar 23nesien | Protest in Tunis gegen Rassismus
Anti-Rassismus-Kundgebung in Tunis, Ende Februar 2023Bild: Fauque Nicolas/Images de Tunisie/ABACA/picture alliance

In einer gepflasterten Gasse in der tunesischen Hauptstadt sind Planen zu sehen, provisorisch befestigt an den Mauern eines Gartens. Sie dienen als Unterstände. Daneben auch ein paar echte Zelte - und weitere Planen und Decken zum Schutz vor Regen und Kälte. Der Himmel ist bedeckt. Um sich zu wärmen, sitzen Menschen um offene Feuer. Müllberge flankieren das kleine Lager im Stadtzentrum von Tunis.

Eingefangen wird diese Situation auf dem Handy von Josephus, einem von etwa einhundert Zuwanderern aus Subsahara-Afrika, die in den vergangenen zwei Wochen in Tunesien von aufgehetzten Bürgern aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Die Live-Bilder, die er aus Tunis schickt, zeigen, wo er, seine Frau und sein Kind jetzt leben: nämlich auf der Straße, direkt vor dem Hauptsitz der Internationalen Organisation für Migration (IOM), einer Agentur der Vereinten Nationen, in Tunis.

Josephus Kamera richtet sich auf die Feuerstellen. Diese dienten nachts auch als Treffpunkt für Wachposten, sagt er. Denn dann fürchteten die Menschen hier am meisten, dass sie erneut von aggressiven Bürgern angegriffen werden könnten.

Die in dem Lager versammelten Menschen trafen alle in den letzten zwei Wochen hier ein, und zwar infolge einer hetzerischen Rede des tunesischen Präsidenten Kais Saied. Der zunehmend autokratisch agierende Staatschef hatte angesichts zunehmender wirtschaftlicher Probleme und anhaltender politischer Unruhen in einer vielfach als rassistisch und populistisch kritisierten Rede die Zuwanderer aus Subsahara-Afrika ins Visier genommen. Er sprach von "Kriminellen", die nicht zur arabischen und islamischen Kultur gehörten. Sie seien vielmehr Teil einer Verschwörung mit dem Ziel, die lokale tunesische Bevölkerung durch dunkelhäutige Migranten zu ersetzten - behauptete Saied. Anschließend wies er die örtlichen Sicherheitskräfte an, illegale Migranten aus Subsahara-Ländern aus Tunesien auszuweisen.

Diplomatische Verstimmung

Die Afrikanische Union kritisierte Saieds Äußerungen als rassistisch und verschob eine Konferenz, die im März in Tunesien hätte stattfinden sollen. Am Montagabend meldete die Nachrichtenagentur Reuters ergänzend, auch die Weltbank setze ihre Zusammenarbeit mit Tunesien aufgrund ihrer Sorgen über rassistische Gewalt aus.

Seit der ursprünglichen Rede hat der tunesische Präsident seinen Standpunkt zwar leicht abgeschwächt und erklärt, rassistische Angriffe würden strafrechtlich verfolgt. Zuletzt beteuerte er sogar, er sei selbst Afrikaner und "stolz" darauf. Doch scheint sein Rückzieher, der zudem keine direkte Entschuldigung enthielt, die rassistischen Angriffe durch offensichtlich aufgestachelte Bürger nicht einzudämmen.

Sie wollen zurück: Migranten aus der Elfenbeinküste vor der Botschaft ihres Landes in Tunis, 02. März 2023Bild: Hasan Mrad/Zuma/picture alliance

Physische und verbale Attacken

Angaben lokaler Menschenrechtsgruppen zufolge leben zwischen 21.000 und 50.000 Menschen aus Ländern südlich der Sahara in Tunesien, die Behörden gaben die Gesamtzahl der Migranten im Lande im Jahr 2020/21 mit 59.000 Menschen an. Einige sind als Studenten dort, andere sind Arbeiter ohne Papiere, die dank einer dreimonatigen visafreien Einreise nach Tunesien gekommen sind.

Aber der rechtliche Status scheint nach Saieds Rede keine Rolle mehr zu spielen. Schwarze Menschen und sogar einige dunkelhäutige einheimische Tunesier wurden auf der Straße belästigt, willkürlich verhaftet, geschlagen oder anderweitig angegriffen. Zudem wurden sie aus Mietwohnungen geworfen und aus ihren Jobs entlassen. In den sozialen Medien und in Agentur- und Korrespontenberichten ist von Menschen die Rede, denen die Bedienung in Postämtern oder Geschäften allein aufgrund ihrer Hautfarbe verweigert wurde. Berichten zufolge reagiert die tunesische Polizei angeblich oft nur zögerlich auf Verbrechen, die von Afrikanern südlich der Sahara angezeigt werden. Manche Taxifahrer weigerten sich, Migranten mitzunehmen.

In Reaktion auf die Attacken sind inzwischen Hunderte von Afrikanern aus Subsahara-Regionen mit organisierten Rückführungsflügen in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt, unter anderem nach Mali und an die Elfenbeinküste.

Andere, wie Josephus, sehen für sich einstweilen keine andere Wahl, als zu bleiben. Der aus Sierra Leone stammende Mann arbeitet seit 2021 in Tunesien und versucht, seinen Asylantrag in Tunis bearbeiten zu lassen - bisher ohne Erfolg. "Wir sind etwa 90 Personen hier", erzählt er. "Hauptsächlich Menschen aus Sierra Leone, aber auch aus Guinea, Mali, Nigeria, Ghana, Liberia, Senegal und Kamerun. Es ist der einzige Ort, an dem wir uns sicher fühlen."

Migranten aus der Subsahara-Region campieren vor der Vertretung der Internationalen Organisation für Migration in TunisBild: Hasan Mrad/Zuma/picture alliance

Lebensmittel und ärztliche Hilfe

Josephus geht auf eine junge Tunesierin zu, die gerade in der Gasse angekommen ist. "Ich denke, Sie sollten mit ihr sprechen", sagt er. Er richtet die Kamera auf die junge Frau, die sich als "Amal" vorstellt. Ihren weiteren Namen möchte sie nicht preisgeben. "Es gibt hier eine Gruppe von etwa 50 tunesischen Helfern", sagt Amal gegenüber der DW. "Die meisten von uns sind sonst Menschenrechtsaktivisten in Tunesien, aber jetzt suchen wir einfach nur als Bürger nach einer Lösung."

In der Stadt gibt es ein weiteres Lager für vertriebene Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara, berichtet Amal. Auch in dieses brächten tunesische Freiwillige Material für Zelte, Lebensmittel und Windeln für die Kinder.

Darüber hinaus helfen die tunesischen Freiwilligen den vertriebenen und bedrängten Subsahara-Migranten auch auf andere Weise. Einige vermitteln zwischen tunesischen Vermietern und potentiellen afrikanischen Mietern. Andere liefern Lebensmittel an Familien, die sich aus Angst vor Übergriffen nicht aus ihren Häusern trauen. Auf Spendenseiten sammeln sie Geld für diese Aufgabe. Mitglieder der tunesischen Organisation junger Ärzte kommen abends in die Lager, um potentielle Patienten zu versorgen. "Es ist, als müssten wir lernen, mitten im Krieg zu leben", sagt Amal.

Sie wisse von rund 30 lokalen und internationalen Organisationen, die derzeit versuchen, bedrängten oder gestrandeten Afrikanern aus Subsahara-Afrika zu helfen, sagt Aktivistin Henda Chennaoui. Sie ist eine von mehreren Koordinatorinnen der neu gegründeten "Tunesischen Antifaschismus-Front", die sich aus zivilgesellschaftlichen Gruppen und Menschenrechtsaktivisten zusammensetzt. Einige der Organisationen stellten Unterkünfte für Mütter und Kinder zur Verfügung, berichtet sie. "Auch Privatpersonen haben sich engagiert", fügt sie hinzu.

"Tunesien ist ein afrikanisches Land"

"Ich kann keine Einzelheiten nennen, da die Polizei auch Aktivisten und freiwillige Helfer verfolgt", sagt Chennaoui mit Blick auf die jüngste, gegen Oppositionelle gerichtete Verhaftungswelle.

Am vergangenen Samstag nahmen mehrere Gruppen von Tunesiern auch an einem Marsch gegen Rassismus teil. Der Slogan der Teilnehmer: "Weg mit dem Faschismus, Tunesien ist ein afrikanisches Land". Auch die große und einflussreiche Allgemeine Arbeitergewerkschaft Tunesiens organisierte am Samstag einen eigenen, größeren Marsch gegen Saied und zeigte ebenfalls Plakate gegen Rassismus.

Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: Kundgebung in Tunis, 04. März 2023 Bild: Yassine Gaidi/AA/picture alliance

"Eingestehen, dass es auch in arabischen Ländern Rassismus gibt"

Zwar ist Tunesien das einzige Land in der Region mit einem Antidiskriminierungsgesetz. Doch auch dieses konnte nicht verhindern, dass schon im vergangenen Jahr häufig zugewanderten Subsahara-Afrikanern die Schuld an Nahrungsmittelknappheit und Arbeitslosigkeit gegeben wurde.

Letztlich gehe es in der jetzigen Situation um mehr als nur um Tunesien, sind sich Henda Chennaoui und Amal einig. "Wir Tunesier wissen, dass wir die Einwanderung aus Afrika nach Europa stoppen und dass dies ein großes politisches Problem ist", sagt Amal. Grundsätzlich gehe es um die Frage der Migration ganz allgemein. "Unser Präsident war dumm genug, eine rassistische und faschistische Aussage zu machen - doch das eigentliche Problem ist viel größer."

Die Vorboten der Krise seien schon lange sichtbar gewesen, sagt auch Henda Chennaoui. Die Tunesier neigten dazu, Rassismus als Diskriminierung von Schwarzen durch Weiße zu betrachten, sagt sie. "Aber vielleicht ist es an der Zeit, sich einzugestehen, dass es auch in den arabischen Ländern Rassismus gibt." Die Situation sei mitnichten nur für Tunesien und die Subsahara-Afrikaner gefährlich. "Denn da ist dieser Gedanke: Wenn niemand etwas gegen Saieds Rede unternimmt, wird sich Ähnliches auch in Algerien, Marokko, Ägypten und der ganzen Region entwickeln."

Tunesien: Teure Lebensmittel verschärfen den Hunger

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Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.