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Turnschuh-Fetischismus

23. April 2002

Sport – Pop – Kult: Die Geschichte vom "Kulturgut Sportschuh" umfasst einige Kapitel. "Retro" heißt der neue Abschnitt der "neverending story" - rückwärts gewandte Weihen für den Lieblingstreter.

Als Freizeitschuh ist der Turnschuh mittlerweile ein Klassiker. Etwa 30 Jahre ist es her, seit das sportive Schuhwerk auch fernab von Grasnarbe, Aschebahn und Hallenboden eine Daseinsberechtigung gefunden hat. Mobilität und Schnelligkeit, die Leitthemen jedes "Eliten-Clips" von Nike, adaptierten alle Sportschuhhersteller international für ihre Vermarktungsmaschinerie. Und auch auf dem Feld der jugendlichen Gegenkultur trat der Turnschuh einen rapiden Siegeszug an. Er hatte nur eine Aussage: Im richtigen Schuhwerk gehörst du zur Elite.

Virtuell und ganz real: Sneaker- Ausstellung

In den digitalen Weiten des Internet toben sich leidenschaftliche Turnschuhfans bereits seit langem aus. So genannte "Sneaker-Sites" bieten umfangreiche Bildarchive digitalisierter Schuhfotos mit Informationen zu Modellnamen, Baujahr, Material und Farbgebung. Eine deutsche Site erfuhr im Jahr 2000 sogar "museale" Weihen: Die Online-Präsentation lieferte einem Kölner Museum das Material für die Ausstellung "sneakers".

Blick zurück in die wilden Jugendjahre

Zum zweiten Mal führt derzeit die Neuauflage der Schau unter dem Titel "sneakers, etc." durch die Historie der "wild years" des Turnschuhs. In den Hallen der co-op Galerie auf Berlins Flaniermeile Unter den Linden werden rare Einzelanfertigungen neben historischen und aktuellen Modellen aller Hersteller präsentiert. Ein paar Firmenportäts, ein bißchen Kunst, ein wenig Multimedia: die Schau verbreitet eher den subversiven Charme jugendlicher Gegenkultur als die Hochglanz-Welt der Schuh-Multis.

Gruppierungen der Treter zu übergeordneten Themen wie "Technologie" oder "Skateboarding" sind nicht besonders aufschlussreich. Klarheit herrscht für die Kategorien Fußball und Musik. Hier wartet die Schau mit Modellen von Promis auf: Zappas neonfarbene Nikes, Sven Väths "Cocoons", die ein Fach für die Kopfschmerztablette danach bergen, Buffalos mit klumpigen Plateaus, getragen von den Spice Girls.

Erstmals wird in solcher Deutlichkeit bewusst: ob Punker, Rocker oder Popper - alle steckten in Tretern. Zu sehen sind Nikes mit rot glitzerndem "Swoosh" aus der Disco-Ära oder die knöchelhohen schwarz-weißen Adidas, die in ihrer strengen Geometrie zu New Wave und Neuer Deutscher Welle passten.

Die kämpferischen Achtziger

Die Schau führt vor Augen, wie stark sich das Image des "Sneakers" in unseren sozialen Praktiken verinnerlicht hat. Historisch gesehen wurde dies Mitte der Achtziger erstmals deutlich:

Als die Rap-Crew Run DMC mit ihrem Stück "My Adidas" die Treter aus Herzogenaurach zum Statussymbol einer neuen städtischen Jugendkultur erhob, setzten auf den Straßen amerikanischer Städte Kriege um teure Turnschuhe an. Mit schwindelerregend hohen Budgets und harten Bandagen hatten die Hersteller der begehrten Objekte nur wenig zuvor einen Kampf um den damals noch kleinen Sportartikel-Markt angezettelt.

Bruderkrieg mit weitreichenden Folgen

In Deutschland begann alles im fränkischen Herzogenaurach - mit einem Bruderkrieg. Adolf "Adi" und Rudolf Dassler teilten ihren Familienbetrieb nach einem Streit 1948 in zwei Unternehmen auf. 1980 waren Adidas und Puma, die Firmen der brüderlichen Konkurrenten, mit insgesamt 95 Prozent Marktanteil der weltgrößte Hersteller von Sportschuhen und -bekleidung. Wäre da nicht Phil H. Knight, heute Chairman von Nike, auf der Bildfläche erschienen. Er verpasste dem in Japan gefertigten Schuh das hakenförmige "Swoosh"-Signet und ließ die Dreistreifen binnen kürzester Zeit auf Platz 2 hinter sich zurück. Viele weitere Stories ließen sich erzählen ...

Historisches Recycling

"Reissueing", das Wiederauflegen alter Modelle, wird von seiten der Hersteller seit rund zehn Jahren betrieben. Die Auswahlpraxis erfährt allerdings immer weitere Verfeinerungen, die zeigen wie gut die Trendscouts der Multis den Zeitgeist erfassen.

"Die industrielle Logik möchte die Logik der Konsumenten ablösen und hat keine schlechten Chancen", reflektiert Axel Fischer, Organisator der Berliner Sneaker-Ausstellung. Unterstützt wird der Retro-Trend der Hersteller letztendlich auch durch die Retrospektive der Aussteller. Sie weben auf ihre Art mit an den mittlerweile zahllosen Legenden in Tretern.

Christine Gruler

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