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Politik

Tunesiens Frauen feiern ihre Rechte

27. Juli 2017

Ihr Protest hat sich gelohnt, ihr Jubel bewegt: In Tunesien hat das Parlament ein historisches Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen in jeder Form unter Strafe stellt. Eine Kulturrevolution?

Frauen in Tunesien
Erst Freiheit, dann Frauenrechte: Tunesierinnen feiern den fünften Jahrestag der Aufstände in ihrem LandBild: picture-alliance/dpa/M. Messara

Das Parlament hat die gesetzliche Grundlage geliefert, jetzt kommt es auf die Gesellschaft an. Was wird sie machen aus der steilen Vorlage, die ihr die Abgeordneten der tunesischen Nationalversammlung gestern geliefert haben?

Rechtlich ist klar: Gewalt gegen Frauen steht in Tunesien nun in jeder Form unter Strafe. So sieht es das neue von allen 146 anwesenden Abgeordneten am Mittwochabend verabschiedete Gesetz vor. Ob dieses allerdings das Zeug zu einer Kulturrevolution hat, die das Verhältnis der Geschlechter grundlegend neu ausrichtet - das haben die Abgeordneten nicht im Griff. Darüber entscheiden nicht sie, sondern die tunesischen Bürger. 

Immerhin: Ein sehr bewegender Moment sei das, erklärte Naziha Laabidi, die tunesische Familienministerin. Das Parlament sei stolz, ein "historisches Projekt" zum Abschluss gebracht zu haben.

Gewalt ist keine Privatsache 

"Das Gesetz ist sehr wichtig", sagt auch die Soziologin Abir Alhaj Mawas, Referentin für Frauenrechte beim Referat Flucht & Frauenrechte bei der NGO "Terre des Femmes". Es gehe darum, die Frauen aus der Isolation zu holen, dafür zu sorgen, dass sie langfristig die gleichen Freiheiten genießen wie sie in Europa üblich sind.

Etappensieg: Die Soziologin Abir Alhaj Mawas von Terre des Femmes feiert die Verabschiedung des neuen Gesetzes Bild: Private

Konkret sieht sie vor allem einen Paragraphen des Gesetzes als bedeutsam an: "Jetzt wird Gewalt auch innerhalb der Familie bestraft. Bislang galt etwa Vergewaltigung in der Familie nicht als Verbrechen, sondern als Privatangelegenheit, die man auch verbergen konnte. Das hat sich nun geändert."

Heiraten hilft nicht weiter

Die neue Gesetzeslage hat Konsequenzen für die Strafverfolgung. Zieht eine Frau, die Opfer von Gewalt geworden ist, ihre Anklage - warum auch immer - zurück, ermittelt die Polizei trotzdem weiter. Werden Frauen zu einem Widerruf gezwungen, lässt sich ein Verfahren dennoch kaum aufhalten.

Das Gesetz sieht zudem vor, Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, juristisch und psychologisch zu unterstützen. Auf diese Weise, so die tunesische Familienministerin Naziha Laabidi, sollen "die Prinzipien der Menschenrechte und die Gleichheit der Geschlechter" gefördert werden. Konkret soll es Frauenhäuser und Beratungsstellen geben, die bei entsprechenden Fällen Soforthilfe einleiten können.

Zugleich hob die Nationalversammlung den von tunesischen Frauenrechtlerinnen besonders kritisierten Paragraph 227 des Strafgesetzbuches auf. Dieser sah vor, dass ein volljähriger Mann, der sexuelle Beziehungen zu einer Minderjährigen unterhält, nicht mit Verfolgung rechnen muss, wenn er das Mädchen heiratet.

Ihr Protest hat sich gelohnt: Beim Kampf gegen männliche Gewalt steht das Gesetz jetzt auf der Seite der betroffenen Frauen Bild: DW/T. Guizani

Frauen leiden unter Gewalt

Frauen sind in Tunesien erheblicher Gewalt ausgesetzt. In einer vor kurzem durchgeführten Studie erklärten 64 Prozent von insgesamt 4000 befragten Frauen, dass sie ein männliches Familienmitglied um Rat fragen würden, bevor sie das Haus verließen. Gut 70 Prozent der Befragten berichteten, sie seien in öffentlichen Verkehrsmitteln beleidigt worden. 76 Prozent der verheirateten Frauen gaben an, zu Hause physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein oder gewesen zu sein.

Die gegen Frauen gerichtete Gewalt habe zahlreiche Ursachen, sagt Abir Alhaj Mawas von Terre des Femmes. Es gebe zu Teilen ideologisch inspirierte Gewalt, die sich aus der Religion und einer problematischen Auslegung des Korans herleite.

Dieses Phänomen habe in Teilen der islamischen Welt sei 2011, demJahr der arabischen Aufstände, zugenommen. Die Proteste mündeten vielfach nicht in einer liberaleren, sondern in einer noch autoritäreren Politik. Gewalt gegen Frauen sei zu Teilen ein Versuch, diesen Druck zu verarbeiten, meint Abir Alhaj Mawas.

Hinzu kämen aber auch soziale Gründe: Frauen, die keine oder keine gute Ausbildung hätten und schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, würden leicht Opfer von Gewalt. "Diesen Frauen fehlen die Voraussetzungen, ihre Rechte wahrzunehmen", sagt Alhaj Mawas.

Chahed: Demokratie in Tunesien festigen

02:22

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Kritik der Konservativen

Die neue Regelung wird von den meisten männlichen Tunesiern begrüßt. Einige weisen darauf hin, dass dem Gesetz nun auch eine kulturelle Reform folgen müsse, also Männer Frauen auch innerlich als gleichberechtigte Personen akzeptieren müssten.

Allerdings sehen das nicht alle so. Der islamistische Politiker Noureddine Bhiri, berichtet die Zeitschrift Jeune Afrique, hält Personen ab dem Alter von 13 Jahren für sexuell volljährig. Bedenken anderer Art hat der Politiker Salem Labiadh. Das neue Gesetz "könnte zu einem radikalen Feminismus führen, das Fundament der Familie zerstören und die Homosexualität legalisieren", zitiert ihn die tunesische Zeitung Business News. Die Leser des Blattes reagierten in den Kommentarspalten überwiegend verständnislos, oft auch spöttisch auf Labiadhs Einschätzung.

"Rückständige Vorstellungen"

Allerdings gibt es auch Männer, die ihren Frauen grundlegende Freiheitsrechte ohne religiöse Rückkoppelung verweigern. Diese Männer stünden zu Teilen ihrerseits unter Druck, vermutet Alhaj Mawas. "Wenn sie ihren Frauen Freiheiten lassen, werden sie dafür ihrerseits kritisiert, und zwar zum Teil massiv." Darum müssen sie sowohl ihre Familien wie auch sich selbst schützen. "Insofern muss man sagen, dass auch säkular orientierte Männer von einem konservativen Umfeld beeinflusst werden"

Die schwierige Situation der Frauen in der arabischen Welt liege zu weiten Teilen darin begründet, dass konservative Vorstellungen sich weiterhin hielten, schreibt die tunesische Zeitung Le Temps. "Diese muss man ändern, wenn man Gleichheit und Würde der Menschen Wirklichkeit werden lassen will."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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