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PolitikPolen

Donald Tusk: "Friedliche Revolte für die Freiheit"

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
12. Dezember 2023

Donald Tusk hat keine Zeit zu verlieren. Einen Tag nach seiner Wahl zum Regierungschef stellt er im Parlament in Warschau seinen Regierungsplan vor. Schon am Mittwoch will er Polen beim EU-Gipfel in Brüssel vertreten.

Der neue polnische Regierungschef Donald Tusk im Kreis seiner politischen Unterstützer im Sejm macht mit seinen Händen das Zeichen des Herzens.
Ein Herz für seine Anhänger: Donald Tusk nach seiner erfolgreichen Wahl im polnischen Abgeordnetenhaus Sejm. Das Herz stand im Wahlkampf für seine KoalitionBild: Czarek Sokolowski/AP/dpa/picture alliance

Donald Tusk drückt aufs Tempo. Der Vorsitzende der proeuropäischen Mitte-Links-Koalition versucht die Zeit wettzumachen, die er durch die Verzögerungstaktik des nationalkonservativen Regierungslagers verloren hat. Schon einen Tag nach seiner Wahl gab er am Dienstagmorgen (12.12.2023) im Abgeordnetenhaus (Sejm) eine Regierungserklärung ab.

"Der 15. Oktober wird in die Geschichte als der Tag der friedlichen Revolte für Freiheit und Demokratie eingehen", sagte er und rief zur Wiederherstellung der nationalen Einheit auf: "Die Stärke in Einigkeit soll zum ersten politischen Gebot werden", so Tusk zu den Abgeordneten. Mit Blick auf die zukünftige Rolle Polens in der Europäischen Union versprach er Zusammenarbeit und Achtung für die europäischen Institutionen. Polen werde wieder seine führende Rolle in der EU zurückgewinnen. "Wir sind stärker und souveräner, je stärker und souveräner nicht nur Polen, sondern auch die Europäische Union ist", betonte er. Jeder, der versuche, Polen in die Isolation zu treiben, spiele mit der Existenz des Landes. "Hören Sie auf, so zu tun, als ob Freunde und Verbündete aus der NATO und EU eine Gefahr für uns darstellen. Das ist ein riskantes, wenn nicht verrücktes Spiel", warnte er.

Verzögerungstaktik

Der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, hatte nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Parlamentswahl am 15. Oktober lange auf Zeit gespielt, um die Machtübergabe maximal hinauszuzögern. In dieser Zeit wurden schnell noch wichtige Posten mit PiS-Anhängern besetzt und Haushaltsgelder an befreundete Institutionen verteilt.

Mateusz Morawiecki, der Polen seit 2017 regiert hatte, tat wochenlang so, als ob er trotz fehlender Parlamentsmehrheit eine Regierung auf die Beine stellen könne. Polens Präsident Andrzej Duda, der aus dem gleichen politischen Lager kommt, half ihm bei diesem Verzögerungsmanöver, indem er ihn vor einem Monat - trotz mangelnder Aussichten auf Erfolg - mit der Regierungsbildung beauftragte.

Morawiecki scheitert, Tusk übernimmt das Ruder

Doch nach knapp zwei Monaten war die PiS mit ihrer Hinhaltetaktik nun endgültig am Ende. Das Abgeordnetenhaus wählte Tusk am Montagabend (11.12.2023) zum Regierungschef. Der Ex-Vorsitzende des Europäischen Rates bekam 248 Stimmen, 23 mehr als erforderlich. Gegen ihn stimmten 201 Parlamentarier. Der Sejm jubelte, auf der Gästeempore saß der frühere polnische Präsident Lech Walesa und kämpfte mit den Tränen, als der neue Regierungschef sich umwandte und mit seinen Händen ein Herz formte. Am Ende erhoben sich die Abgeordneten von ihren Bänken und sangen die polnische Nationalhymne.

Der ehemalige Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa freut sich über die Wahl Donald Tusks und grüßt von der Gästeempore im ParlamentBild: Jakub Porzycki/picture alliance/Anadolu

Zuvor hatte Morawiecki die Abstimmung über die Vertrauensfrage im Parlament kläglich verloren. Nur 190 Abgeordnete unterstützten ihn. Gegen sein Verbleiben im Amt votierten 266 Parlamentarier.

Dabei hatte er bis zuletzt versucht, Abgeordnete aus dem demokratischen Lager mit Versprechen auf seine Seite zu ziehen. Er gab sich als friedfertiger Politiker aus, rief zum Dialog auf und appellierte an das Parlament, angesichts der Herausforderungen "nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu suchen". Der scheidende Regierungschef stellte die vergangenen acht Jahre als eine Reihe von Erfolgen dar und nannte den Ausbau der Streitkräfte auf 300.000 Soldaten, den Einstieg in die Atomenergie und den Bau des Großflughafens in Zentralpolen als Zukunftsaufgaben. Morawiecki betonte, dass sein Plan "in jedem Fall gewinnen wird, wenn nicht jetzt, dann in der Zukunft".

Tusks Koalition besteht aus drei Blöcken: aus seiner Bürgerkoalition (KO), dem christlich-demokratischen Dritten Weg (TD) und der Neuen Linken. In seiner Regierungserklärung kündigte der neue Ministerpräsident an, die Regierungszeit der Vorgängerregierung und insbesondere die Finanzskandale der PiS zu beleuchten, die Verwendung der EU-Mittel und die Manipulationen der öffentlichen Medien zu untersuchen. Er sprach sich auch für die weitere Unterstützung der Ukraine aus und kündigte an, dass Polen die Mitverantwortung für die Lösung der Migrationsfrage übernehmen werde.

Schlagabtausch zwischen Tusk und Kaczynski

Die Wahl von Tusk wurde durch den Schlagabtausch zwischen ihm und seinem Widersacher Kaczynski überschattet. Bei einer kurzen Rede nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse ging Tusk auf die gegen ihn gerichtete Propagandakampagne ein, die von den PiS-Politikern und den von ihnen kontrollierten Staatsmedien seit Jahren betrieben wurde.  

"Ich höre jeden Tag im Fernsehen, auch heute: 'Nach Berlin und für Deutschland', eine Schallplatte, die vor Jahren von Jacek Kurski [Anm. d. Red.: Chef des Staatsfernsehens] aufgenommen wurde." Und dann wandte sich Tusk direkt an Kaczynski: "Damals sagte dein Bruder Lech öffentlich zu mir, dass er einen solchen Schurken [wie Kurski] noch nicht gesehen hat."

Donald Tusk wurde vom polnischen Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt und freut sich über sein Abstimmungsergebnis Bild: Michal Dyjuk/AP/dpa/picture alliance

Kurski hatte im Wahlkampf 2005 den Großvater von Tusk beschuldigt, sich freiwillig zur deutschen Wehrmacht gemeldet zu haben. In Wirklichkeit wurde Jozef Tusk im Zweiten Weltkrieg in Danzig eingezogen und lief später zu einer polnischen Einheit über. Kaczynski reagierte verbittert und frostig auf Tusks Rede: "Ich weiß nicht, wer Ihre Großväter waren, aber ich weiß eins: Sie sind ein deutscher Agent", sagte er am Montagabend bissig.

Kaczynski sieht Ende der polnischen Demokratie

"Das ist das Ende der polnischen Demokratie", fügte der PiS-Chef als Reaktion auf Tusks Wahl hinzu. Er wetterte dann auch gegen Russland und die Europäische Union. "Die Pläne, die das Europäische Parlament angenommen hat und die in der EU weiter geformt werden, sind ein Konzept zur Veränderung des polnischen Staates. Es soll ein Gebiet werden, das zwar von den Polen bewohnt ist, aber von außen, aus Brüssel, im Grunde genommen aus Berlin, gesteuert wird", sagte der PiS-Chef. "Kaczynski kann sich mit seiner Niederlage nicht abfinden", kommentierte im Fernsehsender TVN die Politologin Anna Siewierska Chmaj.

Polens ehemaliger Ministerpräsident Mateusz Morwawiecki nach der verlorenen Vertrauensabstimmung im polnischen ParlamentBild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Am Mittwochmorgen wird das neue Kabinett durch Staatschef Duda vereidigt, eine herbe Niederlage für den Politiker, der versucht hatte, den Machtwechsel zu verhindern. Damit könnte Tusk als neuer polnischer Regierungschef rechtzeitig noch am Mittwochabend zum Gipfeltreffen der EU mit den Westbalkanstaaten und zum Europäischen Rat nach Brüssel fliegen. In den internationalen Angelegenheiten wird er sich auf den erfahrenen, in der Welt bekannten Außenminister Radoslaw Sikorski verlassen können, der die polnische Außenpolitik bereits 2007-2014 geleitet hatte. 

Wer glaubt, dass Tusk ein bequemer Verhandlungspartner in der EU wird, der könnte eine unangenehme Überraschung erleben - trotz der versöhnlichen Töne in der ersten Regierungserklärung. Als er im Wahlkampf auf die EU-Reformen angesprochen wurde, darunter die Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips, warnte er davor, in "Integrationsenthusiasmus" zu verfallen. Auch in der Frage der Migrationspolitik mag er ein gebranntes Kind sein. Polens Zustimmung zur Verteilung der Flüchtlinge 2015 hatte der PiS wesentlich geholfen, an die Macht zu kommen.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.