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Tunesisches Wahlgesetzt

Sarah Mersch2. Mai 2014

Männer und Frauen sind in der tunesischen Verfassung gleichgestellt. In diesem Sinne wurde jetzt auch ein neues Wahlgesetz verabschiedet: Die Hälfte der Kandidaten muss weiblich sein, aber ist das Gesetz praxistauglich?

Tunesische Abgeordnete des "Demokratischen Blocks" - Foto: Sarah Mersch (DW)
Bild: DW/S. Mersch

Dass es in Tunesien künftig eine Frauenquote bei den Wahlen geben wird, das war schnell klar. Doch wie sie genau aussehen soll, darüber wurde lange debattiert - in den Ausschüssen, im Plenum und auf den Fluren des Parlaments in Tunis. Nun haben sich die Abgeordneten entschieden: Wie bereits bei den Wahlen zur Verfassungsversammlung im Herbst 2011 müssen die Parteien die Listen abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen - so besagt es das neue Wahlgesetz, das am Donnerstag (01.05.2014) verabschiedet wurde.

Quer über Parteilinien hinweg: Es waren vor allem die weiblichen Abgeordneten im Parlament, die sich für eine "positive Diskriminierung" ihrer Geschlechtsgenossinnen eingesetzt haben - dass also Frauen nominiert werden müssen, auch wenn es vielleicht geeignetere männliche Kandidaten gibt. "Ich habe das am Anfang eher skeptisch gesehen", gibt Lobna Jeribi von der sozialliberalen Takatol-Partei zu. "Ich versuche, mich über meine Arbeit, meine Kompetenzen durchzusetzen." Doch das sei nicht immer einfach, gibt sie zu, vor allem in einer von Männern dominierten Gesellschaft und einer ebenso maskulin geprägten Politik.

Angst vor den eigenen Ansprüchen

Jeribis Gesinnungswandel ist typisch für viele politisch engagierte Tunesierinnen, die eigentlich gegen eine Quote waren, sie jedoch heute für notwendig halten. Dazu gehört auch Amira Yahyaoui, die Präsidentin der Nichtregierungsorganisation Al Bawsala, die die Arbeit der Parlamentarier verfolgt und sich für Transparenz einsetzt. "Absolut gesehen bin ich dagegen, in einem Land, wo es wirklich Chancengleichheit gibt, brauchen wir das nicht", sagt Yahyaoui. "Aber in Tunesien ist das zum heutigen Zeitpunkt leider nicht der Fall."

Doch die jetzt gewählte Lösung mit abwechselnder Listenbesetzung garantiere die in der Verfassung zugesicherte Chancengleichheit nicht. Denn die Parteienlandschaft sei nach der Revolution so groß geworden, dass in den meisten Wahlkreisen nur ein Abgeordneter pro Partei ins Parlament einzieht - und an erster Stelle stehen auf den gemischten Listen in der Regel Männer.

Enahda-Unterstützerinnen: Viele konservative Politikerinnen unter den QuotenbefürworternBild: picture-alliance/dpa

Doch es sind nicht nur die Männer schuld, betont Selma Baccar, linke Parlamentsabgeordnete, die 2011 für ein linkes Wahlbündnis in die Verfassungsversammlung eingezogen ist. "Ich bin das beste Beispiel", gibt die resolute Frau zu, die eigentlich Filmregisseurin ist, zu. "Als meine Partei mich gefragt hat, ob ich den ersten Listenplatz haben will, da habe ich Panik bekommen. Ich hatte Angst, den Ansprüchen nicht zu genügen." Inzwischen ist Baccar sogar Fraktionsvorsitzende.

Oft sind es aber auch Schwierigkeiten jenseits des Politikbetriebs, die Frauen daran hindern, sich zu engagieren: "Das Parlament tagt von morgens um acht manchmal bis um Mitternacht, und am Wochenende. Für eine Frau mit Kindern ist das schwierig", betont Parlamentsbeobachterin Yahyaoui. Dass der Ehemann kurzerhand die Kindererziehung übernimmt, sei die Ausnahme. Auf dem Land fänden Sitzungen oft in nur von Männern besuchten Cafés statt - ein Tagungsort, der für Frauen in weiten Teilen der Gesellschaft als nicht angemessen gilt.

Quote ja, aber welche?

Umso wichtiger ist es, findet Selma Baccar, dass auch konservative Parteien mit Frauen vertreten sind - allen voran die konservativ-islamistische Ennahdha-Partei, die die meisten weiblichen Abgeordneten stellt. "Natürlich kann sich eine Frau aus dem Süden nicht so einfach mit mir identifizieren, aber mit einer Abgeordneten, die ein Kopftuch trägt, kann sie das." Deshalb waren auch viele konservative Politikerinnen unter den Quotenbefürwortern, auch wenn sie für eine weniger strikte Anwendung sind.

Habib Kheder, offizieller Berichterstatter des Parlaments und Abgeordneter für Ennahdha, war hingegen von Anfang an gegen eine 50-Prozent-Regelung. "Für die großen Parteien ist es kein Problem, genug qualifizierte Frauen zu finden, aber für die kleinen ist es nicht einfach."

Politikerin Turki: Führendes Mitglied der Republikanischen ParteiBild: DW/S. Mersch

Außerhalb des Parlaments ist der Frauenanteil in den Parteien oft noch geringer als im Abgeordnetenhaus. Die Ärztin Zeineb Turki ist führendes Mitglied der Republikanischen Partei, der Einzigen mit einer gemischtgeschlechtlichen Doppelspitze. Doch selbst dort sind in den Führungsgremien gerade mal ein Fünftel Frauen vertreten. Die 32-Jährige selbst fühlt sich jedoch nicht diskriminiert, erzählt sie in der kurzen Kaffeepause vor dem Büro. "Ich bin im März 2011, direkt nach der Revolution, Parteimitglied geworden. Da waren sie froh über alle, die sich engagieren wollten."

Turki vertritt die nördlichen Vororte von Tunis, eine bürgerliche und wohlhabende Wohngegend. Auf dem Land sei es allerdings oft schwierig, genug Frauen zu finden, die bereit sind, sich zu engagieren. "Gibt es eine Quote, dann können die Parteien nicht mehr sagen, es gäbe keine Frauen in der Politik. Stattdessen müssen sie Arbeitsbedingungen schaffen, die es auch Frauen in konservativen Regionen ermöglichen, Politik zu machen. Sonst werden sie Probleme haben, ihre Listen zu besetzen." Ob Turki dieses Jahr selbst zu den Parlamentswahlen antritt hat sie noch nicht entschieden. Wenn sie es tut, dann nicht als reine Zählkandidatin, da ist sie sicher.

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