1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tuvalu: Bewohner bewerben sich um australisches Klimavisum

Shubhangi Derhgawen
13. Juli 2025

Der Inselstaat Tuvalu droht im Meer zu versinken. Ein Klimavisum soll Bewohnern die Möglichkeit geben, nach Australien auszuwandern.

langer, schmaler besiedelter Landstreifen im Meer
Der steigende Meeresspiegel bedroht Tuvalu - jedes Jahr sollen 280 Menschen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Australien erhaltenBild: Mario Tama/Getty Images

Der kleine südpazifische Inselstaat Tuvalu ist besonders durch den Klimawandel und steigende Meeresspiegel gefährdet. Funafuti, die Hauptstadt des Landes, liegt auf einem schmalen Streifen Land, an den sich auf der einen Seite eine riesige Lagune schmiegt und auf der anderen Seite der Pazifik. Hier lebt die Hälfte der Bürger des Landes.

Doch mit dem Anstieg der Meere und dem sich immer stärker bemerkbar machenden Klimawandel werden Überschwemmungen immer alltäglicher. Wissenschaftler warnen, dass die gesamte Insel in 35 Jahren überschwemmt sein könnte. Für ein Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahre alt sind, ist das eine existenzielle Bedrohung.

Jeder Dritte der gut 10.000 Einwohner hat sich daher bereits für das weltweit erste Klimavisum beworben, das die dauerhafte Einwanderung nach Australien ermöglicht.

Ein Modell für den Umgang mit dem Klimawandel?

Im November 2023 unterzeichnete Australien als Reaktion auf den Hilferuf Tuvalus den Vertrag der Falepili-Union. Das Abkommen umfasst die Bereiche Klimazusammenarbeit, menschenwürdige Mobilität und gemeinsame Sicherheit. Nach monatelangen innerstaatlichen Konsultationen tritt das Abkommen nun in Kraft.

70 Prozent der Menschen auf Tuvalu sind zwischen 15 und 64 Jahre alt; Überschwemmungen sind für sie ein wiederkehrendes ProblemBild: Ashley Cooper/Global Warming Images/picture alliance

Seit 2025 gibt Australien jährlich 280 Einwohnerinnen und Einwohnern Tuvalus die Möglichkeit, in Australien zu leben, zu arbeiten oder zu studieren.

Erhalt der Identität

Das Abkommen betont die besondere herkunftsgeschichtliche Bindung der Tuvaluer an ihr Land und das Meer und enthält die Verpflichtung, die Existenz und Souveränität des Staates Tuvalu zu erhalten, selbst wenn sein Territorium nicht mehr bewohnbar sein sollte. Den Bürgerinnen und Bürgern Tuvalus wird "uneingeschränkte Reisefreiheit" von und nach Australien gewährt.

Australien sichert Tuvalu außerdem Unterstützung zu, sollte es zu größeren Naturkatastrophen, medizinischen Krisensituationen von internationaler Bedeutung oder militärischen Aggressionen kommen.

Wie funktioniert die Falepili-Union?

Jedes Jahr sollen in einem geheim durchgeführten Lotterieverfahren 280 Menschen bestimmt werden, die über 18 Jahre alt sind, die tuvaluische Staatsangehörigkeit besitzen und auf Tuvalu geboren wurden oder ein Eltern- oder Großelternteil haben, der auf Tuvalu geboren wurde.

Der Vertrag über die Falepili-Union wurde 2023 geschlossen und tritt im Juli 2025 in KraftBild: Lukas Coch/AAP/IMAGO

Die Bewohner Tuvalus waren in der Vergangenheit immer wieder auf die Unterstützung Australiens oder Neuseelands angewiesen. Das Programm richtet sich insbesondere an Menschen, die diese Möglichkeiten nicht haben. Wer bereits einen neuseeländischen Pass hat, ist zum Beispiel nicht teilnahmeberechtigt. Die Visa sollen in erster Linie an die Menschen gehen, die sie am dringendsten benötigen.

Das Visum steht auch Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen oder besonderen Bedürfnissen offen - Kategorien, die bei anderen australischen Visa oft ausgeschlossen sind. Mehr als 3000 tuvaluische Bürgerinnen und Bürger haben sich bereits für die erste Runde beworben. Bei jährlich nur 280 vergebenen Visa hieße das, dass heutige Bewerber gegebenenfalls bis zu 10 Jahre warten müssen. Das Abkommen sieht jedoch Anpassungen der Zahlen vor, sollte dies nötig werden.

Warum ein Klimavisum?

Visa sind meist an Bedingungen wie Studium oder Arbeit geknüpft. Das war bislang auch für die Bürger von Tuvalu der Fall. Gemäß den Bestimmungen des Falepili-Union-Abkommens können Tuvaluer, die ein Visum gewinnen, sich jedoch frei bewegen, ohne an eine Arbeit oder an ein Studium gebunden zu sein.

Jane McAdam ist Jura-Professorin und Expertin für Flüchtlingsrecht an der Universität von New South Wales und sieht in dem Programm ein zuverlässiges Sicherheitsnetz für die Bürger von Tuvalu. "Für einige Leute ist es eine Möglichkeit, ihren Kindern in Australien eine gute Ausbildung zu ermöglichen, für andere, eine Arbeit zu finden, die es ihnen erlaubt, Geld nachhause zu schicken", erläutert sie.

Das unbefristete Aufenthaltsrecht bietet Vorteile wie finanzielle Hilfen für die Ausbildung, Krankenversicherung, Invaliditätsversicherung, Steuervergünstigungen für Familien, Kinderbetreuungsbeihilfen und Jugendbeihilfen.

Was unterscheidet einen Flüchtling von einem Klimamigranten?

Klimakatastrophen umgibt eine rechtliche Grauzone. Vor fast 30 Jahren urteilte zum Beispiel der Oberste Gerichtshof von Australien, dass Menschen, die vor Naturkatastrophen fliehen, nicht als Flüchtlinge eingestuft werden können.

Tuvalu liegt großteils nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, der winzige  Staat ist also durch den Anstieg der Meere besonders gefährdetBild: Mario Tama/Getty Images

Dieser Mangel an internationaler Anerkennung hat Konsequenzen, wie ein Fall aus dem Jahr 2022 in Neuseeland zeigt. Ein gehörloser Mann argumentierte, dass eine Rückkehr nach Tuvalu für ihn lebensgefährlich sei, weil er während Katastrophen keine Evakuierungsanweisungen hören könne. Das Gericht lehnte seinen Antrag jedoch ab. Im vergangenen Jahr erlebte Tuvalu mindestens zwei große wetterbedingte Katastrophen: Dürre und Überschwemmungen.

Für Kamal Amakrane, Leiter des Global Centre for Climate Mobility der Vereinten Nationen, markiert das Falepili-Union-Abkommen einen Wandel im Umgang mit mit Klimaflüchtlingen. "Das Abkommen ist kein Visum für Klimaflüchtlinge", sagt er. "Es eröffnet die Möglichkeit der Klimamobilität." Anders als der Flüchtlingsstatus, der aufgrund von Ereignissen wie der Zwangsumsiedlung bei bewaffneten Konflikten oder politischer Verfolgung zuerkannt wird, wird hier der Klimawandel als Migrationsfaktor anerkannt. So werden die Handlungsfähigkeit und Würde der Menschen bewahrt und es wird ihnen die Zeit gegeben, ihre Widerstandsfähigkeit aufzubauen, bevor sie sich entscheiden, ob sie ihren Wohnort verlassen oder nicht.

Andere Länder reagieren in der Regel erst, wenn eine Klimakatastrophe eingetreten ist. 2023 richtete Argentinien zum Beispiel ein humanitäres Visum für Menschen in Lateinamerika ein, die durch Klimakatastrophen von ihren Wohnorten verdrängt werden - allerdings erst nachdem die Katastrophe eingetreten ist.

Wären Klimavisa auch eine Möglichkeit für andere Staaten?

Tuvalu ist nicht allein. Die Malediven, die Marshallinseln und Kiribati sind ähnlich bedroht und würden ebenfalls von regionalen Vereinbarungen zur Klimamobilität profitieren. Die Vereinigten Staaten haben schon vor Jahrzehnten Assoziierungsabkommen, die Compacts of Free Association, mit Mikronesien, den Marschallinseln und Palau abgeschlossen, die es den Bürgerinnen und Bürgern dieser Staaten erlauben, ohne Einschränkungen in den USA zu leben und zu arbeiten. Der Zugang zu öffentlichen Leistungen bleibt jedoch begrenzt und die Migranten sind einem Armutsrisiko ausgesetzt.

Weitere regionale Pläne werden derzeit ausgearbeitet. Im Jahr 2023 verabschiedeten die Minister elf afrikanischer Staaten der Ministererklärung von Kampala zu Migration, Umwelt und Klimawandel und versprachen koordinierte Maßnahmen für Menschen, die aufgrund des Klimawandels umziehen wollen oder müssen.

Währenddessen wird die Krise immer größer. Zwischen 2008 und 2018 fanden über 80 Prozent der durch neue Katastrophen verursachten Migrationsbewegungen weltweit im asiatisch-pazifischen Raum statt. Inmitten dieser Risikozone liegt Tuvalu.

Fachleuten zufolge hoffen die meisten Menschen weiterhin, dass sie ihre Wohnorte nicht verlassen müssen. "Die Menschen wollen ihre Heimat nicht verlassen", sagt Amakrane. "Wie können wir den Menschen also helfen, dort zu bleiben, wo sie hingehören? Wir müssen ihren Weg zur positiven Anpassung ermöglichen."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen